Gespräch: Martin Haag und Andreas Roessler über einen alten und einen neuen Stadtteil Bauen & Wohnen | 22.08.2020 | Lars Bargmann

Martin Haag und Andreas Roessler diskutieren über den Siegerentwurf

Der geplante Stadtteil Dietenbach – mit am Ende mehr als 15.000 Einwohnern der kompletten Stadt Breisach vergleichbar – wird auch für das benachbarte Rieselfeld vielfältige Veränderungen bringen. Positive, aber auch negative.Darüber sprachen auf Initiative der Redaktion Baubürgermeister Martin Haag und Andreas Roessler, der Vorsitzende des BürgerInnenvereins Rieselfeld (BIV) miteinander.

Der BIV ist mit dem aktuellen Planungsstand (wir berichteten) weitgehend einverstanden, Zankapfel-Qualitäten beweist aber vor allem der teilweise Wegfall des Waldes entlang der Mundenhofer Straße.  „Von dem Wald muss so viel wie möglich übrigbleiben, 30 Meter reichen nicht“, sagt Roessler. Der heute im Zickzack verlaufende Wald zwischen den beiden Stadtteilen hat an seiner breitesten Stelle rund 100 Meter. Und erfülle eine „ganz wichtige klimatische Funktion“. So steht es auch im 2019 vom Bundesumweltministerium und vom Deutschen Institut für Urbanistik ausgezeichneten Klimaanpassungskonzept der Stadt Freiburg. „Das Rieselfeld ist darin jetzt schon als Hotspot geführt, aber da ist der Bau des Stadtteils Dietenbach noch gar nicht eingerechnet“, betont Roessler.

Teile des Waldes sollen für den Bau von wichtigen Sportflächen gerodet werden. Es geht etwa um einen Hektar. „Ein Teil entfällt ja für den Verein Sport vor Ort im Rieselfeld. Die anderen zwei, drei Flächen für Dietenbach“, sagt Haag. Und wenn Flächen für Sport gebraucht werden, „dann müssen die auch irgendwo hin. Das muss man in Kauf nehmen.“

Das Baudezernat werde aber in einem ersten Wettbewerb, in dem es um den Neubau der Schule und des sogenannten Sportbandes geht, schauen, ob es noch Optimierungsmöglichkeiten gibt. „Ich trete aber auf die Erwartungsbremse, dass da plötzlich dann der ganze Wald stehenbleiben kann.“ Für Roessler machen „jede 100 Quadratmeter etwas aus“. Vor allem fürs Klima, für Abkühlung in der Nacht. Die Auslobung eines Wettbewerbs dafür sei eine „sehr schöne Aussage“. Beim weiter westlich liegenden Langenmattenwäldchen ist die Optimierung bereits gelungen. „Wir sind sehr froh über den Zugewinn des Erhalts am Langenmattenwäldchen“, lobt Roessler die Verwaltung.

Ringen um einen Hektar Wald

Im jüngsten Bericht unseres Magazins hatte er gesagt, dass fürs Rieselfeld zehn Hektar Wald gerodet worden sind und für Dietenbach nur die Hälfte. Das solle man mal zur Kenntnis nehmen, wenn man um jeden Baum kämpft. Der BIV hatte darauf der Redaktion gemeldet, dass so gut wie kein Baum gefällt werden musste. Beide Seiten mussten am Ende zurückrudern: Für beide Stadtteile müssen jeweils etwa fünf Hektar Wald weichen.

Was kann der neue Stadtteil den Rieselfeldern bringen, was das Rieselfeld für die neuen Nachbarn? „Das Positive ist schnell aufgezählt, wir bekommen eine zusätzliche Infrastruktur.“ Ansonsten schätzt der Vorstand die Synergien „eher gering“ ein. Es gebe im Stadtteil grundsätzlich ein „relativ großes Murren“, dass eine Naherholungsfläche verschwindet. Dennoch war der BIV-Vorstand eher für den Bau („Wir haben das tolle Rieselfeld bekommen, jetzt können wir nicht sagen, mehr geht nicht.“), beim Bürgerentscheid hielten sich Zustimmung und Ablehnung etwa die Waage. Haag sieht viel mehr positive Effekte für die Rieselfelder: Kneipen, Restaurants, Kultur, Jugendzentrum, neue, deutlich attraktivere Radwegverbindungen an die Dreisam.

Andreas Roessler

„Das treibt die Bürger um“: Andreas Roessler

Dem Rieselfeld fehlt ein attraktives Zentrum. Eine Folge der linearen Straßenführung. Im Dietenbach entwickeln sich indes rund um die Mitte sternförmige Erschließungen, die dann auch in zweiter Reihe eher verwinkelte Gassen hervorbringen. „Da haben wir aus dem Rieselfeld, aber auch aus dem Vauban gelernt“, sagt Haag. „An den langen, geraden Straßen bei uns lebt es sich nicht gut, die Ringstraße im Dietenbach ist große Klasse, die ganze Verkehrsplanung schön“, findet Roessler.

Beim ÖPNV fordert der BIV den Lückenschluss an die Paduaallee und am besten weiter durch die Elsässer Straße an die Berliner Allee. „Das sind geschätzt 150 Millionen“, kontert Haag. In seiner aktuellen Amtszeit (sie endet 2026) werde er da keinen Spatenstich mehr feiern. Und verweist nebenbei auch auf den einwohnerstarken Stadtteil St. Georgen, der gar keine Straßenbahn habe. „Uns ist wichtig, dass die Trasse dafür freigehalten wird“, so -Roessler. Der Lückenschluss nach Lehen sei für die Rieselfelder eines der wichtigsten Themen: „Das treibt die Bürger um.“ Und auch wenn die Anbindung erst 2035 in Betrieb genommen werden könnte, sei das „kein Problem“.

Mindestens so problematisch – zumindest bei der Vermarktung – wird die politische Vorgabe für 50 Prozent oder 3250 soziale Mietwohnungen sein. „Für uns ist das ein Muss“, so Roessler. Im Rieselfeld – der dreifache Vater ist 1996 dort hingezogen – haben sich die Kaufpreise für Wohnungen in den vergangenen 15 Jahren „verdoppelt“. Und auch die Mietpreise „immens erhöht“. Vor allem weil die Bindungsfristen der günstigen Mieten in den meisten Fällen nur zehn Jahre betrugen. „Das ist ein Riesenproblem im Rieselfeld.“ Das soziale Gefüge habe sich geändert. Die Gentrifizierung schwappt so schon bis an den Stadtrand. Heute seien vor allem die Baugruppen „immense Stabilisatoren fürs Miteinander“.

Die hat für bezahlbares Wohnen auch Haag auf dem Zettel. Und die Freiburger Stadtbau. Und das Mietshäuser-Syndikat. Und das Uniklinikum. Und das Studierendenwerk. Und die Baugenossenschaften. Diese aber wenden sich inzwischen mehr und mehr von Freiburg ab und kritisieren die Politik für die schlechten Rahmenbedingungen für genossenschaftliches Wohnen (siehe Seiten 22 bis 24). „Wir werden weiter mit denen sprechen, und ich bin überzeugt, dass die im Dietenbach auch was machen werden“, sagt der Baubürgermeister.

Martin Haag

Martin Haag: „Wir können neue Stadtteile.“

Während das noch in den Sternen steht, werden die Schüler auf jeden Fall profitieren. Das Rieselfeld hat ein Gymnasium, im Dietenbach sieht es nach einer Gemeinschaftsschule aus. Das Bildungsangebot rund um das die Stadtteile trennende Sportband kann durchaus als Vorzeigemodell taugen. Die ersten Dietenbacher Neubürger werden sich bei den Geschäften und Lebensmittlern im Schwester-Stadtteil versorgen können. Können auch, so sie denn gläubig sind, im Rieselfeld in die Kirche gehen, sich in bestehende Vereine integrieren.

So wird der Dietenbach anfangs mehr vom Rieselfeld profitieren als umgekehrt. Der Verein Sport vor Ort, der aus dem Verein Kiosk im Rieselfeld quasi als Spinn-off hervorgegangen ist, hat heute schon 2500 Mitglieder. Und wird weiterwachsen. „Ohne den Kiosk wäre das Rieselfeld nicht das, was es ist“, sagt Roessler. Der sei auch für die neuen Nachbarn eine wichtige Quelle.

Das früher leicht verrufene Image des Freiburger Westens hat sich durch Rieselfeld gewandelt und wird durch Dietenbach eine weitere Metamorphose- durchleben. „Wir haben mit Vauban und Rieselfeld gezeigt, dass wir neue Stadtteile können, und das werden wir auch erneut beweisen“, prophezeit Haag. Wird es der letzte? „Sicherlich mein letzter.“

Fotos: © bar