Außergewöhnliche Einwilligung – Freiburger Studio sticht kostenlos Organspende-Tattoos Gesundheit | 27.12.2023 | Jennifer Patrias

Volle Konzentration: Tätowiererin Bex verpasst Marcel Vogel das Organspendetattoo. Volle Konzentration: Tätowiererin Bex verpasst Marcel Vogel das Organspendetattoo.

Circa 8500 Menschen in Deutschland warten aktuell auf ein Spenderorgan. 2022 gab es jedoch nur 869 Organspender. Um das zu ändern, hat sich der gemeinnützige Verein „Junge Helden“ etwas Besonderes einfallen lassen und das Organspende-Tattoo ins Leben gerufen. Stechen lassen kann man sich das Motiv derzeit in circa 550 Tattoo-Studios in Deutschland auch im Freiburger Studio „Rattattoo“.

Marcel Vogel (Name geändert) ist nervös. Gleich bekommt er im „Rattattoo“ sein erstes Tattoo verpasst – und setzt damit gleichzeitig ein Statement für die Organspende. „Ich habe seit Jahren einen Organspendeausweis und finde den Gedanken gut, mit der Tätowierung eine Diskussion über das Thema entfachen zu können“, erklärt der Freiburger seinen Entschluss.

Anna Barbara Sum

Seit Anfang an dabei: Anna Barbara Sum

Seit Anfang des Jahres gibt es das Tattoo, welches von den „Junge Helden“ ins Leben gerufen wurde. Der Verein, der vor zwanzig Jahren in Berlin gegründet wurde, beschäftigt sich vor allem mit Aufklärungsarbeit zum Thema Organspende. „Wir sind auf die Idee gekommen, nachdem der Bundestag im Januar 2020 gegen die Widerspruchsregel gestimmt hat“ sagt Gründungsmitglied Anna Barbara Sum. Denn statt automatisch Organspender zu sein, muss man sich aktiv für die Organspende entscheiden. Eine Entscheidung, mit der sich viele Menschen schwertun. „Nach der Ablehnung haben wir uns überlegt, wie wir die Organspende am besten kommunizieren können und sind auf ein Tattoo gekommen.“ Ein ungewöhnlicher Ansatz, der offenbar funktioniert. 6000 Tattoos schafften es bis Ende November auf die Haut der Menschen – ein Ende ist nicht in Sicht.

Das Motiv wurde gemeinsam mit einer Werbeagentur entworfen, die ersten Tattoos gab es im März auf der Braunschweiger Tattoo Konvention. „Die Basis ist ein runder Kreis, darunter schließen sich zwei Halbkreise“, erklärt Sum. Der Kreis steht für die Spende, die Halbkreise beschreiben, wie aus zwei Teilen ein Ganzes wird. „Wir haben festgestellt, dass die Menschen ein großes Bedürfnis haben, ihre Haltung nach außen zu zeigen. Und genau das wollen wir mit dem Tattoo erreichen.“

Die Einstellung hat auch „Rattattoo“-Chefin Claudia, die ihren Namen nicht im Magazin lesen möchte, von Anfang an überzeugt. „Nachdem ich kontaktiert wurde, habe ich mir die Seite angeschaut und gesehen, dass bis dato nur drei Studios mitgemacht haben.“ Sie besprach die Aktion mit ihrem Team – danach ging‘s direkt ans Werk. Rund 15 Minuten dauert das Stechen des kostenlosen Tattoos.

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„Inzwischen kommen nicht mehr so viele Anfragen rein, aber als wir im April damit angefangen haben, hatten wir in kürzester Zeit über 100 Anfragen“, erinnert sich die 57-Jährige. 150 Tattoos haben sie bis jetzt gestochen, 70 stehen noch auf der Warteliste. Am häufigsten zieht es Menschen ins Studio, die noch kein Tattoo haben. „Vor allem Ärzte und Motoradfahrer“, sagt die Chefin. Biker, weil sie um die Gefahr des Motorradfahrens wissen,  und Ärzte, weil sie die Diskussion um die Organspende anregen möchten.

Auf rege Unterhaltungen hofft auch Vogel: „Ich weiß, dass das Tattoo keine rechtliche Einwilligung ist, aber nach einem Gespräch mit den Angehörigen erleichtert es doch einiges.“

Sum sieht das ähnlich. „Grundsätzlich ist das Tattoo kein amtliches Dokument. Aber jeder Mensch, der sich tätowieren lassen möchte, muss eine Einverständniserklärung unterzeichnen, und da haben wir einfach einen Passus für die Organspende angepasst“, sagt die 39-Jährige. Bewahrt man dieses Dokument sorgfältig auf und spricht mit seinen Angehörigen, gilt es als rechtsgültiges Dokument.

Nach dem Stechen betrachtet Vogel zufrieden seinen Oberarm im Spiegel. Er weiß, dass nicht jeder seine Entscheidung nachvollziehen kann. „Aber solange ich damit ein wenig aufklären und jemanden zur Organspende bewegen kann, habe ich alles richtig gemacht.“ 

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Fotos: jp, privat, Junge Helden e.V.