»Ein Stück Würde zurückgeben« – Freiburg eröffnet zweiten Drogenkonsumraum im Land STADTGEPLAUDER | 19.03.2024 | Philip Thomas
Seine gesamte Amtszeit hat Benedikt Vogt darauf gepocht. „Als es dann aber so weit war, wusste ich nicht so recht, wo ich hinschauen soll“, berichtet der Leiter der Freiburger Drogenhilfe nach der Eröffnung des Drogenkonsumraums an der Rosastraße. „Eine Injektion in die Leiste ist eben doch eine relativ intime Sache.“
Bis zu dem Stich war es ein weiter Weg. In Baden-Württemberg wurden Drogenkonsumräume Städten mit weniger als 300.000 Einwohnern bis zu einem entsprechenden Kabinettsbeschluss im Juni 2022 verwehrt. „Es ist frustrierend, dass das so lange gedauert hat. Die Einwohnerzahl verrät nichts über die Drogenszene einer Stadt“, betont Vogt.
Der Kontaktladen an der Rosastraße wird jährlich rund 15.000-mal aufgesucht. In dieser Zeit sterben statistisch zehn Menschen in Freiburg an einer Überdosis. „Dieser traurigen Realität wollen wir mit dem Drogenkonsumraum begegnen“, sagte OB Martin Horn.
Umbau und Erstausstattung des Raums kosteten rund 175.000 Euro. Die jährlichen Betriebskosten der rund 15 Quadratmeter großen Stube mit sieben Plätzen vor Spiegeln und einer Tischplatte aus Stahl liegen bei 222.000 Euro. „Mit diesem Raum geben wir Menschen ein Stück Würde zurück, die sie durch Drogen verloren haben“, sagt Ilja Wöllert, Vorstand des Drogenhilfe-Trägers AWO Freiburg.
Es ist erst der zweite Raum seiner Art im Land. Das im Jahr 2019 eröffnete Zimmer in Karlsruhe hat sich laut Sozialminister Manne Lucha bewährt: „Dieses niedrigschwellige Angebot wird gebraucht.“ 1366 Konsumvorgänge fanden darin allein im ersten Jahr statt. Fünf Drogennotfälle konnten aufgefangen werden. Hinzu kamen 44 Kriseninterventionen, 152 Beratungsgespräche und 436 Safer-Use-Beratungen.
Auch in Freiburg stellt Vogt immer wieder fest, wie wenig selbst langjährige Konsumenten über den risikoarmen Umgang mit Spritzen und Tabletten wissen. Unter Weißlicht und medizinischer Aufsicht sollen Abszesse sowie Entzündungen im Konsumraum vermieden werden. Manchmal komme es vor, dass Suchtkranke nach 20 Minuten keine Vene gefunden haben. „Man darf natürlich nicht helfen, aber beraten“, erklärt Vogt.
In dem Raum können mitgebrachte Drogen injiziert, geschnupft und geschluckt werden. Alkohol, Tabak und Cannabis sind derweil verboten – ein Platz „zum Abhängen“ soll der Raum nicht werden. Erst- oder Gelegenheitskonsum wird über eine Anmeldung ausgeschlossen. Darin erfasst werden Name und Postleitzahl der Konsumenten.
Einigen Suchtkranken scheint das noch nicht ganz geheuer. „Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht abschreckt“, sagt Olaf Müller (Name geändert) bei der Eröffnung. „Ich bin aber froh, dass wir diesen Raum haben. Das wird vielen Menschen helfen“, so Müller, der seit 30 Jahren gegen eine Drogensucht kämpft. Bald werde er sich Kokain in dem Zimmer spritzen.
Drogen wie Crack oder Crystal Meth können Aggressionspotenziale steigern. Vogt rechnet bereits mit Gewaltausbrüchen. „Das ist eine Frage der Zeit“, sagt er. Mitarbeiter der Drogenhilfe haben dann Möglichkeiten, sich zu verbarrikadieren. In Karlsruhe hat man laut AWO-Sprecherin Somajeh Tewolde aber bisher keine solchen Erfahrungen gemacht.
Ein großes Plus des Freiburger Konsumraums ist seine Nähe zur offenen Szene im Colombi-Park. „Es kam vor, dass jemand in den Kontaktladen kommt und mitteilt, dass oben jemand tot liegt. Wenn uns jetzt jemand umkippt, können wir direkt handeln und Leben retten“, sagt Vogt. Im Frühjahr soll die neue Pergola an der Ecke Rosa- und Colombistraße fertiggestellt sein. „Verschwinden wird die Szene durch den neuen Raum aber nicht“, stellt Vogt klar.
Um das Eis nach der Eröffnung zu brechen, stellten Mitarbeiter der Drogenhilfe schließlich eine Bluetooth-Box auf. Gewünscht wurden unter anderem Kendrick Lamar, Rammstein und Britney Spears. 66 Konsumvorgänge fanden in der ersten Woche an der Rosastraße statt, 58 durch Injektion: 31-mal Kokain, 17-mal Heroin, 6- mal Amphetamin sowie 13-mal sonstige Substanzen. Elf Wunden wurden versorgt.
Vogt stößt nun auf die nächste Gesetzeshürde: Mitgebrachte Drogen darf sein Team nur mit Augenmaß kontrollieren – professionelles Drug-Checking dürfen die Experten nicht anbieten. „Dabei sind es oftmals die Verunreinigungen in den Drogen, die tödlich enden.“
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