Neuer Lesestoff aus der REGIO Land & Leute | 01.02.2021 | Tanja Senn, Erika Weisser

Autoren Thomas und Janine Birmele

Ein Fasnachtskrimi aus Elzach, eine Haussuche vom Kinzigtal bis zum Hotzenwald, Zungenknoten über die Kopf- und Landesgrenzen hinweg oder ein kleines Sprachatlas von Baden-Württemberg: Lesenswerte, literarische Neuerscheinungen von regionalen Autoren.

Kleines Trostpflaster

Schaurige Masken, die der Narr in der Öffentlichkeit niemals abnehmen darf. Schummrige Fackeln in einem ansonsten pechschwarzen Ort. Animalische Gestalten mit verzerrten Fratzen, die durch die Straßen marschieren. Dass die Elzacher Fasnet ausreichend Stoff für einen spannenden Krimi hergibt, wird wohl niemand bezweifeln, der sie schon einmal erlebt hat.

Auch Thomas und Janine Birmele waren genau dieser Meinung. Ihr Roman „Totengfriss“ spielt inmitten der Narrenhochburg Elzach und beginnt am Fasnetsdienstag, als der verkaterte Kriminalhauptkommissar Wendelin Wisser zu einem Leichenfund gerufen wird. Die Schuttig, die Larve, das Gfriss – wer mit diesen Begriffen noch nichts anfangen kann, wird in diesem Krimi direkt ins Elzacher Brauchtum eingeweiht. Selbst der Autorenname „B. Engelreiter“ ist ein Pseudonym und spielt auf den alten Handwerksbrauch des Bengelreitens an, bei dem ein Bräutigam durchs Dorf getragen und von 14 Frauen umkämpft wird. Thomas Birmele darf sich zu Recht so nennen, denn in der letzten Fasnet konnte sich der gebürtige Elzacher als Bengelreiter behaupten.

Dass er und seine Frau – beide begeisterte Narren – letztes Jahr zu Hobbyautoren wurden, verdanken sie eigentlich dem Tatort, der bis Mitte März im Elztal gedreht wurde. „Der war sehr enttäuschend“, sagt der 34-Jährige, „und da haben wir uns gedacht: Aus der Fasnet könnte man doch viel mehr machen.“ Als der Realschullehrer und die Landschaftsgestalterin dann im ersten Lockdown die Zeit hatten, setzten sie sich hin und schrieben in rund zwei Monaten ihren ersten Roman. „Wir sind das ganz hobbymäßig angegangen“, erzählt Janine Birmele. „Wir hätten nie gedacht, dass der Krimi so gut ankommt.“

Denn das Buch, das erst Anfang Dezember erschienen ist, wurde zum Renner im Elztal und darüber hinaus. Mehr als 1000 Exemplare haben die beiden Hobbyautoren bereits verkauft. „Klar, das ist nicht bestsellerverdächtig“, gibt Thomas Birmele zu, „aber wir finden das super.“ Den Erfolg sieht er, ganz bescheiden, weniger in ihren Schreibkünsten als im Thema selbst begründet. „Die Elzacher sind so fasnetsbegeistert – die kaufen alles, wo eine Schuttig drauf ist“, sagt er lachend.

Dem Ehepaar war es wichtig, dass das Buch noch rechtzeitig zur ausfallenden Fasnet erscheint – etwas, das sie mit einem regulären Verlag wahrscheinlich nicht geschafft hätten. Sie wählten deshalb den Weg des Selfpublishing, bei dem die Exemplare auf Bestellung einzeln gedruckt werden, erklärt Janine Birmele: „Wir sind selbst auch traurig, dass die Fasnet dieses Jahr ins Wasser fällt und wollten allen ein kleines Trostpflaster mitgeben, denen es genauso geht.“

Buchcover Totengfriss

Totengfriss
von B. Engelreiter
Verlag: BoD – Books on Demand 
210 Seiten, Taschenbuch
Preis: 9,99 Euro

 

 

 

Tour durchs wunderschöne Südbaden

Dass es eine Herausforderung sein kann, eine Bleibe zu finden, davon können viele Südbadener ein Lied singen. Auf der Suche nach einem Eigenheim – einem Haus mit Garten fürs Alter – haben Corinna und Jochen Ludwig 33 Häuser besichtigt.Das ist bei der aktuellen Wohnungsnot nichts Besonderes und sicherlich kein Stoff für ein ganzes Buch. Oder etwa doch? Jochen Ludwig, bis 2011 Direktor des Museums für Neue Kunst in Freiburg, war anderer Meinung und hat seine Erlebnisse bei der Haussuche niedergeschrieben. Herausgekommen ist ein erstaunlich kurzweiliges Road-
movie.

Vom Kinzigtal bis ins Markgräflerland, vom Hotzenwald bis in die Ortenau führten ihn und seine Frau die Besichtigungen. Allein wegen der lebendigen Beschreibungen der Landschaften sind die kleinen Geschichten schon lesenswert: Die Fahrten führen in Orte, die auch manchem Einheimischen noch unbekannt sein dürften. Daneben erwarten den Leser viele unterhaltsame Begegnungen mit schrägen Maklern, herzlichen Verkäufern oder interessanten Zufallsbekanntschaften. Fans von Spannung und Action sind hier falsch – wer Lust auf eine literarische Reise durch unsere wunderschöne REGIO hat, kann hingegen anfangen zu lesen.

Buchcover Landschaften, Menschen und 33 Häuser

Landschaften, Menschen und 33 Häuser
von Jochen Ludwig
Verlag:
Rombach, 2020
216 Seiten, kartoniert
Preis: 19,80 Eur

 

 

 

Roadtrip

Überraschend und noch jung stirbt Ananke – und hinterlässt bei Freunden und Geschwistern eine unerträgliche Lücke. Wie gelähmt in ihrer Trauer, suchen sie nach Erklärungen, nach womöglich übersehenen Hinweisen.

Sie beschwören Erinnerungen an gemeinsame Kinder- und Jugendtage, an traumtänzerische Sommer in enger Verbundenheit, aber auch an erste Geheimnisse und Konflikte. Doch sie finden keinen Trost – bis eine radikale Idee alles auf den Kopf stellt: Sie starten zu einem verwegenen Roadtrip mit einem klaren Ziel.

In kurzen Textfragmenten kontrastiert die aus Rohrschach stammende Autorin triste Gegenwart mit schillernder Vergangenheit und verwebt beides zu einer zutiefst menschlichen Erzählung über Freundschaft, deren Bedeutung erst durch den Verlust begreifbar wird. Schweizer Buchpreis 2020.

Das alles hier Buchcover

das alles hier, jetzt
von Anna Stern
Verlag: Elster & Salis, 2020
288 Seiten, gebunden
Preis: 24 Euro

 

 

 

Sprachtanz

Der jüngste heftige Wintereinbruch hat uns eine Kindheitserfahrung zurückgebracht: Nämlich, wie es ist, wenn die Hände hornigeln. Insbesondere dann, wenn sie schlecht geschützt zum Lenken eines Fahrrads oder eines Bulldogs dienen. Zugegeben, mit dem Bulldog, andernorts auch Traktor oder Schlepper genannt, fahren derzeit nicht viele Leute herum. Mit dem Rad – weiter südlich: Velo – schon eher. Trotz Eis, Schnee und Kälte, die Fingerspitzen zum Gefrieren und Schmerzen bringen. Hornigeln eben. Oder wie man weiter nördlich sagt: „bitzeln“ oder „funkeln“. Oder an-, ein-, dur- oder unnegeln, wie unsere Nachbarn jenseits des Schwarzwalds es nennen.

Buchcover Sprachatlas

Kleiner Sprachatlas von Baden-Württemberg
von Hubert Klausmann
Verlag: Regionalkultur, 2020
192 Seiten, gebunden
Preis: 19,90 Euro

 

 

 

Nachbarschaft

Seit 2003 schreibt Martin Graff, der dreisprachige Überwinder von Kopf- und Landesgrenzen aus dem elsässischen Soultzeren, für die Ludwigshafener „Rheinpfalz“ Kolumnen zu deutsch-französischen Befindlichkeiten aller Art. „Zungenknoten“ nennt er diese virtuosen Texte, die zum barrierefreien Sprachtanz einladen – mit gelungenem Wechsel der Idiome mitten im Satz.

Eine Auswahl dieser grenzenlos inspirierenden Anmerkungen zur Geschichte und Kunst des Regierens, zu politique, migration, gastronomie et pandémies transfrontalières, zu Europa und anderen Themen ist nun erschienen: zwei Jahrzehnte relations franco-allemandes mit Lust und Laune, mit historischen Bezügen und Zukunftsvisionen. Ein besonderes Kapitel ist „La Chancelière et les Présidents“: Drei sah sie schon gehen, der vierte umschwärmt sie noch.

Buchcover Zungenknoten

Zungenknoten
von Martin Graff
Verlag: Wellhöfer, 2020
176 Seiten, broschiert
Preis: 18 Euro

 

 

 

Foto: © privat