Weichenstellen im Westen: Mehrheit für 3000 Sozialwohnungen in Dietenbach Bauen & Wohnen | 28.08.2018 | Lars Bargmann

„Die Lösung des Wohnungsproblems heißt Dietenbach“, titelte Anfang August das städtische Amtsblatt. Das ist höchstens nur die halbe Wahrheit. Der Gemeinderat muss aufpassen, keine eierlegende Wollmilchsau zu fordern.

Sich wohnungspolitisch auf Dietenbach zu verlassen, wäre verantwortungslos. Ebenso wie Dietenbach politisch als eierlegende Wollmilchsau zu überfrachten. Wie verantwortungsvoll der Freiburger Gemeinderat derzeit agiert, wenn er den neuen Stadtteil im Westen mit immer mehr Erwartungen belastet, wird sich weisen. Nachdem die Grünen einen Salto rückwärts bei der Sozialwohnungsquote von 50 Prozent gestanden haben, gibt es im Gremium nun eine klare Mehrheit für 3000 (in Worten: dreitausend) öffentlich geförderte Wohnungen.

Die Miete in einer geförderten Wohnung muss im Schnitt 30 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Wenn diese im Dietenbach bei 10 Euro läge, also bei 6,60 Euro oder 80 Euro pro Quadratmeter und Jahr. Wenn ein Investor beim millionenschweren Bau von Mehrfamilienhäusern nur fünf Prozent Rendite fürs Risiko – und seinen eigenen Kapitaldienst bei der finanzierenden Bank – braucht, darf der Quadratmeter in der Herstellung 1600 Euro kosten – mit Grundstücksanteil. Das ist in Freiburg ausgeschlossen. Unlängst hat ein Bauträger 2500 Euro für einen Quadratmeter nackten Boden hingelegt.

Nun mag es vereinzelt Private geben, die so viel Geld haben, dass sie gar keine Finanzierungskosten haben und mit 2,5 Prozent Rendite fürs Risiko gut leben können. Dann dürfte der Quadratmeter 3200 Euro kosten. Rund 3000 Euro, sagen sowohl private Bauträger als auch die Freiburger Stadtbau, koste es heute, einen Quadratmeter zu bauen. Der Grundstücks-anteil für diesen Quadratmeter darf dann noch 200 Euro betragen.

600 Millionen Euro Erlöse auf der Kippe

Wenn aber der Boden so günstig sein muss, dann wird er auf dem Dietenbach-Areal keine 590 Millionen Euro in die Kasse spülen. Im Grunde gegen dieses Ziel gerichtet sind auch die Forderungen der Grünen, die mindestens die städtischen Flächen und die des Landes (zusammen etwa 20 Hektar) nur in Erbpacht vergeben wollen. Mit 590 Millionen Euro aber rechnen die Verantwortlichen im Rathaus. Deswegen hat nicht nur Baubürgermeister Martin Haag etwa zum Thema 50 Prozent „eine andere Position. Ich interpretiere das so, dass möglichst viel geförderter Wohnraum gebaut werden soll.“ Das sei „richtig und wichtig“ für die Stadt. Aber 3000 geförderte Wohnungen zu bauen, das hält er nicht für richtig. Stadtrat Michael Moos (Unabhängige Listen) sagte im Gemeinderat, dass 50 Prozent Sozialwohnungsbau ohne bessere Förderung des Bundes nicht verwirklichbar sein werden. Dafür spricht viel. Auch Oberbürgermeister Martin Horn hofft auf künftig deutlich kräftigere Unterstützung von Bund und Land.

Der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Wendelin von Kageneck, sagt dem chilli: „Der Stadtteil sollte die ganze Gesellschaft widerspiegeln und nicht nur auf zu fördernde Haushalte ausgerichtet sein.“ Es müssten in einem gut durchmischten Dietenbach auch Besserverdienende einen Platz finden können. Der Routinier macht sich generell Sorgen, weil der Gemeinderat „mehr und mehr ins linke Spektrum rutsche“.

Der Stadtteil soll nicht nur sozial und inklusiv, mit tollen Freiräumen, Schulen, Kitas und einer Tram ausgestattet, sondern zudem „klimaneutral“ werden – auch wenn der Bau eines Stadtteils per se klimatologisch ein Horrorszenario ist. Wäre er ein Schüler, würde man angesichts der hohen Anforderungen wohl sagen: „Das arme Kind.“

Ob Dietenbach dann im Betrieb als „klimaneutral“ oder gar als Plus-energie-Stadtteil reüssiert, wie die Grünen nun fordern, wird diese Gesamtbilanz nicht maßgeblich beeindrucken. Auf jeden Fall aber wird ein „klimaneutraler“ Stadtteil nicht preisdämpfend wirken. Ebenso wenig wie eine Vielzahl an Architekten-Wettbewerben.

Acker im Dietenbach: Noch hat das Rathaus längst nicht alle Ausgleichsflächen gefunden.

Sparkasse wird Defizite nicht ausgleichen

Der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Marcel Thimm, der für ein Kooperationsmodell mit dem Rathaus eine Grundstücksgesellschaft gegründet hat, um den privaten Grundstückseigentümern 64 statt nur 15 Euro pro Quadratmeter geben zu können, hat zunächst unserer Redaktion gegenüber und dann auch in einem Schreiben an Bürgermeisteramt und Stadträte schon mal warnend den Finger gehoben. Aus Sicht der Bank sei es zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv, bestimmte Quoten des geförderten und damit weniger ertragreichen Wohnungsbau festzulegen. Die Bank werde das bisher durchaus erfolgreiche Modell nur dann weiter betreiben, wenn das Rathaus etwaige Defizite ausgleiche. Zieht Thimm die Reißleine, wird es für die Fraktionen und die Bürgermeisterriege ungemütlich.

Für den Freiburger Projektentwickler Peter Unmüßig ist eine 50-Prozent-Quote nur realistisch, wenn zusätzlich „viel Geld aus dem Stadtsäckel“ in den Stadtteil fließt. Der Vorstand der Wohnbau Baden AG, Klaus Ruppenthal, fragt sich angesichts der Debatte, wie die Mittelschicht im Dietenbach Eigentum bilden soll.

Die Sozialdemokraten um die Fraktionschefin Renate Buche sind schon lange für die 50-Prozent-Quote, haben sie doch maßgeblich an jenem Beschluss im Mai 2015 mitgewirkt. Da die Einkommensgrenzen für geförderten Wohnraum in Baden-Württemberg etwa bei einem Dreipersonenhaushalt brutto schon 57.450 Euro betragen, treffe das die Mehrzahl der Menschen, für die Dietenbach gebaut werde.

Die Christdemokraten hingegen melden, dass viele Mittelstandsfamilien – oft auch nur knapp – über den Einkommensgrenzen lägen und es nicht Ziel sein könne, für diese große Gruppe nur 50 Prozent freifinanzierten Wohnraum sicherzustellen. Und dass dieser über die Querfinanzierung für den geförderten Wohnungsbau womöglich noch deutlich teurer werde. Freie-Wähler-Fraktionschef Johannes Gröger hält – wie die Freidemokraten im Rat auch – eine 50-Prozent-Quote für verfrüht und insgesamt bedenklich.

Die Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert/Für Freiburg ist derweil wie das „Regiobündnis Pro Landwirtschaft, Natur & ökosoziales Wohnen“ strikt gegen einen neuen Stadtteil. Eine Wohnungsbedarfsanalyse des Forschungsinstituts Empirica hat 2014 einen Neubaubedarf für Freiburg bis 2030 von 18.600 Wohnungen ermittelt, 14.600 davon im geförderten und preiswerten Bereich. Insofern ist Dietenbach mit rund 6000 Wohnungen nicht die Lösung des Wohnungsproblems.

Fotos: © Neithard Schleier, Felix Holm