Zur Ruhe kommen: Die Freiburger Woche der Stille Anfang November Gesundheit | 02.11.2019 | Arwen Stock

Steine

Sie ist heutzutage ein seltenes Gut geworden: die Stille. Doch wer sich auf sie einlässt, erlebt ihre heilende Wirkung. Diesen Friedens zu fühlen, dazu bietet Anfang November die Woche der Stille in Freiburg viele Gelegenheiten.

Die Tage werden kürzer und dunkler. Der ganz normale Wahnsinn geht weiter: Handys klingeln, Autos hupen, ein Termin jagt den anderen. Wenn man dann noch durch den Regen rennen muss, um nicht klatschnass zu werden, rettet nur eines – eine windstille, trockene Hausecke. Eine Verschnaufpause, in der sich der Puls normalisiert, der Atem sich beruhigt, endlich nur noch sanft fließt: Innehalten, ein seltener Moment der Ruhe in hektischen Zeiten.

„Die Idee zur Woche der Stille entstand aus der Erkenntnis, dass wir Stille und innere Ruhe brauchen und uns beides sehr oft fehlt“, sagt Gabriele Hartlieb vom Initiativteam. Die Ausgangsüberlegungen zur Woche der Stille waren, mehr auf die Ressource „Stille“ hinzuweisen. Vor fünf Jahren fand sie zum ersten Mal statt. Vorbild war eine ähnliche Veranstaltungsreihe in Frankfurt. Mittlerweile gibt es ebensolche Veranstaltungen auch in Karlsruhe und Zürich.

Was ist es, was die Stille bietet? „Sie hat eine andere Qualität als Klang“, beschreibt Hartlieb eine Facette: „Worte legen fest und trennen, sosehr sie Klarheit bringen – das kann auch Ausschluss bedeuten.“ Durch gemeinsames Schweigen entstehe eine andere Atmosphäre. Doch wie bringt man Stille in eine Veranstaltung? Zum Auftakt in der Ludwigskirche lautet der Titel „Der Raum dazwischen“. Nach einer Begrüßung gestalten Schauspieler dort einen Parcours der Stille. 45 Minuten Schweigen ist angesagt.

Doch ganz ohne Musik und Text kommt die Woche nicht aus: 17 Veranstaltungen stehen auf dem Flyer des Rahmenprogramms, zudem tägliche Angebote wie das Stadtretreat, ein Rückzugsangebot im Franziskussaal, oder „Zur Ruhe kommen am Mittag“ im Münster, das auch danach täglich zum Innehalten einlädt.

Insgesamt rund 200 Veranstaltungen bietet die Woche der Stille zwischen dem 3. und 10. November an unterschiedlichsten Orten in Freiburg an. Wie kann es zu dieser Fülle kommen? Hartlieb verweist auf die vielen Anbieter: Jeder kann seine Meditation am Morgen, das Qi Gong-Treffen oder sein ganz normales Tagesprogramm auf der Internetplattform einstellen.

„Wer den Wunsch nach Stille verspürt, kann einfach in unser Programm oder auf die Internetseite schauen und findet bestimmt etwas Passendes“, weiß Hartlieb. Neben den festen Veranstaltungsorten des Rahmenprogramms in der Stadtbibliothek, dem Augustinum, an Schulen, in Kirchen oder im Tibet Kailash Haus, finden sich im Internet Angebote wie Meditatives Rückwärtsgehen oder Klangschalen-Meditation, zu Trauerarbeit oder Achtsamkeit und vieles mehr.

Akustisch gute Räume, auch für die Stille: In der Ludwigskirche findet die Eröffnungsveranstaltung statt.

Zum ersten Mal hat das Rahmenprogramm in diesem Jahr ein Schwerpunktthema: die Erde. „In diesen Veranstaltungen geht es um die Verantwortung für die Erde, die Liebe zur Erde“, berichtet Hartlieb. Sie würde sich freuen, wenn viele Klimademonstranten auch den Weg zur ein oder anderen Veranstaltung finden. „Stille, Musik und Worte für die Erde“ lautet der Titel der sogenannten Münsternacht. Auch das Symposium „Welt im Wandel“ und „Im Kleinen das Große entdecken“ beschäftigen sich mit der Natur und dem, was der Einzelne angesichts der bedrohten Zukunft auf Erden leisten kann.

Welche Rolle spielen Religionen bei der Woche der Stille? Inhaltlich ist die Veranstaltungsreihe sehr offen. Bestes Beispiel ist der Mindful-Co-Working-Day des Netzwerks Achtsame Wirtschaft, bei dem in Gemeinschaft und Stille an eigenen Projekten gearbeitet werden kann. Finanziell reicht ein kleines Budget aus, von dem in Freiburg die evangelische und die katholische Kirche je ein Drittel beisteuern. Zudem dürfen sich Hartlieb, die evangelische Stadtpfarrerin in Freiburg ist, und Sonja Sobotta, Leiterin einer katholischen Bildungseinrichtung, in ihrer Arbeitszeit um die Organisation kümmern.

„Stille hat für viele von uns eine spirituelle Qualität“, weiß Hartlieb über die Mitglieder des Initiativteams. Neben ihr und Sobotta sind in diesem der Arzt Johannes Latzel, Peter Ludorf von der AG Wissenschaft und Spiritualität, der katholische Pfarrer und Leiter der Seelsorgeeinheit Freiburg-Wiehre-Günterstal, Michael Schweiger, und Verleger Stefan Sinn. Auch die vielen Veranstalter bei der Woche der Stille stammen aus ganz unterschiedlichen Religionen, ökumenischen Einrichtungen, Beratungsstellen, Initiativen und Gruppen.

Dass das von der Öffentlichkeit dankbar angenommen wird, zeigen die Zahlen: Mehrere tausend Menschen kamen in den vergangenen Jahren und besuchten die Veranstaltungen an den acht Programmtagen – von Sonntag bis Sonntag. Das Publikum sei nicht unbedingt religiös. Hartlieb schätzt, dass die meisten Besucher 45 Jahre und älter sind. Doch auch viele Ü-30er, Familien und Kinder seien dabei.

Als Zeitpunkt für die Veranstaltungsreihe hat sich der November etabliert. Die Dunkelheit hilft laut Hartlieb: „Und die Vorzeit vor Weihnachten weckt auch das Bedürfnis nach Stille.“ Im Winter gehe die Orientierung nach innen. Ganz bewusst möchten die Veranstalter die Stille auch in Räume tragen, die sonst alles andere als „still“ sind. Im vergangenen Jahr fand beispielsweise die Eröffnung im Stühlinger Rathaus statt.

„Stille ist für die eigene Energie essentiell“, betont sie, dürfe jedoch nicht mit Weltfluchten oder Wellness-Oasen verwechselt werden. Sie hofft, dass durch diese Woche die Menschen mehr Stille in ihren Alltag integrieren können. Denn als „Menschheitsweisheit“ habe die Stille in allen Religionen, monastischen und geistigen Strömungen eine lange Tradition. Alle glaubenden Menschen seien sich bewusst, dass, wenn es einen Gott gibt, diese Energie nicht in Worte zu fassen ist: „Diese Energie ist größer als alles, was ich denken kann, und daher auch nicht aussprechbar.“ Die logische Konsequenz daraus sei: „Frieden liegt in der Stille.“

Info

Woche der Stille in Freiburg
3. bis 10. November
Eröffnungsveranstaltung:
Der Raum dazwischen
3. November, 17.30-19 Uhr
Ludwigskirche, Starkenstr. 8, Freiburg
Alle Veranstaltungen unter:
www.stille-in-freiburg.de

Fotos: © iStock/spooh, Joergens.mi/Wikipedia