Leben mit Bauchgefühl: Operationen bei Adipositas Gesundheit | 30.04.2019 | Stella Schewe

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275 Menschen wurden 2018 wegen krankhaften Übergewichts am Universitätsklinikum Freiburg operiert – für die Betroffenen oft der Start in ein neues Leben, in körperlicher wie in seelischer Hinsicht.

Nicole Eschbach ging noch in die Grundschule, als ihr Gewicht nach oben zu klettern begann. Anfangs nur ein bisschen, in der Pubertät dann immer mehr. „Ich hatte das Gefühl, keiner findet mich attraktiv, und habe mir regelrecht einen Schutzwall angefressen“, erzählt die 44-Jährige ganz offen. „In dieser Zeit begann dann auch meine Diätodyssee.“ FDH, Brigitte-Diät, Weight Watchers, Intervallfasten … Die 1,76 Meter große Frau hat alles durchprobiert und hatte doch keinen Erfolg: „Mein Höchstgewicht lag bei 148 Kilo.“

Nach der Geburt ihrer beiden Kinder wurde ihr klar: „80 Kilo alleine abnehmen, das schaffe ich nicht.“ Und so machte sie sich 2014 auf zu Goran Marjanovic, dem Ärztlichen Leiter des Adipositaszentrums an der Uniklinik Freiburg. Er weiß um die seelischen Nöte seiner Patienten. „Jeder Zweite, der zu uns kommt, hat einen depressiven Hintergrund“, berichtet er. „Die Menschen finden oft keinen Job, ziehen sich zurück, hinzu kommen immer wieder Diäten und der leidige Jo-Jo-Effekt … Viele kämpfen über Jahre und sind am Schluss völlig fertig.“

Portrait-Marjanovic

Dr. Goran Marjanovic, Leiter des Freiburger Adipositaszentrums.

Voraussetzung für eine Operation ist ein Body-Mass-Index (BMI), also die Relation von Gewicht und Größe, von 35 plus. Zum Vergleich: Als „normal“ gilt ein BMI zwischen 18,5 und 24,9 – ab 25 spricht man von Übergewicht. Die Entscheidung über eine Operation treffen die Medizinischen Dienste der Krankenkassen, voraus geht eine sechsmonatige Phase mit Ernährungsberatung, Psycho- und Bewegungstherapie. Mut machte Eschbach in dieser Zeit die Selbsthilfegruppe der Uniklinik, die Marjanovic sehr schätzt. „Es ist eine tolle Geschichte, wenn Patienten live von anderen mitbekommen, was auf sie zukommt“, sagt er.

Die Operation selbst bringt dann schlagartig eine entscheidende Veränderung, kann sogar lebensrettend sein, denn neben Adipositas leiden viele Patienten unter Begleitkrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder kaputten Gelenken. In den meisten Fällen wird der Magen entweder zu einem „Schlauchmagen“ verkleinert oder per Bypass umgangen, beides minimalinvasiv, per Schlüssellochtechnik. Mit dem Effekt, dass die Patienten danach viel weniger essen können: Im Gegensatz zu einem normalen Magen, der bis zu 1,5 Liter fasst, passen in einen Schlauchmagen nur noch 150 Milliliter. „Da sind Sie nach drei Löffeln satt“, weiß der 41-jährige Arzt.

Plötzlich purzeln die Pfunde

„Mir wurden zwei Drittel meines Magens entfernt“, erzählt Eschbach. Dementsprechend purzeln die Pfunde in dieser sogenannten Honeymoonphase, in ihrem Fall auf 66 Kilo. „Ich habe in 16 Monaten 80 Kilo abgenommen.“ Enorm wichtig sei da natürlich die Qualität des Essens. „Die größte Umstellung war, auf mein Bauchgefühl zu hören. Statt auf Schokolade hatte ich plötzlich Lust auf guten Kaffee, Käse und Salat“, erinnert sich die heute schlanke, dunkelhaarige Frau, die Nordic Walking macht und wieder reitet. Das sei der Knackpunkt, erklärt ihr Arzt, denn falsche Ernährung und mangelnde Bewegung seien die Ursache für die steigende Zahl übergewichtiger Menschen. Vor der Operation sagt er seinen Patienten: „Ich baue Ihnen einen neuen Motor mit kleinerem Tank ein. Aber Sie müssen lernen, wie man den Wagen fährt und betankt.“ Ein lebenslanger Prozess, der vom Adipositaszentrum mit Nachuntersuchungen und Ernährungsberatung begleitet wird.

Nicole-Eschbach

Gewicht verloren, Selbstvertrauen gewonnen: Nicole Eschbach 2014 und 2017.

Das Schönste für Eschbach war: „Ich fühlte mich einfach wohl in meiner Haut.“ Sie wurde viel selbstbewusster, machte noch mal eine Ausbildung und arbeitet heute in einem Seniorenzentrum. „Das hätte ich mir vorher nicht zugetraut. Und wenn ich heute mit meinen Kindern auf den Spielplatz gehe, schaukle ich selbst. Das ist für mich Lebensqualität.“ Da ihr die Selbsthilfegruppe so geholfen hat, leitet sie inzwischen eine eigene Gruppe in Rheinfelden. Die Operation würde sie jederzeit weiterempfehlen und steht damit nicht alleine. „Wenn wir in unserer Gruppe die Vorstellungsrunde machen, sagen alle übereinstimmend: Ich würde es immer wieder tun!“

Info

Adipositaszentrum
Universitätsklinikum Freiburg:
www.adipositas-behandlung.de

Selbsthilfegruppe Hochrhein:
Angelika Faus

tnt_109@yahoo.de

Fotos: © Pixabay, privat, H. Eschbach,