Singend im Eiswasser: Movement-Bewegung in Freiburg Gesundheit | 05.02.2020 | Jakob Steiner

Eisbaden

Im Sommer kriechen sie echsenartig durch den Schwarzwald, im Winter findet man sie beim Eisbaden in der Dreisam: Fitness-Enthusiasten rund um die Welt sind begeistert von der Bewegungslehre „Movement“, auch in Freiburg. Ein frostiger Kursbesuch.

Ganz Freiburg versteckt sich vor dem Winter in den Häusern. Ganz Freiburg? Nein. Eine Handvoll Unbeugsamer hat sich vorgenommen, dem kalten Wetter zu trotzen. Die Mutigen versammeln sich jeden Sonntagmorgen an der Dreisam. Wozu? Zum Eisbaden!

Im Schneidersitz hockend beginnt die Gruppe mit der Atemübung. Die Wim-Hof-Atemtechnik soll dabei helfen, es möglichst lange im eisigen Wasser auszuhalten. So konnte der Niederländer Wim Hof, besser bekannt als der „Iceman“, mehrere Kälterekorde brechen. Im Hintergrund läuft fernöstliche Meditationsmusik, während Kopf und Körper leichter werden. Der Lärm der Außenwelt weicht dem Herzschlag. Nach wenigen Minuten sind die Ersten bereit. Doch auch bei erfahrenen Eisschwimmern rebelliert der Verstand beim Anblick des rauschenden Wassers.

„An diesem Punkt ist es wichtig, dass man zu 100 Prozent auf seinen Körper vertraut“, meint Leonard Pagel. Seit diesem Winter organisiert der 26-jährige Medientechniker die eisigen Zusammentreffen. Sie sind Teil der Movement-Philosophie, die Pagel seit Mai 2019 in Freiburg unterrichtet. Movement wurde von dem Israeli Ido Portal begründet und ist, wie der englische Name schon sagt, eine Bewegungslehre und -philosophie. Der Kern der Übungen ist, immer neue Reize zu bieten, anstatt bereits Gelerntes zu perfektionieren.

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Leonard Pagel (E.v.l.) ist der Initiator der Movement-Bewegung. Erst meditieren, dann abtauchen.

Die Wurzeln liegen in der brasilianischen Kampfsportart Capoeira. So wirkt Movement in seiner Vollendung wie eine Symbiose aus Tanz, Rhythmus und Kampfkunst. Dabei ist die Vielseitigkeit der entscheidende Vorteil gegenüber anderen Sportarten. Bodybuilding trainiert Kraft und Technik beim Gewichtheben, nennt Pagel ein Beispiel, Beweglichkeit und Kondition werden dabei meist vernachlässigt. Movement hingegen erfordere gleichermaßen alle sportlichen Parameter wie Kraft, Beweglichkeit, Geschwindigkeit, Ausdauer und Technik. Der Freiburger betont: „Wir sind Generalisten, keine Spezialisten.“

Jäger und Sammler

Movement basiert auf der Annahme, dass die Evolution des Körpers nicht mit der des menschlichen Geistes mithalten konnte. Pagel erläutert, der Körper habe sich über Jahrtausende auf ein Leben als Jäger und Sammler eingerichtet. Doch Agrar- und Industrierevolution veränderten den Alltag des Menschen in rasanter Weise. Mit dieser Geschwindigkeit sei die Entwicklung des Körpers überfordert gewesen. Movement legt daher großen Wert auf ursprüngliche Bedürfnisse des Körpers.

Vielseitige Beanspruchung und natürliche Reize sollen dem „Jäger- und-Sammler-Körper“ gerecht werden. Aus diesem Grund sind viele Kurse, die Pagel anbietet, im Freien. Auch Eisbaden war für ihn eine logische Erweiterung der Grundphilosophie. Denn natürliche Reize wie Kälte würden zunehmend aus dem Alltag verschwinden. So verliere der Mensch sukzessiv seine Widerstandsfähigkeit und Verbindung zum Körper. Darum gelte es, diese Reize wiederzuentdecken.

Zugegeben, wenn man zum ersten Mal in die eiskalte Dreisam gleitet, wird man kein besonders positives Köpergefühl verspüren. Stattdessen befindet sich jede einzelne Zelle des Körpers in einem Schockzustand. Man beginnt zu hyperventilieren. Um dem sofortigen Fluchtimpuls entgegenzuwirken, bilden die Eisschwimmer einen Kreis. Das spendet mentale Kraft und vielleicht sogar etwas Wärme. Was unaushaltbar scheint, wird erträglich. Langsam löst sich die Spannung. Kichern geht durch die Runde. Wenig später wird gelacht, gesungen und sogar geschrien. „Da kommt der ganze Wahnsinn mal raus“, grinst der 25-jährige Eisschwimmer David Mitzinger.

Am Ufer haben sich mittlerweile einige Schaulustige eingefunden. Teils belustig, teils ungläubig blicken sie auf die krebsroten Gestalten, die aus der Dreisam stolpern. Trotz acht Grad Außentemperatur bleibt die Stimmung ausgelassen. Auch Pagel wirkt zufrieden. Seine Movement-Kurse kommen in Freiburg gut an. Am liebsten würde er seine Schule in Vollzeit betreiben. Movement ist zu seiner Lebensphilosophie geworden. Mit einem Augenzwinkern sagt er: „Irgendjemand muss es ja machen.“

Info

Leonard Pagel bietet fünf verschiedene Movement-Kurse pro Woche in Freiburg an. Eisbaden geht bis März und ist
kostenlos.
www.movement-freiburg.de
www.idoportal.com

Fotos: © Jakob Steiner