In die Röhre gucken – Im Solar Info Center diskutierten Experten über Sinn und Unsinn des Stadttunnels Bauen & Wohnen | 14.02.2023 | Lars Bargmann

Schützenallee-Tunnel Und ab unter die Erde: Bei Maria-Hilf verschwinden täglich Zehntausende Autos im Schützenallee-Tunnel.

Stadtplanerische Zukunft oder der Weg ins Abseits? So war die jüngste Veranstaltung zum Freiburger Stadttunnel überschrieben. Wobei unklar blieb, was das mit dem Abseits auf sich hatte. Aber um in der Fußballsprache zu bleiben: Das Stadion war ausverkauft, die Contra-Tunnel-Referenten waren in einer 4:1-Überzahlsituation, Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag wehrte sich aber mit zielstrebigen Kontern durchaus erfolgreich gegen die Übermacht am Rednerpult – und im Rund.

Wer allein klimapolitisch argumentiert, muss den 1,8 Kilometer langen Stadttunnel ablehnen. Der unterirdische Lückenschluss zwischen Schützenalleetunnel und Kronenbrücke verursacht mehr als 320.000 Tonnen Kohlendioxid (Co2), was sich durch den Betrieb des Tunnels mit flüssigerem Verkehr rechnerisch erst in 122 Jahren amortisiert, wie der Berliner Verkehrsforscher Axel Schwipps vorrechnete. Das ist etwa der Zeitraum, der auch bei einer Untersuchung verschiedener U-Bahn-Verlängerungen in der Hauptstadt herausgekommen war. „Wir müssen aufhören, den Straßenverkehr zu fördern“, bilanzierte Schwipps und kassierte Beifall vom Publikum.

Live zugeschaltet war Holger Heinfellner, Mobilitätsexperte beim österreichischen Umweltbundesamt in Wien. Er war Teil einer Gruppe, die im Auftrag des Verkehrs- und Umweltministeriums die Klimawirkung des seit 20 Jahren geplanten 8,2 Kilometer langen Lobautunnels im Wiener Umland untersucht hatte. Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse stoppte Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) im November 2021 gegen den heftigen Widerstand des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig das umstrittene Milliardenprojekt.

„Wie die Deutschen bis 2045 müssen auch wir den Verkehr emissionsfrei kriegen. Bis 2040. Das erreichen wir nur durch eine Reduktion der Verkehrsleistung auf der Straße. Der Bau neuer Straßen generiert mehr Verkehr.“ Applaus.

»Mitten durchs Herz von Freiburg«

Martin Haag war ohne große Beifallsambitionen gekommen. „Die B31 geht mitten durchs Herz von Freiburg. Die Einwohnerzahlen werden weiterwachsen, wir brauchen also weiter auch die Innenentwicklung und damit auch hochwertige Freiflächen.“ Der Raum südlich und nördlich der Dreisam sei „viel zu schade, um da 60.000 Autos fahren zu lassen“.

Auf einer Grafik stand die Angabe „15 Hektar“. Diese Fläche, so groß wie 21 Fußballfelder, böte das Potenzial für eine „Stadt am Fluss“, einen „Dreisampark“. Eine Ausbuchtung bezieht dabei auch den Bereich rund ums Schwabentor mit ein.

Etwa zwei Drittel der Fahrzeuge werden laut jüngster Verkehrsprognose nach dem Bau im Tunnel verschwinden. 20.000 mithin weiterhin entlang der Dreisam fahren. Die Tunnelgegner bezweifeln den oberirdischen Gewinn, winken bei den Begriffen „Dreisampark“ und „Stadt am Fluss“ ab. „Es ist ein großer Unsinn, wenn behauptet wird, oberirdisch bleibt es bei zwei Spuren in jede Richtung“, kontert Haag.

Er geht davon aus, dass pro Richtung eine oberirdische Fahrbahn zurückgebaut werden kann: „Ich brauche keine Autobahn vorm Haus, damit die Anwohner in ihre Häuser kommen und einmal die Woche die Müllabfuhr“, sagt er im Gespräch mit der Redaktion. Der Stadttunnel sei die „richtige Antwort auf Mobilität und Stadtentwicklung“.

Was oberirdisch für den Verkehr bleibe, könne unattraktiv gemacht werden. „Damit kann man den Verkehr reduzieren“, sagte Wulf Hahn, Geschäftsführer der Regio Consult, einer Fachagentur für Stadt- und Verkehrsplanung in Marburg.

Der Tunnelkritiker rechnete vor, dass am Gesamtnutzen des Stadttunnels, den er bei 70 Millionen Euro sieht, 50 Prozent allein der Reisenutzen ausmacht, also schlicht, dass die Fahrtzeit um ein paar Minuten kürzer wird.

Alle Referenten rechnen damit, dass der Individualverkehr in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen werde. Haag nicht: „Wir müssen uns bei allem, was wir wollen, auch mit der Realität auseinandersetzen.“ In der Vergangenheit waren die statistischen Prognosen dieser stets hinterhergefahren.

Welche Auswirkungen eine City-Maut auf die Verkehrszahlen haben könne, war eine Frage aus dem Publikum. Hahn berichtete aus Studien, wonach diese erst ab zwei Euro pro Kilometer eine spürbare Reduktion um 25 Prozent bringen würde. Raunen im Rund.

City-Mauts sind – wie vieles beim Thema Mobilität und Klimaschutz – umstritten. In Graz, berichtete Heinfellner, hat die Politik eine von Experten geprüfte Maut verhindert. „In vielen Städten pfeifen die Regierungen die Fachleute zurück.“ Je wirkungsvoller eine Maßnahme sei, umso schwieriger sei sie zu realisieren.

Info

Stadttunnel: Mit dem 1,8 Kilometer langen, doppelröhrigen Stadttunnel wird die heutige B 31/31a vom Autobahnkreuz Freiburg-Mitte bis Kirchzarten nach einer Vereinbarung zwischen dem Land und dem Bundesverkehrsministerium zur Autobahn (A 860). Damit ist der Bund nicht nur für den Bau zuständig, sondern auch für den Unterhalt. Die jüngste Kostenschätzung datiert aus dem Jahr 2016 und liegt bei 325 Millionen Euro. Der Bund ist für alles Unterirdische zuständig, die Stadt für alles Oberirdische. Ein Video mit einem simulierten Tunnel gibt es hier:

https://stadttunnel-freiburg.de/visualisierung-stadttunnel-freiburg

Foto: Lars Bargmann