»Für die meisten Unternehmen war Russland kein wichtiger Markt« business im Breisgau | 18.03.2022 | Philip Thomas

Tankanzeige leer auf türkisem Hintergrund

Wirtschaftsverbände IHK und wvib befürworten Sanktionen gegen Russland: Noch ist das Ausmaß des Krieges in der Ukraine für Betriebe in Baden nicht abzusehen. Auf der Liste der wichtigsten Handelspartner für den Wirtschaftsstandort belegt Russland laut Experten von Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie Schwarzwald AG einen der hinteren Plätze. Sie warnen jedoch vor Folgen für die Weltwirtschaft und einem Energie-Embargo.

„Immer mehr Unternehmen kappen in diesen Tagen ihre Beziehungen. Zum Teil, weil Geschäfte nicht mehr möglich sind. Zum Teil, um ein Zeichen gegen das Gebaren Moskaus zu setzen“, betont Christoph Münzer, Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden (wvib) Schwarzwald AG mit 1049 Unternehmen. Der wirtschaftliche Exodus deutscher Firmen in Russland sei in dieser Form einzigartig.

Laut Frédéric Carrière, Referent Auslandsmärkte und Zoll bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Südlicher Oberrhein, stehe die Weltwirtschaft vor einem Wandel: „Die Energiepreise werden weiter steigen. All das hat inflationäre Tendenzen bei vermutlich stagnierender oder nur schwach wachsender Wirtschaft.“

Bekannt ist bereits: Betriebe unter dem Mantel der IHK sowie wvib pflegen keine besonders engen Handelsbeziehungen in die Russische Föderation. „Für die meisten Unternehmen war Russland kein strategisch wichtiger Markt. Die Bedeutung ist nicht so groß, wie man ob des militärischen Auftretens und der Fläche des Landes glauben könnte“, so Münzer.

Der Anteil beim Exportgeschäft Richtung Russland ist laut Carrière ebenfalls überschaubar: „2020 lag Russland auf Platz 16 der 20 wichtigsten Ausfuhrhandelspartner Baden-Württembergs.“ Rund 100 Firmen aus der Region unterhielten Geschäftsbeziehungen nach Russland. Im Falle der Ukraine seien es knapp 50 Betriebe.

Wirtschafsexperte Frédéric Carrière

Den Energiemarkt im Blick: Wirtschafsexperten Frédéric Carrière und Christoph Münzer (unten)

Für Münzer ist Russland von Deutschland wirtschaftlich abhängiger als umgekehrt. Lediglich zwei Prozent der deutschen Exporte gehen nach Russland. Bei den Importen liegt die Quote bei knapp drei Prozent. Trotzdem erwartet der Experte durch den Krieg Produktionsausfälle: „In Russland wurde viel verkauft, in der Ukraine produziert.“ So stammen viele Kabelbäume in deutschen Autos aus der Ukra­ine. „Diese Lieferengpässe können weitreichende Folgen haben“, kommentiert Münzer.

Die beiden Experten haben die russischen Gaslieferungen im Blick. „Noch ist nicht klar, ob Moskau den Gashahn vollständig zudrehen wird – auf die Energieversorgung dürfte wohl der größte Stresstest zukommen“, vermutet Münzer.

Zum Redaktionsschluss liebäugelt die Bundesregierung nicht mit einem Liefer-Stopp von russischem Öl und Gas – wohl aber der russische Präsident Wladimir Putin. Es wäre die nächste Eskalationsstufe: Angesichts des Marschbefehls russischer Truppen Richtung Ukraine hatte Bundeskanzler Olaf Scholz am 22. Februar den Stopp des Genehmigungsverfahrens für die Pipeline „North Stream 2“ angekündigt. 55 Milliarden Kubikmeter Gas sollten jährlich über eine Strecke von rund 1234 Kilometer ohne Umweg vom russischen Ust-Luga an die deutsche Ostseeküste fließen.

Als vergleichsweise rohstoffarmes Land ist die Bundesrepublik auf den Import von Ressourcen angewiesen. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes deckt Deutschland immerhin rund 70 Prozent des Energieaufkommens durch Importe. Bei Erdgas (laut Bundesnetzagentur insgesamt 1674 Terrawattstunden im Jahr 2020) liegt die Einfuhrquote bei rund 94 Prozent. Wiederum zwei Drittel (67 Prozent) dieser Importe stammen aus Russland, ­beziehungsweise der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, zu denen auch Belarus zählt.

Christoph Münzer

19,4 Milliarden Euro überwies Deutschland laut Statistischem Bundesamt allein vergangenes Jahr für Öl und Gas nach Russland. Das entspricht einem Zuwachs von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und laut Stockholmer Institut für Friedensforschung etwa einem Drittel des russischen Militäretats im Jahr 2020 (rund 56,5 Milliarden Euro).

Mit einem Anteil von 28,5 Prozent an der baden-württembergischen Gesamteinfuhr von Erdöl und Gas war jedoch nicht Russland, sondern Libyen für den Südwesten das wichtigste Herkunftsland der beiden Rohstoffe. Laut Mara Mantinger, Sprecherin des Statistischen Landesamts, belegte Russland vergangenes Jahr Platz zwei mit einem Anteil von 15 Prozent, gefolgt von den Vereinigten Staaten (12 Prozent) und Kasachstan (10 Prozent).

Allerdings war Russland 2021 sowohl für Baden-Württemberg als auch für die gesamte Bundesrepublik der Toplieferant von Kohle. 53,7 Prozent beziehungsweise 48,7 Prozent des gesamten aus dem Ausland gelieferten schwarzen Brennstoffs stammen demnach aus Russland.

Sowohl wivib als auch IHK stehen hinter den aktuellen Sanktionen. „In der Solidarität mit der Ukraine kommt auch zum Ausdruck, dass in dem brutalen Überfall auf ein demokratisches Land durch Putins Diktatur unser freiheitliches Gesellschaftssystem, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zur Disposition stehen“, betont Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein.

Auch für Münzer sind wirtschaftliche Maßnahmen gegen Russland nach dessen Angriff auf die Ukraine unumgänglich: „Die Situation in der Ukraine steht absolut im Vordergrund – dort sterben Menschen, es wäre empathielos und falsch, sich über entgangene Umsätze zu ärgern. Wirkungsvolle Sanktionen sind deshalb ohne Alternative.“

Illustration: business im Breisgau
Fotos: © Michael Bode für IHK Südlicher Oberrhein, wvib