»Seit drei Jahren im Krisenmodus!« – Der neue Agenturchef Alexander Merk im Interview Arbeitsmarkt | 21.07.2023 | Stefan Pawellek

Alexander Merk Traumjob in Traumstadt: Alexander Merk

Als Andreas Finke als Chef der Freiburger Agentur für Arbeit Ende 2022 überraschend das Handtuch warf, war dies die Gelegenheit für Alexander Merk, seinen Hut in den Ring zu werfen. Erfolgreich. Seit Juni 2023 ist er nun neuer Mann an der Spitze der Agentur – in einer Zeit vielfältiger Herausforderungen.bib-Autor Stefan Pawellek sprach mit dem neuen Agenturchef, welche Problemfelder auf ihn warten.

bib: Sie haben die Leitung der Arbeitsagentur in einer Zeit der multiplen Krisen übernommen: Corona, Ukraine-Krieg, gestörte Lieferketten, schrumpfende Wirtschaft, Inflation, Klimawandel – inwiefern beeinflusst das Ihre Arbeit?
Merk: Wir arbeiten nun schon seit drei Jahren im Krisenmodus, das ist für die Mitarbeitenden eine hohe Belastung. Allerdings sind wir auch „suchender Arbeitgeber“, sodass wir in Corona-Zeiten Personal eingestellt haben, was zu einer gewissen Entlastung beiträgt. Freiburg hat an sich einen robusten Arbeitsmarkt, hier dominiert der tertiäre Sektor. Und da – besonders in der Gastronomie und Erziehungs- und Pflegeberufen – herrscht Arbeitskräftemangel. Aber mit Fachkräftemangel haben alle Branchen überall zu kämpfen.

bib: Viele Betriebe halten ihre Fachkräfte trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Wie lange kann das funktionieren? Kommt eine Kurzarbeitswelle auf uns zu?
Merk: Nein, vereinzelt werden Betriebe Kurzarbeit anzeigen, aber bisher zeichnet sich keine Welle ab. Wir erwarten – und das sehen auch Wirtschaftsfachleute so – bis Ende des Jahres eine eher ruhigere Entwicklung. Wir sehen auch nicht, dass Firmen in Not geraten, weil sie Arbeitskräfte halten. Allerdings: Immer mehr Babyboomer gehen in Rente, für sie Ersatz zu finden ist schwierig. Es ist oft auch eine Frage der „Passung“, Menschen brauchen Unterstützung bei der Eingliederung in einen Beruf.

bib: Wie kann es sein, dass bei rund 14.000 Arbeitslosen in Südbaden Stellen unbesetzt bleiben? Brauchen die alle Unterstützung?
Merk: Nein, natürlich nicht. Unser Fokus liegt auf Qualifizierung und Teilqualifizierung, sodass Arbeitslose leichter in einen Job „passen“. Gleichzeitig haben wir einen Arbeitgeber-Service, der beide Seiten zusammenbringt und mit vielfältigen Förderangeboten unterstützt. Für diese Fördermöglichkeiten, da bin ich überzeugt, ist aber noch deutlich mehr Marketing nötig: Welche Fördermöglichkeiten gibt es? Wie kann man Menschen auf die sich laufend ändernden Arbeitsprozesse einstellen? Wer hilft beiden Seiten durch den „Förderdschungel“? Da ist noch einiges zu tun.

bib: Es gibt eine nicht geringe Zahl von Flüchtlingen, Migranten: Warum entlasten die den Arbeitsmarkt nicht?
Merk: Es ist leider nicht so leicht, Berufsabschlüsse anerkennen zu lassen. Die Agentur ist da nur beratend tätig. Es gibt einfach zu viele Stellen, die da mitreden wollen oder müssen. Das zu ändern ist aber eine politische Frage. Man könnte zum Beispiel das Modell der Inklusion übernehmen, da gibt es einen Ansprechpartner für Arbeitgeber und der kümmert sich dann um alles. Die an sich gute Praxis der formalen Ausbildungsabschlüsse, Diplome etc. verzögert diesen Prozess. Da müsste mehr Pragmatismus sein, mehr Mut zu „learning by doing“!

bib: Wir leben in einer Zeit des demographischen Wandels. Wie soll die Lücke geschlossen werden – länger arbeiten?
Merk: Es stimmt, die Schere zwischen Rentnern und Arbeitenden wird immer größer. Aber Dank „home office“ könnten sicher einige Ältere im Arbeitsmarkt bleiben. Auch Frauen sollten noch mehr und länger ins Erwerbsleben eintreten. Ein Problem ist hier die Kinderbetreuung. Mehr Kitas bedeutet aber auch mehr Erzieher·innen – die wir nicht haben, Stichwort Fachkräftemangel. Im Herbst bieten wir einen Quereinstieg Kita an, zwei Schulen machen da mit, 26 Interessenten gibt es bereits; während der Ausbildung werden 2600 Euro Lohn gezahlt. Arbeitgeber übernehmen die Ausbildungsvergütung, den Rest die Arbeitsagentur oder das Jobcenter. Es muss also niemand diese Umschulung selbst bezahlen oder aus finanziellen Gründen nicht wahrnehmen.

bib: Und wie steht es um die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland?
Merk: Da gibt es die Problematik der Sprache, des fehlenden erschwinglichen Wohnraumes und der mangelnden sozialen Integration. Man muss Anwerbung aus Drittstaaten ganzheitlich denken. Hilfreich wären Communities, zum Beispiel im Bereich Sport oder Kultur – was derzeit fast nur in Großunternehmen der Fall ist.

bib: Wissen denn heute Schulabgänger überhaupt, welchen Berufsweg sie einschlagen könnten?
Merk: Als ich zu studieren begann, gab es rund 900 Studienrichtungen, heute sind es um die 10.000. Es herrscht ein Informationsdschungel, da muss Klarheit geschaffen werden, weshalb unsere Berufsberater nun auch in Jugendzentren, social media und an Hot Spots der Jugendlichen tätig werden. Aber es gilt auch heute noch: Wer ein Abi hat, der studiert. Dass ein Handwerksberuf genauso gute Chancen bietet, dass man sich da beispielsweise leicht selbstständig machen kann – Stichwort Betriebsübernahme – wird oft ignoriert. Was ein großes Problem ist: Ausbildungs- und Studienabbrecher. Es erschreckt schon, wenn man weiß, dass von einem Bachelorstudiengang ein gutes Drittel abbricht. Wir haben derzeit ein Projekt mit der Universität laufen, das sich „alternative Karrierewege“ nennt und gezielt Studienabbrecher anspricht. Hier sollen neue, andere Berufsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

bib: Wagen Sie eine Vorausschau: zum Arbeitsmarkt in zehn Jahren und wie die Agentur für Arbeit dann aufgestellt sein wird?
Merk: Bei den ökonomischen Aussichten überlasse ich den Blick in die Glaskugel lieber den Wirtschaftsprofessoren. Aber ich denke, dass die Agentur ein anderes Gesicht haben wird. Angesichts struktureller Veränderungen in immer kürzeren Abständen wird es weniger um Vermittlung und viel mehr um Beratung gehen. Angefangen in der Schule, während der Ausbildung und während des gesamten Berufslebens. Mit Einführung der Lebensbegleitenden Berufsberatung ist ein Anfang gemacht.

Foto: © Agentur für Arbeit