Kontrovers (6): Kommunaler Vollzugsdienst STADTGEPLAUDER | 17.06.2022 | Carolin Jenkner, Simon Waldenspuhl

Kommunaler Vollzugsdienst in Freiburg bei Nacht

Laut Polizeistatistik war Freiburg 2021 erneut die kriminellste Stadt im Land. Im selben Jahr beschloss der Gemeinderat, den Kommunalen Vollzugsdienst (KVD) von 17 auf 11 Stellen zu kürzen und so 360.000 Euro im Doppelhaushalt 2021/22 zu sparen. Sollte der Dienst wieder aufgestockt werden? Was muss getan werden, um die rote Laterne abzugeben? In der chilli-Rubrik KONTROvers argumentieren dieses Mal zwei politische Protagonisten aus dem Freiburger Gemeinderat für und wider.

»Eskalationen verhindern«

Warum der Kommunale Vollzugsdienst aufgestockt werden sollte

CDU-Fraktionsvorsitzende Carolin Jenkner

Gegen die Verkleinerung des Freiburger Vollzugsdiensts: CDU-Fraktionsvorsitzende Carolin Jenkner

Konflikte im öffentlichen Raum können nur durch gute und intensive Kommunikation gelöst werden. Daher würde Freiburg auf jeden Fall von mehr Personal im Vollzugsdienst profitieren. Zahlreiche Anschriften von Bürger·innen bestätigen den Eindruck, dass viele Beschwerden aufgrund von Personalmangel nicht oder nur unzureichend bearbeitet werden können. Auf unsere Nachfrage hin hat die Verwaltung unsere Befürchtungen bestätigt: Seitdem der Vollzugsdienst wegen der Kürzung durch eine Gemeinderatsmehrheit mit sechs Personen weniger auskommen muss, herrscht ein strukturelles Vollzugsdefizit im gesamten Stadtgebiet vor. Vor allem Anwohner·innen beliebter öffentlicher Plätze sind die Leidtragenden. So wird der Augustinerplatz anstatt 48 durchschnittlich nur 16 Mal im Monat kontrolliert.

Am Seepark verzweifeln Betroffene mittlerweile an den nächtlichen Ruhestörungen im Sommer. Eine konsequente Durchsetzung der Nachtruhe ist mit so wenig Stellen im KVD nicht möglich. Straftaten im öffentlichen Raum, also dort, wo die Mitarbeiter·innen des KVDs aktiv sind, haben 2021 um 4,3 Prozent zugenommen. Das sind 482 Fälle mehr als noch 2020.

Freiburg war im vergangenen Jahr die am meisten von Kriminalität belastete Stadt in Baden-Württemberg. Die Konfliktsituationen vor Ort sind heterogen und sollten durch verschiedene Ansprechpartner gelöst werden. Daher schlagen wir vor, in Freiburg mit einem Drei-Stufen-Modell Konflikte im öffentlichen Raum nachhaltig zu reduzieren. Wir erhoffen uns davon eine Lösung, die auch eine langfristige Unterstützung durch den Gemeinderat erhält. Neu daran wäre die ergänzende erste Stufe: ein kooperatives, moderierendes Konfliktmanagement. Im Dialog sollen Konflikte entschärft werden, bevor sie entstehen. Der adäquat aufgestockte Vollzugsdienst wäre die zweite Stufe, der auf Streife ist, akut gerufen werden und zum Beispiel Bußgelder verhängen kann.

Die Polizei wäre auf dem „Freiburger Weg“ nur das letzte Mittel, sollte ein Konflikt bereits eskaliert sein. Ein solches dreistufiges Modell böte die große Chance, Konflikten vorzubeugen, Eskalationen zu verhindern und etwa die Nachtruhe zur Not konsequent durchzusetzen.

 

»Nach Ursachen suchen«

Warum mehr Überwachung die Probleme nur verlagert

Jupi-Geschäftsführer Simon Waldenspuhl

„Bedürfnis nach Geselligkeit wird ignoriert“: Jupi-Geschäftsführer Simon Waldenspuhl

Freiburg ist wieder die sogenannte „kriminellste Stadt“ in Baden-Württemberg. Was dramatisch klingt, ist allerdings nur das Ergebnis der Auswertung der polizeilichen Kriminalstatistik. Diese bildet wie jede Statistik nur bedingt die Realität ab. Erfasst werden in ihr nur zur Anzeige gebrachte Delikte. Wie hoch zum Beispiel die Dunkelziffer ist und ob es nach der Anzeige überhaupt zu einem Verfahren und einer Verurteilung kommt, wird in dieser nicht abgebildet.

Auch haben politische Veränderungen konkrete Auswirkungen auf die Zahlen: Sollten zum Beispiel der Konsum und Handel mit Marihuana legalisiert werden, wird diese in Zukunft ein paar Tausend Fälle weniger anzeigen und Freiburg vielleicht wieder von diesem unrühmlichen Platz eins entfernen. Im bundesweiten Vergleich rangiert Freiburg übrigens im oberen Mittelfeld.

Eine Gesellschaft ohne Kriminalität gab es noch nie und wird es auch nie geben. Doch in der Politik versprechen nicht wenige ihren Wähler·innen maximale „Sicherheit und Ordnung“. Gemeint ist damit oft eine einfache Perspektive: Wir stärken die Sicherheitsbehörden, statten sie mit mehr Rechten aus, verschärfen Gesetze. Dann wird die Kriminalität schon sinken. Dieser kausale Zusammenhang mag einleuchtend klingen – jedoch ist er bisher nicht wissenschaftlich belegt. Belegt ist: Mehr Rechte für Polizei und mehr Überwachung bedeutet immer weniger Rechte für einzelne Bürger·innen.

Eine nachhaltige Bekämpfung von Kriminalität sucht nach deren Ursachen und versucht, diese aktiv zu verändern. Dazu gehören maßgeblich soziale Ungerechtigkeiten, toxische Männlichkeit oder menschenfeindliche Ideologien. Die Stadt Freiburg sollte hier dringend mehr Geld und Kapazität investieren, um diese zu bekämpfen, anstatt den Kommunalen Vollzugsdienst weiter auszubauen.

Bei Konflikten, die der KVD primär befrieden sollte, sollten wir lieber nach den Ursachen suchen, statt immer wieder (erfolglos) die Symptome zu bekämpfen: Lärm und Müll auf öffentlichen Plätzen. Seit Jahrzehnten wird das Bedürfnis nach unkommerzieller Geselligkeit im öffentlichen Raum schlichtweg in der Politik ignoriert. Der KVD kann natürlich jede Nacht die öffentlichen Plätze dieser Stadt räumen, daraufhin werden sich die jungen Freiburger·innen neue Plätze suchen. Und das Spiel beginnt von Neuem. Besser ist: Wir nehmen das Bedürfnis ernst und schaffen gezielt viele attraktive Plätze in der Stadt, wo es ausgelebt werden kann.

Fotos: © Julian Bindi, CDU Freiburg, Felix Groteloh