Vergessene Kinder – Wenn eine Sucht Familienleben bestimmt Gesellschaft | 24.06.2021 | Erika Weisser

MAKS (Modellprojekt Arbeit mit Kindern von Suchtkranken) Im MAKS (Modellprojekt Arbeit mit Kindern von Suchtkranken) in Freiburg finden betroffene Kinder Rat und Hilfe.

Bis auf wenige kurze Unterbrechungen ist das soziale Leben durch die Corona-Pandemie seit einem Jahr erheblich eingeschränkt. Das ist gerade für Kinder und Jugendliche eine enorme seelische Belastung: Vieles, was ihnen wichtig ist und was sie in ihrer Persönlichkeitsentfaltung stärkt, findet nicht mehr oder nur unter strengen Reglementierungen statt. Treffen und Feiern mit Freunden, Vereinssport,  Jugendgruppen, Kreativkurse oder Musikunterricht sind kaum mehr möglich, sämtliche Entwicklungs- und Freiräume sind stark beschnitten. 

In einer Zeit, da steigende oder fallende Inzidenzzahlen über Schulbesuch und Freizeitgestaltung bestimmen, beherrschen Unsicherheit und Unberechenbarkeit das Dasein derer, die ganz besonders auf Gewissheit und Verlässlichkeit angewiesen sind. Die Schule als sozialer Lernort fällt praktisch aus, die Kinder sind auf ihre Familien zurückgeworfen.. Und viele Kinder sitzen allein zu Hause, müssen ihr  Homeschooling weitgehend selbst managen, sind überfordert und von Versagensängsten geplagt.

Doch was ist, wenn die Familien nicht wirklich funktionieren, sie die zusätzlichen Belastungen des Ausnahmezustands nicht aushalten, weil sie ohnehin noch durch andere Faktoren belastet sind? Wenn die Mutter, der Vater oder gar beide an einer psychischen oder Suchtkrankheit leiden? Wenn die Eltern ihren Kindern schon unter normalen Bedingungen wenig Halt und Geborgenheit bieten können oder liebende Zuwendung nur auf seltene lichte Momente beschränkt ist? Wenn die Kinder nicht nur vor­übergehend, sondern dauerhaft in Unsicherheit und Unberechenbarkeit leben, sie keine Gewissheit und keine Verlässlichkeit kennen – außer der, dass sie im Zweifelsfall selbst für sich und ihre Geschwister sorgen müssen? Und die wissen, dass ein falsches Wort, die Äußerung eines eigenen Wunsches bei der alkoholkranken Mutter eine für sie katastrophale Reaktion auslösen kann. 

Von diesen Kindern und Jugendlichen ist selten die Rede. Dabei  leben in Deutschland etwa 2,65 Millionen Kinder in enger Gemeinschaft mit einem alkoholkranken Erwachsenen. Sie sind Stimmungsschwankungen und emotionaler Vernachlässigung ausgesetzt, ihre Kindheit ist geprägt von Scham, Angst, Schuldgefühlen und dem Gefühl, unbedeutend zu sein. Denn in einer Alkoholikerfamilie sind die Bedürfnisse und die Entwicklungsaufgaben der Kinder zweitrangig: Alles dreht sich um den oder die Suchterkrankten: Der nicht trinkende Elternteil, Therapeuten, Ärzte sind in erster Linie mit dem Kranken beschäftigt, vertrauensvolle soziale Beziehungen fehlen. Experten sprechen daher auch von „vergessenen Kindern“.

Umso wichtiger sind Projekte wie das MAKS in der Kartäuserstraße 77. Denn bei dieser Einrichtung mit dem sperrigen Namen „Modellprojekt Arbeit mit Kindern von Suchtkranken“ stehen nicht die Eltern im Vordergrund. „Es geht uns immer um die Auswirkungen auf die Kinder“, sagt Helga Dilger, die das MAKS vor 30 Jahren gegründet hat und bis heute leitet. Hier finden betroffene Kinder aller Altersklassen (0 – 18 Jahre) aus der Region in verschiedenen Gruppen- oder Einzelangeboten Rat und Unterstützung. Im Jahr 2020 waren es 135 Kinder und Jugendliche; die meisten sind sieben bis 13 Jahre alt. Inzwischen gibt es aber auch Angebote für Schwangere und junge Erwachsene, die in einer Familie mit Suchterkrankten aufwuchsen.

 

Info

www.maks-freiburg.de
Tel.: 0761/33216