Das Gehirn in der Hand: Wie Studierende als Nebenjob an Leichen arbeiten business im Breisgau | 27.05.2021 | Johanna Reich

Für Studierende gibt es in Freiburg eine Vielzahl an Nebenjobs. Die Medizinstudenten Philipp Rensinghoff (21) und Johannes Bulk (22) haben sich einen ganz speziellen ausgesucht: Am anatomischen Institut in Freiburg arbeiten sie an toten Körpern. Im Interview mit Autorin Johanna Reich erzählen sie, wie ihr Arbeitsalltag mit Leichen aussieht.
chilli: Was genau ist Ihr Job?
Rensinghoff: Wir helfen im anatomischen Institut aus, in der Abteilung, die sich mit den toten Körpern beschäftigt, die für die Präparierkurse der Medizinstudenten benutzt werden. Im dritten Semester des Medizinstudiums hat man ein Semester lang eine Veranstaltung, bei der man in Kleingruppen eine Leiche präpariert. Diese Leichen müssen vorbereitet werden und da helfen wir mit.
chilli: Wie sieht der Arbeitsalltag aus?
Bulk: Jeder Tag ist anders. Wir machen zum einen viel Vorbereitung für die Kurse, wo auf mehreren Tischen Spenderkörper liegen. Die werden in einem Saal hergerichtet; wenn der Kurs nach einem Semester vorbei ist, legen wir die präparierten Körper in Särge, in denen sie dann kremiert werden. Auch unter dem Semester, während des Kurses, führen wir besondere präparatorische Aufgaben an den Körpern durch. Sobald also jemand verstirbt und ein Vermächtnis im Institut hinterlegt hat, dass er seinen Körper der Lehre spendet, kommt dieser Körper zu uns und wir bereiten ihn vor.
Rensinghoff: Meistens läuft es so ab: Sobald es einen Verstorbenen mit Vermächtnis gibt, klingelt bei uns das Telefon und es heißt: „Hallo, es kommt ein Körperspender, könnt ihr uns helfen?“ Im Institut ziehen wir uns dann ein Atemgerät an, das die Luft filtert. Damit wir quasi nichts einatmen, was in der Luft ist, da wir die Leiche mit Chemikalien behandeln.

Arbeiten in der Anatomie der Universität Freiburg: Philipp Rensinghoff und Johannes Bulk
chilli: Wie alt sind die Personen im Durchschnitt?
Bulk: In der Regel über 80. Jüngere Menschen unter 50 dürfen diese Körperspende in Freiburg gar nicht machen. Den Studierenden wird ja ein Mensch in einem „normalen“ Verhältnis gezeigt, also keine Unfallopfer und auch keine Krebspatienten oder so. Die Menschen versterben also alle an einem natürlichen Tod oder an einer Krankheit, meistens im höheren Alter. Dazu gibt es auch ein Video auf der Seite der Universität.
chilli: Wenn die Leiche vor Ihnen liegt, denken Sie dann über den Menschen nach?
Bulk: Am Anfang, als Student, macht man sich da schon Gedanken, wenn man zum ersten Mal mit dem Körper konfrontiert wird und auch präpariert. Da fragt man sich, was die Person wohl gemacht hat, wie sie wohl gelebt hat, ob sie eine Familie hatte. Wenn man zum Beispiel das Gehirn in der Hand hat, das ist dann schon krass. Alles, was dieser Mensch jemals gedacht oder gefühlt hat, ist in diesem Ding drin gewesen. Das ist schon faszinierend. Mit der Zeit entwickelt man aber eine professionelle Distanz dazu.
Rensinghoff: Im Arbeitskontext ist das für mich persönlich kein Problem. Sobald man eine Nadel in einen Arm steckt, ist das auch sehr objektivierend.
Beim Mittagessen plaudern sie über Tote
chilli: Sie wohnen auch zusammen, sprechen Sie über Ihren Job im privaten Alltag?

Auch privat sprechen sie über den Job: Philipp Rensinghoff und Johannes Bulk
Rensinghoff: Wenn wir gemeinsam im Institut gearbeitet haben und etwas nicht Alltägliches passiert ist, dann schon. Andere Menschen sind da manchmal etwas irritiert. Weil, es arbeitet halt wirklich nicht jeder mit toten Menschen, und dann kann es durchaus befremdlich sein, wenn das Telefon klingelt, man es auf laut hat und jemand anfängt, von Verstorbenen zu reden. Auch wenn man uns fragt, ob wir als Studenten irgendwo jobben würden, ernten wir eigentlich immer ungläubige Blicke, wenn wir dann von der Anatomie erzählen. Dann werden wir auch oft gefragt, ob das denn nicht „eklig“ oder „gruselig“ sei.
Bulk: Wir können dann sagen, dass die Arbeit mit Toten nichts davon ist. Aber natürlich ist das eine Frage der Gewöhnung. Man verliert schon die Hemmung und hat dann auch kein Problem damit, beim Mittagessen zu erzählen, ob die Arbeit heute reibungslos verlief oder ob man zum Beispiel noch einen Körper aus dem Bad holen muss. Für Leute, die dann mit uns am Tisch sitzen, ist das oft kein schönes Thema und sie fragen dann auch nicht mehr genauer nach. Dadurch, dass wir das nun schon ein Jahr machen und durch unsere Wohnsituation und Corona eh nur im eigenen Saft kochen, vergessen wir öfters, wie befremdlich und unangenehm das Thema sein kann.
chilli: Welchen Mehrwert gibt der Job?
Rensinghoff: Natürlich ganz simpel ist es fachliche Erfahrung im Bereich der Präparation und Anatomie. Für mich ist es einfach auch Interesse und Neugier.
Bulk: Das Fachliche, würde ich auch als Erstes sagen. Außerdem ist das die erste Berührung oder der erste Eintritt in das universitäre Leben. Man bekommt einen Eindruck, wie es vielleicht später ist, in der Universität zu arbeiten.
chilli: Vielen Dank für dieses Gespräch.
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