Tolle Knolle: Alte Gemüsesorte neu entdeckt Haus & Garten | 12.11.2020 | Frank von Berger

Pflanze Topinamburfeld Ihre gelben Blüten erinnern an zierliche Sonnenblumen.

Die sonnengelben Blüten des Topinamburs erscheinen spät im Jahr und machen die Pflanze zu einem Hingucker im Herbstgarten. Die nahrhaften Knollen galten einst als „Arme-Leute-Essen“, heute werden ihre kulinarischen Qualitäten wiederentdeckt.

In der REGIO kennen viele den Topinambur als „Rossler“, also in hochprozentiger, verflüssigter Form. Doch die Pflanze aus der Familie der Korbblütler hat auch eine lange Tradition als Gemüse. Der Volksmund nennt sie Ewigkeitskartoffel, Knollensonnenblume, Erdbirne, Borbel, Jerusalem-Artischocke oder Ross-Erdapfel. Die letztgenannte Titulierung gab dem aus den Knollen gebrannten Schnaps, dem „Rossler“, seinen Namen.

Topinambur Knollen

Waschen und abbürsten reicht, geschält werden muss die Topinambur-Knolle nicht.

Die schlanke, bis drei Meter hohe Staude hat sonnengelbe, bis acht Zentimeter breite Körbchenblüten, die an zierliche Sonnenblumen erinnern, mit denen sie auch verwandt ist. Wie diese stammt der Topinambur aus Nordamerika, wo die Ureinwohner schon seit jeher seine nahrhaften Knollen verzehrten. Als die Europäer in die Neue Welt kamen, lernten sie die dort einheimischen Nutzpflanzen kennen und schätzen. Der französische Autor und Reisende Marc Lescarbot schrieb 1609 in seiner „Geschichte Neufrankreichs“ über eine Expedition nach Kanada: „Als die Notwendigkeit des Überlebens kam, machte Gott, dass man Wurzeln fand, die heute die Wonnen einiger Tafeln in Frankreich sind.“ So kam der Topinambur (manche nennen ihn auch die Topinambur) Anfang des 17. Jahrhunderts nach Europa. Zufällig wurden zur gleichen Zeit brasilianische Indios vom Stamm der Tupinambá nach Paris gebracht, um sie zur Volksbelustigung zur Schau zu stellen. Dort etablierte sich der exotisch klingende Name topinamboux bald für die aus Übersee eingeführte essbare Knolle; im Deutschen wurde daraus Topinambur.

Trendgemüse Topinambur

Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) wurde Topinambur vielerorts in Deutschland als Nahrungs- und Futterpflanze angebaut. Das Gewächs genoss eine große Popularität, bis ihm diese etwa ab 1750 von der vielseitiger verwendbaren und ertragreicheren Kartoffel streitig gemacht wurde. Topinambur galt fortan als „Arme-Leute-Essen“. Nur die Südbadener bauten stur weiter die botanisch Helianthus tuberosus genannte Staude an, nicht zuletzt, um daraus den am Oberrhein beliebten „Rossler“ zu brennen. Als Gemüse war Topinambur allerdings auch hierzulande bis vor wenigen Jahren so gut wie vergessen. Erst die Rückbesinnung auf eine regionale und saisonale Küche sowie auf alte Gemüsearten lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die inzwischen auch als Trendkost geschätzte Knolle.

Topinamburknollen und Messer

Die Schale der Knollen ist rot, braun oder auch bläulich.

Roh genossen schmeckt Topinambur leicht nussig und hat einen leichten, aber aparten Erdgeschmack. In den Gourmettempeln der USA gilt Topinambur neuerdings als ultimativer Genuss. Auch wird die fleischige Wurzel dort zu Diabetikernudeln verarbeitet. Hauchdünn aufgeschnitten als Carpaccio kann Topinambur mit einer Vinaigrette beträufelt oder als knackige Zugabe über frischen Feldsalat geraspelt werden. Köstlich schmeckt aber auch ein feines Süppchen aus der Knolle. Und natürlich kann man gekochten Topinambur wie Kartoffeln oder als cremiges Püree servieren. Die gegarten Knollen erinnern geschmacklich und von der Konsistenz her an Artischockenböden, was auch den Namen Jerusalem-Artischocke begründet. Die Anspielung auf die Heilige Stadt geht indes auf die Engländer zurück. Sie sollen einst die italienische Bezeichnung für Topinambur, girasole articiocco („Sonnenblumen-Artischocke“), als jerusalem articiocco verballhornt haben.

Gesunder Sattmacher

Die Schale der Knollen ist, je nach Sorte, gelb, rot, braun oder bläulich und so dünn, dass sie eigentlich nicht abgeschält werden muss. Gründlich waschen und abbürsten reicht. Topinambur enthält neben pflanzlichem Eiweiß auch Mineralien wie Kalium sowie Vitamine, etwa Karotin, B1, B2 und C. Ein wichtiger Inhaltstoff ist das Inulin (nicht zu verwechseln mit dem Bauchspeicheldrüsen-Hormon Insulin). Inulin ist ein Polysaccharid, das in der Diabetes-Therapie als Stärkeersatz dienen kann, da es den Blutzuckerspiegel nicht beeinflusst. Bei empfindlichen Menschen kann der Verzehr von inulinhaltigen Lebensmitteln allerdings zu Blähungen führen. Vor allem macht Topinambur aber satt, ohne dass es sich auf den Hüften niederschlägt. Einhundert Gramm enthalten gerade mal 30 Kalorien. Zu goldgelbem bis braunem Sirup verarbeitet wird Topinambur übrigens als alternatives Süßungsmittel in Reformhäusern angeboten.

Topinambur Blüten

Geerntet wird der gelb blühende Topinambur im Winter.

Die tolle Knolle hat zwar ein feines Aroma, das zu kulinarischen Experimenten verführt, aber sie ist im Anbau alles andere als anspruchsvoll. Es ist denkbar einfach: im März ein flaches Loch in die Erde buddeln, eine Knolle reindrücken, angießen und abwarten. Die Ernte kann Anfang November beginnen und sich bei frostfreiem Wetter über den ganzen Winter ausdehnen. Am besten erntet man immer nur die Menge, die man im Moment verbrauchen will. Denn wegen der dünnen Schale trocknen ausgegrabene Knollen ziemlich rasch ein. Bei so viel Genügsamkeit, gutem Geschmack sowie reichlich wertvollen Inhaltsstoffen verwundert es eigentlich, dass man die Knollen von Topinambur bei uns fast nur in Bio-Läden und auf Bauernmärkten findet.

Fotos: © iStock/ kaanates, Frank von Berger