Historisches Handwerk #1 – Die Bollenhutmacherin Land & Leute | 27.08.2020 | Stella Schewe
Kuckucksuhr, Kirschtorte und Bollenhut gelten als Markenzeichen des Schwarzwalds. Doch letzterer wurde und wird eigentlich gerade mal in drei Dörfern getragen. In einem davon, in Gutach im Ortenaukreis, lebt Bollenhutmacherin Gabriele Aberle.
Der Hut ist groß und vor allem schwer: zum einen, weil Gips dem Stroh Stabilität verleiht, zum anderen, weil in den 14 roten Bollen zwei Kilo Schafswolle stecken. Mit einer Friseurschere gibt Aberle ihnen den letzten Schliff: schneidet herausstehende Wollfäden ab, bis sie makellos oval sind. „Da kommt immer wieder mal ein bisschen Wolle raus; es dauert, bis sich alles rausgeschafft hat“, erklärt sie. „So ein Hut braucht seine Zeit.“
Mehrere Wochen lässt sie den Hut liegen, arbeitet immer wieder mal nach, die eigentliche Arbeitszeit schätzt sie auf eine Woche. Den Strohhut kauft sie fertig, ihr Mann übernimmt das Eingipsen und Aufmalen der schwarzen Lackstreifen. Die handgefertigten Bollen näht sie so an, dass sie zusammen ein Kreuz bilden, mit je einer Stütze unten rechts und links – auf diese Weise wird fast der ganze Hut bedeckt.
Ob sie rot oder schwarz sind, hängt davon ab, ob die Hutträgerin ledig oder verheiratet ist. So ist Aberles eigener Hut denn auch schwarz – was ihr anfangs, unmittelbar nach der Hochzeit, „komisch“ vorkam. „Ich habe in den Spiegel geschaut und gedacht: Diesen Deckel soll ich jetzt anziehen?“, lacht sie. Inzwischen jedoch trage sie ihn gerne, trauere dem leuchtenden Rot nicht mehr nach. „Ich finde Schwarz edel, es unterstreicht die Würde der Frau. Man zieht sich ja auch ein kleines Schwarzes an.“
Würdevoll und aufrecht
Auch ihre Tracht trägt sie mit Überzeugung. „Darin fühle ich mich ganz anders als in Jeans. Und mit dem Hut auf dem Kopf geht man ganz aufrecht, wie eine Wassserträgerin.“ Außerdem sei man für jeden Anlass gut angezogen, die Festtagstracht etwa passe für eine Hochzeit genauso wie für eine Beerdigung. Zum ersten Mal dürfen Mädchen ihren Hut bei der Konfirmation tragen; die drei Bollenhut-Gemeinden Gutach, Kirnbach und Reichenbach sind nämlich evangelisch inmitten des katholischen Schwarzwalds, sie gehörten einst zum Herzogtum Württemberg. Mit der Strohflechterei verdienten sich die armen Dorfbewohner ab 1720 etwas Geld dazu. Am 7. Januar 1797 erhielten sie die herzogliche Anweisung, einen Strohhut „mit der üblichen Dekoration“ zu entwerfen – der Tag gilt heute als Geburtstag des Bollenhuts.
Anfangs waren die Kreise nur aufgemalt, 1820 dann sei zum ersten Mal das Luxusgut Wolle verwendet worden, erzählt Aberle. Die gelernte Bankkauffrau konzentrierte sich nach der Geburt ihrer Kinder ganz auf das Anfertigen von Strohhüten, das sie von ihrer Mutter und Großmutter gelernt hat. Letztere hatte die Tradition, nachdem die letzte Bollenhutmacherin um die Jahrhundertwende gestorben war, Mitte des 20. Jahrhunderts wiederaufleben lassen.
„Heute wird der Bollenhut oft verkitscht und vermarktet“, kritisiert sie, seine Verwendung in zeitgenössischen Kunstwerken heißt sie nicht immer gut. „Ein Bollenhut auf einem nackten Kinderpopo oder eine Hutträgerin mit Maschinengewehr – das muss ja nicht unbedingt sein.“ Wichtig ist ihr, die Tradition im Original weiterzugeben: Im Freilichtmuseum Vogtsbauernhof klärt sie regelmäßig über die Geschichte des Bollenhuts auf. „Brauchtum ist für mich ein Stück Heimat, es sind die Wurzeln, die man hat.“ Besonders gerne verkauft sie ihre Hüte an Trachtenträgerinnen; der Stückpreis liegt bei 285 Euro. Aber auch für Menschen, die ihn an die Wand hängen möchten, fertigt sie Exemplare an – aber nur, „wenn er wertgeschätzt wird und die Achtung stimmt“.
Fotos: © ste