Belebte Höhlen: Rainer Stiefvater und sein Tuniberg Land & Leute | 17.10.2022 | Erika Weisser

Ausstellungsobjekte

„Vom Tuniberg“ heißt die Ausstellung, die in der Städtischen Galerie Altes Rathaus in Lahr zu sehen ist. Der Niederrimsinger Künstler Rainer Stiefvater präsentiert dort seine Objektkästen mit Fundstücken aus dieser einst archaischen Landschaft.

„Ich bin ein Augenmensch, der großen Wert auf Ästhetik legt“, sagt Rainer Stiefvater. „Ich knoble so lange an einer Sache, bis sie mir rundherum gefällt. Und manchmal reiße ich meine Sachen auch wieder nieder und baue sie neu auf.“ Seine Sachen: Klein- und Kleinstskulpturen, die er „aus zusammengesammeltem Dreck, Gras, Lianen, vergammeltem Holz, Baumpilzen, Käferflügeln, Maiskolben-Blätterbüscheln, Fruchtkapseln, Knochen, Wurzeln, Lederfröschen und anderen Tier- und Pflanzenresten“ neu erschafft – als mystische Einzelfiguren oder als Serie menschen- und tierähnlicher Wesen oder mumienartiger Gestalten, die er als „Kunst im Kasten“ hinter Glas in rätselhaft morbiden Reigenformationen oder in gotisch anmutenden spitzwinkligen Dreiecken anordnet. 

Seit 1974 lebt er in den von ihm selbst aus ebenfalls in der Umgebung gesammelten entsorgten alten Baumaterialien mit viel Liebe zum Detail zu einem lichten Wohn- und Atelierhaus mit grünem Innenhof umgebauten ehemaligen Wirtschaftsgebäuden eines alten Bauernhauses am Fuß des Tunibergs. Doch er beschäftigt sich nicht erst seit diesen knapp 50 Jahren mit der früher so vielfältigen Landschaft mit ihren Hohlwegen, Lösswänden und geheimnisvollen Höhlen: Als Kind fuhr der inzwischen 79-Jährige „wann immer es ging“ mit dem Fahrrad von Freiburg zu „fantastischen Entdeckungsreisen der Geheimnisse“, die diese Kalkstein-Erhebung in der Rheinebene barg. 

Stundenlang durchwanderte er damals die labyrinthischen Hohlwege – und fand in den Nischen der Lösswände Gebrauchsgegenstände, vergessen von Menschen, die früher hier gelebt und gearbeitet hatten. Und er fand seltsam geformte Lehmablagerungen, die er in seiner Fantasie als Urtierchen oder Gnome las, oder überhängende Bäume, deren Wurzeln auf ihn wie kleine Kobolde oder Schrate wirkten. Diese bizarren Fabel- und Mischwesen ließen ihn „im Geist ins Innere dieser Erdformation wandern“, wo sich ihm neue Räume eröffneten. In dieser fantastischen Märchenwelt, erinnert er sich, habe er sich geborgen gefühlt, habe er seinen im strengen Elternhaus und im ungeliebten Gymnasium nicht gestatteten Tagträumen freien Lauf lassen können. 

Verformte Landschaft

Organische Zeugen früherer Zeiten sammelte Stiefvater damals freilich noch nicht. Damit begann  er erst, als er nach seiner Lehrzeit als Kachelofenbauer und Fliesenleger, seiner Ausbildung an den Kunstgewerbeschulen Basel und München sowie mehreren Jahren „als freiberuflicher Spinner“ nach Niederrimsingen zog. Und die einst so inspirierende Gegend völlig verändert vorfand. Die geheimnisvolle und von Menschenhand behutsam genutzte Vielfalt war flurbereinigten Monokulturen gewichen, „alles war in Reih und Glied geordnet und angelegt, die Pflanzen nach Erträgen ausgerichtet, ,störende‘ Gewächse getilgt worden.“ Deshalb sucht und sammelt er Spuren der ursprünglichen Natur dieser verformten Landschaft, bewahrt sie und verhilft ihnen in seinen Kästen zu neuem Höhlenleben. Dieses ist nun in Lahr zu erkunden.

Info
Ausstellung: Rainer Stiefvater – Vom Tuniberg
16. Oktober bis 20. November
Städtische Galerie Altes Rathaus, Lahr

kultur.lahr.de

Fotos: © Erika Weisser