Bank als Brücke: Schützen Freiburgs Schwätzbänkle gegen Einsamkeit und Kriminelle? Gesellschaft | 24.11.2024 | Till Neumann
Können Schwätzbänkle Menschen zusammenbringen? Till Neumann (links) befragt dazu Pastoraltheologe Bernhard SpielbergJeder vierte Mensch in Deutschland fühlt sich einsam. Freiburg möchte das Problem mit Schwätzbänkle angehen. Seit Juni stehen 15 davon im Stadtgebiet. Sie sollen sogar vor Kriminellen schützen. chilli-Redakteur Till Neumann hat mit der Initiatorin gesprochen und einen Forscher auf dem Schwätzbänkle im Stadtgarten zum Thema Einsamkeit befragt. Der schlägt vor, eine Idee aus Paris in den Breisgau zu bringen.
Schutz vor Enkeltrick
Der Stadtgarten ist ruhig an diesem Dienstagmittag Anfang November. Die Parkbänke sind trotz wohliger Sonne leer. Auch die eine, die etwas anders ist. Nur eine kleine Plakette verrät das: „Platz nehmen, erzählen, zuhören“, steht da. Die Infoseite der Stadt zeigt, dass das alles andere als banal ist. Die Idee der „Happy to chat benches“ stamme aus England. Sie sollen Menschen zusammenbringen und sogar schützen: „Wer sich weniger einsam fühlt, wird seltener zum Opfer von Betrugsstraftaten wie zum Beispiel dem Enkeltrick.“
Eine Bank gegen Betrüger? Sabine Burkhardt von der Kriminalprävention des Rathauses ist davon überzeugt. Die 52-Jährige hat 2022 von dem Projekt beim Deutschen Präventionstag erfahren. Dort berichtete ein englischer Polizist, dass die Benches in Großbritannien erwiesenermaßen vor Betrugsstraftaten schützen. „Wir brauchen eh insgesamt mehr Treffpunkte im öffentlichen Raum“, sagt sich Burkahrdt und stieß mit der Idee auf offene Ohren.
„Die Idee ist großartig“
Kein Wunder. Jeder vierte Erwachsene in Deutschland fühlt sich sehr einsam. Das hat das Deutschland-Barometer-Depression von 2023 gezeigt. Bundesministerin Lisa Paus hat sich dem Thema angenommen – und vergangenes Jahr 111 Maßnahmen gegen Einsamkeit vorgelegt. Ein Baustein sind auf kommunaler Ebene die Schwätzbänkle – andernorts auch Babbel-Bank genannt. 15 stehen seit Juni in Freiburg. Initiiert von der Stadtverwaltung, dem Stadtseniorenrat, dem Verein Sicheres Freiburg und finanziell unterstützt von der Volker-Homann-Stiftung.
Auch Pastoraltheologe Bernhard Spielberg von der Uni Freiburg hat davon gehört. „Ich finde die Idee großartig“, sagt der 48-Jährige und macht es sich auf dem Bänkle im Stadtgarten gemütlich. Denn Deutschland tue sich schwer: „Wir leben hier in einer kühleren Kultur, wo es nicht so üblich ist, andere anzusprechen.“ Umso schöner sei es, wenn man hier zeigen kann: Ich bin ansprechbar oder ich möchte gern mit Leuten reden.
„Großzügigkeit praktizieren“
Man denke bei Einsamkeit oft an eine ältere Frau, die verwitwet ist und alleine lebt, so Spielberg. Doch Untersuchungen zeigten, dass auch jüngere Menschen, die zum Beispiel zum Studium nach Freiburg kommen, davon betroffen seien. Das Problem ist für ihn von grundsätzlicher Natur: „Wenn ich in den Zug einsteige und mit meinem Nebenmann, meiner Nachbarin ein Gespräch anfange, könnte es sein, dass sie das als Belästigung empfindet.“
Gegen Einsamkeit kann man etwas tun, findet Spielberg: „Das eine ist, zu begreifen, dass nicht die Einsamen schuld daran sind, dass sie einsam sind.“ Solche Menschen seien vielmehr oft in einer Lebenslage, die es ihnen extrem erschwert, Kontakte zu haben. Er wünscht sich daher, „dass diejenigen, die in stabilen Beziehungen sind, eine Großzügigkeit praktizieren denen gegenüber, die nicht dazugehören“. Das gelte fürs Büro genauso wie für den Freundeskreis oder die Verwandtschaft. Auf andere zuzugehen sei „eine Kleinigkeit, die viel ausmacht“.
Lächeln ohne übergriffig zu sein
Spielberg rät, „keine Puppe im Alltag zu werden“. Sondern Herzlichkeit zu zeigen. „Ich kann freundlich mit denen umgehen, die mir einfach nur über den Weg laufen.“ Also jemanden im Zug mal vorzulassen oder einer Person zuzulächeln, wenn sich Blicke streifen. Und das ganz ohne übergriffig zu sein.
England hat seit 2018 ein Ministerium gegen Einsamkeit. Japan seit 2021. Spielberg findet es gut, das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Doch auch im Kleinen könne man viel bewegen. Ein Beispiel aus Frankreich gefällt ihm besonders gut. In Paris gebe es in Stadtteilen das Projekt „Lulu dans ma Rue“. In Kiosken werde dabei Nachbarschaftshilfe organisiert. Heizung entlüften, Gassi gehen, babysitten … Auch im Schwarzwald gebe es Ähnliches. Bei Türöffner-Projekten der Caritas können Menschen Talentzettel ausfüllen und Bedürfnisse angeben. „Ich finde es großartig, die Stärken von Menschen zusammenzubringen“, betont Spielberg. Denn es sei leichter, Hilfe zu geben als Hilfe zu erbitten.
Plakette macht Unterschied
Dass Freiburger*innen – wie ab und an zu hören – verschlossen seien, findet er nicht. „Ich nehme hier viele freundliche Menschen wahr“, betont Spielberg. Sein Eindruck ist eher, dass sich viele Regionen damit rühmten, selbst die schwierigsten zu sein. Ob er sich selbst mal auf ein Schwätzbänkle setzen würde für ein gutes Gespräch? „Ja, weil ich echt Lust auf Deep Talk habe.“
Freuen dürfte das Initiatorin Sabine Burkhardt. Die Rückmeldungen zu den Bänkle seien großartig, berichtet sie. Aktionen wie ein Chorsingen oder ein Kuchenfest seien dort schon gelaufen und weitere geplant. In England hätten die Bänkle Zehntausenden geholfen. Auch hier klappt das für Burkhardt aus einem einfachen Grund: „Weil die Leute sich weniger scheuen andere anzusprechen, wenn diese Plakette dran ist.“
Im Netz >> Mehr zu den Schwätzbänkle in Freiburg gibt’s hier.
Fotos: © Till Neumann & privat