Geschichte hautnah: Fort de Mutzig Erkunden & erleben | 04.07.2023 | Astrid Lehmann

Fort de Mutzig: Kanonenbatterie Geld, Intelligenz und Arbeitskraft für den Krieg: das Fort de Mutzig.

Eine Festungsanlage gigantischen Ausmaßes. So gewaltig, dass man die Größe des zum Großteil unter der Erde errichteten Bauwerks kaum erfassen kann. Das kaiserliche Bollwerk im Elsass gibt Einblicke in die ­Militärhistorie und ist gleichzeitig ein Mahnmal für den Frieden.

Etwa 25 Kilometer südwestlich von Straßburg zweigt in Dinsheim-sur-Bruche eine kleine Straße ab in die hügelige Vor-Vogesenlandschaft. Wiesen mit Wildblumen säumen den Weg. Der Blick öffnet sich in die Rheinebene und in die Vogesen. Nichts lässt erahnen, wie tief man hier in die deutsch-französische Geschichte eintauchen wird. Und das ist ganz wortwörtlich zu verstehen, denn die „Feste Kaiser Wilhelm II.“, einst militärische Musteranlage des Deutschen Kaiserreichs, ist kein trutziges, weithin sichtbares Bauwerk, sondern ein seinerzeit hochmodernes, meist unterirdisches Kasernensystem.

Die Anfahrt könnte nicht idyllischer sein, das Fleckchen Erde rund um die Festungsanlage strahlt Frieden aus. Das klingt zunächst eigenartig, denn schließlich verbirgt sich unter der Oberfläche eine Kriegsmaschinerie. Doch heute symbolisiert die Feste die deutsch-französische Freundschaft in einer Region, die turbu­lente Zeiten erlebt hat. Die Mitglieder des Vereins „Fort de Mutzig“ – wie die Anlage auf Französisch heißt –, die sich seit 1984 für den Erhalt und die Restaurierung der Festung einsetzen, kommen zu gleichen Teilen aus beiden Ländern. Eine tiefe Verbundenheit vereint sie in einem leider unruhigen Europa. Und der Wille, die gemeinsame Geschichte in die Zukunft zu tragen.

Fort de Mutzig: Die Bäkerei im Untergrund und Purpur-Knabenkraut auf dem Außengelände

Kontrastprogramm: Bäckerei im Untergrund, Purpur-Knabenkraut auf dem Außengelände.

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurden das Elsass und Teile Lothringens dem Deutschen Kaiserreich angegliedert. Die Grenzen hatten sich verändert. Sofort beginnen beide Seiten, die Fronten zu befestigen – ein neuer Krieg wurde erwartet. Kaiser Wilhelm II. gibt im Jahr 1893 den Auftrag, in Mutzig eine neue Festung bauen zu lassen. Bei ihrer Fertigstellung 1916 ist sie die größte deutsche Befestigungsanlage. Vor allem die technischen Innovationen sind von Bedeutung, handelt es sich doch um die erste elektrifizierte, betonierte und gepanzerte Feste in der Geschichte: Kanonen mit einer Feuerkraft von mehr als 6 Tonnen Granaten pro Minute sind in den Panzertürmen platziert, unterirdische Anlagen aus industriell gefertigten Betonplatten sollen auch Angriffen mit dem völlig neuen, zerstörerischen Sprengstoff Menilit standhalten, vier Kraftwerke versorgen die Anlage mit Strom, vier Brunnen stellen die Wasserversorgung sicher.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 waren hier 7000 Menschen zusammengepfercht, die wochenlang in unterirdischen Gängen ausharren und hausen mussten. Zumindest fanden keine Kampfhandlungen statt. Die Anlage diente im Ersten Weltkrieg, bei dem weltweit rund neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten den Tod fanden, vorwiegend der Abschreckung.

Etwa ein Zehntel der mehr als zweieinhalb Quadratkilometer großen Anlage hat der Verein Fort de Mutzig in jahrzehntelanger Arbeit restauriert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit 2020 können Besucher die Festung in Eigenregie besichtigen. Ein Handzettel dient als Wegweiser durch Grabenwehr und Infanterieräume unter der Erde sowie übers Außengelände mit gepanzertem Beobachtungsstand und Kanonenbatterie.

Ein unterirdischer Gang im Fort de Mutzig

Dieser unterirdische Gang lässt die gigantischen Ausmaße des Bollwerks ein wenig erahnen.

Beeindruckend sind die unterirdischen Infanterieräume. Viele Ausstellungsstücke und Originalgegenstände, sogar Kritzeleien an den Wänden, lassen die Besucher eintauchen in die Vergangenheit. Bis zu drei Monate sollten die Soldaten hier autonom (über-)leben können. In den Mannschaftsräumen stand jedem Soldaten gerade mal ein Quadratmeter Platz zur Verfügung. Die Männer schliefen auf Klappbetten, die sich tagsüber in Sitzbänke verwandeln ließen. Obwohl es sich aus damaliger Sicht um eine moderne Festungsanlage handelte, mit Strom und Lüftung, litten die Soldaten unter der Enge, dem Gestank und dem ständigen Lärm. Für Ratten, Läuse und Flöhe boten die beengten Verhältnisse ideale Bedingungen. Hinzu kam die Feuchtigkeit, die sich in den unterirdischen Gängen ausbreitete. Doch nur nachts durften die Kaminöfen angefeuert werden, tagsüber hätte der Rauch die Präsenz der Deutschen verraten.

Die Feste verlässt man mit einem Gefühl der Beklemmung. Und der Dankbarkeit, heute zu leben, trotz der unruhigen Zeiten, die wir momentan erfahren. Fast erleichtert richtet sich dann der Blick auf die wilden Orchideen, die hier im Sommer blühen. Doch ihre Schönheit lässt nicht vergessen, dass der Frieden ein kostbares Gut ist, was sich hier, in der Feste Kaiser Wilhelm II., Zeitzeugnis unserer europäischen Geschichte, unmittelbar erleben lässt.

 

Info

Fort de Mutzig
Rue du Camp
67190 Dinsheim-sur-Bruche
Tel.: +33 6 08 84 17 42
info@fort-mutzig.eu
www.fort-mutzig.eu

Die Feste kann in Eigenregie besucht werden. Im Eintrittspreis enthalten ist ein ausführliches Informationspapier in deutscher Sprache. Für Gruppen gibt es auch die Möglichkeit, eine Führung zu buchen.

Einkehrtipp

Anatable

Das Wesentliche auf dem Tisch: Serviert wird die Frische des Wochenmarkts. Nur regionale und saisonale Lebensmittel landen auf dem Teller – lecker! Mittags gibt es ein preiswertes Tagesgericht, abends ein À-la-carte-Menü.

Restaurant Anatable
69 rue du Général de Gaulle
67190 Dinsheim sur Bruche
Tel.: + 33 3 88 04 02 40
www.restaurant-molsheim.fr

Fotos: © Fort de Mutzig, iStock.com/Iva Vagnerova