Wenn’s im Ohr klingelt: Gutes Hören – Das hilft bei Tinnitus Gesundheit | 22.01.2024 | Dorothea Wenninger

Frau die Hand an ihr schmerzendes Ohr hebt.

Anhaltende Ohrgeräusche können nicht nur die Hör-, sondern auch die Lebensqualität extrem beeinträchtigen. 19 Millionen Deutsche waren schon einmal betroffen, fast 3 Millionen leiden dauerhaft darunter. Von einem chronischen Tinnitus spricht man, wenn die Ohrgeräusche länger als drei Monate anhalten.

Ein aufdringlicher Piepton im Ohr, ein leichtes Rauschen, ein Zischen, Pfeifen oder Summen, ein tosender Wasserfall, mehrere Töne oder ein einzelner – die Erscheinungsformen von Ohrgeräuschen sind sehr vielfältig. Gut zu wissen: Treten sie zum ersten Mal auf, muss man nicht sofort zum Arzt gehen. Oft verschwinden sie innerhalb von ein bis drei Tagen von alleine wieder. Tun sie das nicht, sollte man allerdings eine HNO-Praxis aufsuchen.

Viele Menschen mit Tinnitus fühlen sich von ihrem HNO-Arzt nicht ernst genommen. Statt eine Aussicht auf Erleichterung zu erhalten, werden sie zum Durchhalten aufgefordert. Das hilft aber nicht weiter.

In der Akutphase ist eine genaue Diagnostik sehr wichtig. Die HNO-Ärztin kann nicht ins Innenohr hineinschauen. Daher rät Prof. Serena Preyer von den Vidia-Kliniken in Karlsruhe zu einer Kernspinuntersuchung, um abzuklären, ob am Hörnerv oder entlang der Hörbahn eine Schädigung zu sehen ist. Mit zunehmendem Lebensalter steigen übrigens die organisch bedingten Probleme mit dem Innenohr. Nach Auftreten des Tinnitus kann Cortison verabreicht werden: in Tablettenform, als Spritze direkt ins Mittelohr oder intravenös. Allerdings gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass irgendein Medikament wirklich hilft.

Ursachen & Auslöser

Chefärztin und Klinikdirektorin Preyer legt bei der Diagnostik vor allem großen Wert darauf, die Patienten miteinzubeziehen: Gab es vor dem Auftreten der Geräusche eine extreme Stresssituation? Ist eine Verspannung im Halswirbelbereich vorhanden? Wird mit den Zähnen geknirscht? Gezielte Physiotherapie zur Entspannung des Nackens und eine Knirscherschiene wären da erste Ansätze.

Manche Tinnitusarten hängen mit dem Bewegungsapparat zusammen. Zu den Auslösern gehören Verspannungen der Halsmuskulatur, Traumata als Folge von Verletzungen oder Unfällen, ein verschobener ­Atlaswirbel sowie Fehlstellungen des Kiefergelenks. Selbst Probleme im unteren Rücken können ursächlich sein, denn sie können im Bereich der Halswirbelsäule Ausgleichsbewegungen auslösen. In diesen Fällen kann das Ohrenklingeln durch Physiotherapie völlig auskuriert oder zumindest beruhigt werden.

Andere Ursachen können sein: Pfropfen von Ohrenschmalz oder Fremdkörper im Gehörgang, tiefe Tauchgänge, Probleme mit der Nase oder Mittelohr­entzündung. In diesen Fällen hilft ein Besuch in der HNO-Praxis weiter. Auch manches Antibiotikum und Blutdruckmedikament kann Ohrensausen verursachen. Wenn Lärmbelastung zum Geräusch geführt hat, kann das Abspielen von sanfter Musik beruhigen.

Weitere Behandlungsmöglichkeiten

Akupunktur kann einen Tinnitus vorübergehend beruhigen. Bei durchblutungsbedingten Ohrgeräuschen kann eine Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie nach Ardenne weiterhelfen. Viele Betroffene machen positive Erfahrungen mit Arzneimitteln aus Ginkgoblättern, die die Durchblutung auch der kleinsten Gefäße im Innenohr und der Haarzellen verbessern. Bei manchen Tinnituspatienten ist der Coenzym-Q10-Spiegel stark erniedrigt. Die Gabe von oxidiertem Coenzym Q10 soll hier Abhilfe schaffen und den Haarzellen des Innenohres wieder zu mehr Energie verhelfen. Weitere Vitalstoffe wie Selen, Glutathion, Magnesium und Vitamin D sowie Omega-3-Fettsäuren gelten als hilfreich bei Tinnitus und Hörsturz.

Mann mit Nackenschmerzen ist beim Arzt.

Verspannungen in der Halswirbelsäule können einen Tinnitus auslösen. Diese Art von Ohrgeräuschen kann durch Physiotherapie vermindert oder auskuriert werden.

Zuverlässige Linderung

Nachweislich für Linderung sorgt ein entspannter Umgang mit dem eigenen Ohrgeräusch. Kognitive Verhaltenstherapien, in denen vermittelt wird, wie man es schafft, dem Ohrensausen weniger Aufmerksamkeit zu schenken, sind sehr effektiv. Sie helfen selbst den Menschen, deren Leidensdruck so hoch ist, dass sie nicht mehr ein noch aus wissen. Zum Hineinfinden und zur Verfestigung des Trainings hilft ein Aufenthalt in einer der psychosomatischen Kliniken, die sich darauf spezialisiert haben. Und im Alltag wirken Tinnitus-Apps unterstützend, mit denen Betroffene täglich daran arbeiten können, besser mit der Situation zurechtzukommen. Statt sich hilflos ausgeliefert zu fühlen, ­gehen sie das Problem aktiv an.

Am besten ist es natürlich, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass einen der Tinnitus voll im Griff hat. Das kann gelingen, indem man von Anbeginn an Ruhe bewahrt und sich bloß nicht in den Gedanken hineinsteigert, dass sich das unangenehme Phänomen jetzt dauerhaft einnisten wird. Denn wenn wir mit starken Emotionen wie Angst und Verzweiflung oder mit einer Depression auf diesen nervenstrapazierenden Ton im Ohr reagieren, dann ist unser Denkzentrum in der Hirnrinde der Überzeugung: „Das ist was total Wichtiges, das muss ich mir merken“, weiß Serena Preyer. Das ist äußerst fatal, denn auf diese Art und Weise verfestigt sich das Ohrgeräusch erst so richtig.

Der Internist, ehemalige Triathlet und Buchautor Ulrich Strunz ist überzeugt, seine Ohrgeräusche mit hohen Magnesiumgaben und Sport besiegt zu haben. Er sieht Tinnitus nicht als eine Krankheit, sondern als „die folgerichtige ­Reaktion des Körpers, der Innenohr-Blutgefäße, des Gehirns auf Stress“. Für ihn führt der Weg aus dem Tinnitus über das Erreichen von innerer Ruhe, mit Medi­tation, mit allem, was der Entlastung dient. Dazu passt auch der Rat von Serena Preyer: „Schauen Sie, dass Sie entspannende Dinge tun, die Sie gerne tun, sei es der Spaziergang in der Natur, Sport, ein gutes Essen, sich mit duftenden Blumen umgeben – alles, was Spaß macht, hilft gegen Tinnitus.“

Fotos: iStock.com/Victor_69, Freepik.com/freepik