Altes Handwerk: die Strohschuhmacherin aus Amoltern Freizeit in der Regio | 18.01.2022 | Tanja Senn

Selbstgemachte Strohschuhe

Bis zu 15 Stunden – so lange braucht Marlies Fischer für ein einziges Paar Strohschuhe. Die Winzerin aus Amoltern ist die Einzige am Kaiserstuhl, die die traditionellen Finken noch von Hand flechtet – genau so, wie sie es vor mehr als 40 Jahren gelernt hat.

In dicken Bündeln hängen Naturbast und Maislaub auf der Terrasse des Winzerhofs von Marlies und Roland Fischer. An einem Nagel in ihrer Wohnung befestigt die 65-Jährige das Naturmaterial und beginnt, lange Zöpfe zu flechten. Vierfach, nicht dreifach, wie Fischer betont – der Optik wegen. Diese bis zu 18 Meter langen Zöpfe legt sie dann um einen Leisten und näht sie von Hand aneinander. Als Sohle dient ein stabiles Stück Krepp, das mit einer Schuhmacherpresse daraufgeklebt wird. Ein Innenfutter aus buntem Stoff vervollständigt den traditionellen Schuh.

12 bis 15 Stunden braucht die Strohschuhmacherin für ein Paar – das Besorgen der Stoffe, des speziellen Garns und der Naturmaterialen nicht mitgerechnet. Als „Hobby für den Winter“ bezeichnet Fischer ihr traditionelles Handwerk, mit dem sie beginnt, wenn im Herbst die Weinlese beendet ist. Mittlerweile beschränkt sie sich vor allem auf ihre Stammkunden, die teilweise seit Jahrzehnten bei ihr bestellen.

Die Schuhmacherin in Aktion

Als Fischer den Stoff für die Umrandung zurechtschneidet, klingelt das Telefon. Am Apparat ist eine Frau, die ihr erstes Paar Finken vor vierzig Jahren bei ihr bestellt hat. Jetzt hätte sie – zwei Wochen vor Weihnachten – gerne noch ein Paar zum Verschenken. So kurzfristige Zusagen macht Fischer nur noch ihren langjährigen Kunden. Das Neinsagen musste sie erst lernen. Vor ein paar Jahren saß sie an Heiligabend noch daran, die letzten Schuhe fürs Fest fertigzustellen.

Dass die Nachfrage bei ihr nicht abreißt, hat viel damit zu tun, dass handgefertigte Strohschuhe in Deutschland heute Seltenheitswert haben. Die meisten Exemplare, die als Hausschuhe oder als Hexenschuhe bei der Fasnet getragen werden, sind im Ausland gefertigt. Mit Fischer wird diese Tradition am Kaiserstuhl wohl irgendwann aussterben. „Das will niemand mehr machen“, sagt sie, „es lohnt sich einfach nicht mehr.“

Mit einer routinierten Handbewegung lässt sie die dicke Nadel durch Stoff und Bast gleiten. Lange ist nichts zu hören außer dem gelegentlichen Klappern der Schere, dem Radio im Nebenzimmer und dem leisen Schnaufen des Hundes, der in seinem Körbchen neben dem Tisch liegt. Dann schaut Fischer entschuldigend wieder auf. „Wenn man da dransitzt, vergisst man die Welt um sich herum.“

Aus diesem Grund hat sie noch lange nicht vor, den Leisten an den Nagel zu hängen. Ihre Tür steht auch immer für Kunden offen, an deren Strohschuhen etwas kaputt ist. Dieser Reparaturservice ist bei Fischer inklusive. Allzu viel Aufwand ist es nicht – was ihre Kunden so schätzen, ist schließlich die Langlebigkeit ihrer Finken. Fünf bis zehn Jahre halten sie durchschnittlich, selbst bei täglichem Gebrauch, erklärt die gebürtige Kaiserstühlerin: „Was ich mache, ist der Ferrari unter den Strohschuhen.“

www.strohschuhe-amoltern.de

Fotos: © Tanja Senn