Kontrovers (7): Verbrenner-Aus Gesellschaft | 19.07.2022 | Andreas Müller, Martin Wietschel

Elektro Aufladestation

Ab 2035 dürfen in der EU nur noch emissionsfreie Neuwagen verkauft werden. Benzin-, Diesel- und auch Hybridautos stehen damit vor dem Aus. Eine gute Entscheidung? Welche Folgen hat ein Verbot für Südbaden? Die Verhandlungen der Umweltminister in Brüssel dauerten mehr als 16 Stunden. In der chilli-Rubrik KONTROvers argumentieren Andreas Müller, Leiter Abteilung Verkehr, Technik und Umwelt im ADAC Südbaden, und Martin Wietschel, Leiter Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovation Karlsruhe, für und wider.

»Schränken Mobilität ein«

Warum der Verbrennungsmotor noch nicht ausgedient hat

Portrait: Andreas Müller vom ADAC

„Potenzial noch nicht ausgeschöpft“: Andreas Müller vom ADAC

Ein pauschales Verbot von Diesel- oder Benzinmotoren im Straßenverkehr hält der ADAC für falsch – übergeordnetes Ziel zum Erreichen der Klimaschutzziele sollte die effiziente CO2-Minderung sein, nicht die Fokussierung auf eine bestimmte Technologie. Der Verbrennungsmotor hat sein Effizienzpotenzial noch nicht ausgeschöpft und dominiert trotz Hochlauf der Elektromobilität noch lange Zeit den Fahrzeugbestand im Straßenverkehr – national und international. Wir begrüßen daher, dass der Europäische Rat die Zulassung von Autos mit Verbrennungsmotor über 2035 hinaus gebilligt hat, wenn sie mit E-Fuels – sogenannten synthetischen Kraftstoffen aus Wasserstoff als Grundprodukt – klimaneutral angetrieben werden. Nun muss die Kommission umgehend einen Gesetzgebungsvorschlag für die Zulassung von klimaneutral betankten Verbrennerfahrzeugen vorlegen, sonst haben wir faktisch ein Verbrennerverbot.

Der ADAC setzt sich beim Klimaschutz für einen technologieoffenen Ansatz bei Antrieben und Antriebsenergien ein, dies schließt einen klimaneutral betriebenen Verbrennungsmotor ein. Wichtig ist aus unserer Sicht, den Verbrennungsmotor in Richtung Klimaneutralität weiterzuentwickeln. Dafür bedarf es geeigneter Anreize. Nicht die Antriebsart, sondern die Antriebsenergie ist entscheidend für klimaneutrale Mobilität. Das bedeutet: Ersatz fossiler Kraftstoffe und fossilen Ladestroms durch erneuerbar und treibhausgasfrei erzeugte flüssige und gasförmige Kraftstoffe und Strom.

Die EU-Regulierung für neue Pkw setzt bereits heute einen starken rechtlichen Rahmen, um Fahrzeuge mit geringen CO2-Emissionen in den Markt zu bringen. Bis 2030 werden voraussichtlich zehn Millionen Pkw in Deutschland – also über ein Fünftel des Bestands – über einen Elektroantrieb verfügen. Vor diesem Hintergrund prüfen derzeit viele Automobilhersteller, ob sie Diesel- oder Benzinmotoren auch langfristig in Europa anbieten sollen. Ein nationales Verbrennerverbot bietet somit weder der Industrie noch den Käufern von Neufahrzeugen zusätzliche Orientierung.

Die Bedarfe der Menschen in Südbaden unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von den Bedarfen im ganzen Land. Aufgrund der fehlenden Sicherheiten was die Anschaffung eines vollelektrischen Pkw angeht, wird es in Südbaden nicht möglich sein, alle Vorteile dieser Antriebsart vollumfänglich umzusetzen. Selbst wenn wir in Südbaden die ambitionierten Ziele hinsichtlich Elektromobilität erreichen sollten, werden viele andere Regionen der Welt den Verkehr auch in 20 oder 30 Jahren nicht elektrifizieren können. Im Gegenzug schränken wir aber die bezahlbare, individuelle Mobilität vieler Südbadener ein und verhindern dadurch, dass sie am sozialen Leben teilhaben können.

 

»Klares Signal senden«

Wieso ein Verbrenner-Verbot in neuzugelassenen Pkw notwendig ist

Portrait: Martin Wietschel vom Fraunhofer ISI

Plädiert für das Verbrenner-Aus: Martin Wietschel vom Fraunhofer ISI

Der Verkehrssektor in der EU und in Deutschland konnte seine Treibhausgasemissionen (THG) in den letzten Jahren bis auf den Corona-bedingten Einbruch 2020 nicht senken. Die gesetzlichen Vorgaben zum Klimaschutz sehen für den Verkehrssektor eine Halbierung der THG-Emissionen bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2019 vor. Dies ist ohne schnellen Ausstieg aus fossilen Kraftstoffen nicht erreichbar. Weiterhin existiert das Ziel der Treibhausgasneutralität in Deutschland bis 2045. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Nutzungsdauer eines Pkw von 14 Jahren wird deutlich, dass spätestens ab 2035 keine Pkw in Deutschland mehr neu zugelassen werden können, die Treibhausgase emittieren. Mit Elektro-Pkw steht eine Alternative zur Verfügung, die in wenigen Jahren auch ohne Förderung günstiger ist als die konventionellen Fahrzeuge.

Somit ist unter dem Aspekt des Klimaschutzes ein Verbrennerverbot richtig. Ein Diskussionspunkt ist allerdings, ob Fahrzeuge für die ausschließliche Verwendung sogenannter synthetischer Kraftstoffe auch nach 2035 davon ausgenommen werden. Die Technologieoffenheit spricht dafür. Es wird der Industrie überlassen, die besten Lösungen zu finden.

Es gibt allerdings auch Argumente dagegen. Synthetische Kraftstoffe auf Basis der Biomasse bei Pkw einzusetzen ist mittelfristig nicht sinnvoll. Die Menge an nachhaltiger Biomasse ist beschränkt und sie wird in anderen Sektoren dringender benötigt. Dies sind Bereiche in der Chemie, wo Kohlenstoff als Quelle benötigt wird. Oder der internationale Flug- und Schiffsverkehr, in denen wegen der zu geringen Reichweite Batterien oder Brennstoffzellen nicht zum Einsatz kommen können.

Für dieselbe Fahrleistung benötigen Pkw auf Basis von strombasierten synthetischen Kraftstoffen (sogenannten E-Fuels) eine fünffach höhere Strommenge im Vergleich zu Elektro-Pkw, was einen massiv höheren Ausbau der Erneuerbaren notwendig machen würde. Dieser müsste wegen der beschränkten Potenziale von Erneuerbaren in Deutschland überwiegend im Ausland stattfinden. Der notwendige Produktions- und Transportinfrastrukturaufbau ist allerdings sehr zeit- und kapitalintensiv. Und er schafft neue Abhängigkeiten in der Energieversorgung. Ähnlich wie bei der Biomasse werden synthetische Brennstoffe auch dringender in anderen Bereichen benötigt. Beispielsweise in der Eisen- und Stahlindustrie oder als e-Kerosin zum Fliegen. Weiterhin werden sie nach heutigem Kenntnisstand sehr teuer sein, so dass sie für den Pkw-Massenmarkt kaum in Betracht kommen.

Ein für 2035 angekündigter Ausstieg auch aus Verbrenner mit synthetischen Kraftstoffen würde Planungssicherheit schaffen und ein Signal an die Pkw-Hersteller und Zuliefererindustrie senden. Diese spielen ja gerade in Baden-Württemberg eine besonders wichtige industriepolitische Rolle.

Fotos: © iStock.com/Scharfsinn86; ADAC; Fraunhofer