Alles außer gewöhnlich: Oudolf-Garten in Weil am Rhein Haus & Garten | 04.09.2022 | Frank von Berger
Gräserbüschel, kratzige Disteln und Farbtupfer von blühenden Sommerstauden – auf den ersten Blick sieht es ziemlich wild aus auf dem Vitra-Campus. Was zufällig wirkt, hat der Nieder-länder Piet Oudolf bis ins kleinste Detail geplant: einen ganzjährig bezaubernden Garten.
Seit dem Frühjahr 2020 haben sich Stauden, Gräser, Büsche und Blumen breit gemacht. Durch das rund 4000 Quadratmeter große Gelände schlängeln sich brezelartig verschlungene Kieswege und bieten immer neue Perspektiven auf die Pflanzungen und die umgebende Architektur. Der renommierte niederländische Landschaftsgärtner Piet Oudolf hat für das Unternehmen Vitra einen Garten entworfen, der ziemlich anders als übliche Parkanlagen ist. Hier gibt es keine kurz geschorenen, großen Rasenflächen, keine akkurat gestutzten Hecken und erst recht keine mit bunten Sommerblumen bestückten Schaubeete. Der naturnah anmutende Oudolf-Garten in Weil besteht aus rund 30.000 Pflanzen, vorwiegend Stauden und Gräser, die vom Meister des „Neuen Naturalismus“ für eine ganzjährig ästhetische Wirkung zusammengestellt wurden. Denn das Grundgerüst typischer Oudolf-Gärten sind Pflanzen, die über die Jahreszeiten hinweg reizvoll aussehen, und zwar nicht nur zur Blütezeit, sondern auch im Werden und Vergehen – sogar im Winter. Ein Konzept also, das sich grundsätzlich von den zierenden Blumenrabatten im traditionellen englischen Stil unterscheidet. Dieser Garten ist eher ein Hauch anmutiger Natürlichkeit im Lauf der Zeiten als eine üppige Zurschaustellung saisonaler Blütenpracht für den Augenblick.
Wild und emotional berührend
Piet Oudolf gilt als einer der Pioniere des „New Perennial Movements“, also einer Bewegung in der Gartenszene, die seit den 1980er-Jahren eine neuartige Verwendung von Stauden propagiert. Schon damals träumte Oudolf von Gärten, die weniger dekorativ und arbeitsintensiv sind, dafür ressourcenschonender, wilder und emotional berührender. Heutzutage würde man das vielleicht als „nachhaltiges Gärtnern“ bezeichnen. Das Wall Street Journal nannte ihn wegen seiner unkonventionellen Gartenkonzepte einmal „Rockstar unter den Gartengestaltern“. Andere Kritiker sehen ihn als „Koloristen“, der mit den Farben der Pflanzen flächige Beete fast impressionistisch gestaltet. Er selbst nennt sich „Landschaftsgartendesigner mit einem Schwerpunkt auf Pflanzungen“. Das klingt zwar etwas sperriger, ist aber durchaus zutreffend.
Der 1944 in Haarlem geborene Niederländer hat in den letzten zwei Jahrzehnten international bekannte Anlagen wie den Garten der Galerie Hauser & Wirth in Somerset, die Lurie-Gardens in Chicago und die Serpentine Gallery im Londoner Hyde Park entworfen. Sein wohl bekanntestes Projekt ist der High Line Park in New York City, ein aufgelassenes Hochbahnviadukt, das Oudolf in eine botanische Oase inmitten der Metropole verwandelte. In Deutschland realisierte Oudolf unter anderem im Gräflichen Park in Bad Driburg seine charakteristischen Pflanzungen.
Pflegeleichte Pflanzen statt Hätschelkinder
Der Vitra-Garten zeigt bei genauer Betrachtung, dass hier nichts dem Zufall überlassen wurde. Am Anfang standen Oudolf alle Optionen auf dem Campus offen, aber er entschied sich, den Garten direkt vor dem vom Basler Architektenteam Herzog & de Meuron entworfenen Schauhaus anzulegen. Die Menschen sollten, wenn sie dort herauskommen, den Garten sehen und sich dorthin eingeladen fühlen. Der nächste Schritt war ein Masterplan, der festlegte, wie die Besucher sich im Garten bewegen könnten. Die Arbeiten der Brüder Ronan und Erwan Bouroullec, eine marmorne Brunnenrinne und ein Ring aus Stahl um einen alten Kirschbaum, waren bereits vorhanden und wurden in das Konzept eingebunden.
Aber im Garten sollte es ansonsten keine geraden Linien und keinen Kristallisationspunkt geben. Ausschlaggebend sollten der Perspektivwechsel und die individuellen Entscheidungen der Besucher sein. „Sich verlieren auf den Wegen“, das hatte Oudolf bei der Planung im Sinn. Deshalb gibt es nichts Linerares, keine geraden Sichtachsen. Schließlich erstellte Oudolf eine Liste von Pflanzen, von denen er wusste, dass sie auf dem ganztägig sonnigen Gelände „funktionieren“. Denn die standortgerechte Auswahl von Gewächsen ist ein wesentlicher Aspekt der Anlagen Piet Oudolfs, damit sich die Pflege möglichst problemlos gestaltet. Hier gehören Trophäenpflanzen und Hätschelkinder einfach nicht hin. Aus der Liste geeigneter Gewächse suchte Oudolf schließlich jene Pflanzenarten aus, mit denen er den Garten „komponierte“. Denn beim Gestalten eines Gartens ist es seiner Meinung nach so wie bei der Komposition eines Musikstücks: „Es gibt nur wenige Noten, aber unendlich viele Arten von Musik“. Farben spielen zwar eine Rolle, aber auch andere Aspekte, nicht zuletzt akustische, wie etwa das Rascheln von Gräsern im Wind.
Der Überschwang der Blüten im Frühsommer ist nur ein Bestandteil der Pflanzung. Deshalb bleiben die Gewächse bis zum Spätwinter unangetastet auf den Beeten. Die welken Blüten, die Fruchtstände und das schüttere Laub der Stauden und Gräser im Winterhalbjahr sind wesentliche Gestaltungselemente für den Gartenkünstler. Bei Frost verzaubern Raureif und Schnee die Relikte des vergangenen Sommers auf den im Winterschlaf schlummernden Staudenbeeten. Es lohnt sich daher selbst im Winter ein Besuch in diesem außergewöhnlichen Garten.
Info
Oudolf-Garten auf dem Vitra-Campus
Charles-Eames-Straße 2
79576 Weil am Rhein
www.vitra.com
Öffnungszeiten: Ganzjährig, täglich 10–18 Uhr
Eintritt frei
Fotos: © Frank von Berger