Beim Ausbau der Windkraft herrscht anhaltende Flaute Politik & Wirtschaft | 13.11.2021 | Tanja Senn, bar

Neue Windkrafträder braucht das Land – daran arbeiten Land, Bund und EU anscheinend mit Hochdruck. Doch die Zahlen zeigen: Beim Ausbau der Windkraft weht in Südbaden sowie im Rest des Landes nur ein laues Lüftchen.
Steil ins Tal abfallende Weiden, grüne Nadelbäume und ein paar Büsche: Mehr ist auf dem Taubenkopf an der Nordflanke des Schauinslands nicht zu sehen. Dabei sollten dort gerade Bagger und Kräne emsig am Arbeiten sein. Ursprünglich war der Baubeginn der beiden Windkrafträder, die die Ökostrom-Gruppe Freiburg hier plant, aufs vierte Quartal dieses Jahres datiert. Noch im Ende 2020 eingereichten Bauantrag ging der Projektentwickler von einer Inbetriebnahme im Juni 2022 aus, jetzt ist sich Geschäftsführer Andreas Markowsky sicher: Vor dem zweiten Halbjahr wird nichts passieren.
Und das auch nur, wenn die Genehmigung – wie von ihm erwartet – dieses Jahr noch kommt und sein Unternehmen bei der folgenden Ausschreibung im Februar den Zuschlag erhält. Der erfahrene Windanlagen-Planer gibt sich gelassen: „Dass sich die Verfahren verzögern, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel.“
Das spiegelt auch die Zahl der Windräder wider: Rund 750 drehen sich aktuell in Baden-Württemberg. Zum Vergleich: In Niedersachsen stehen mehr als 6350 Windräder. Und auch der Zuwachs lahmt, denn in den vergangenen vier Jahren sind in Baden-Württemberg gerade einmal 69 neue Anlagen gebaut worden (s. Info). Vor diesem Hintergrund wirken die aktuellen Pläne der Landesregierung geradezu zynisch: 1000 neue Windkrafträder sollen sich laut Koalitionsvertrag bis 2026 im Ländle drehen. Manch einem könnte das bekannt vorkommen: Bereits 2012 hatten sich Grüne und die damals mitregierende SPD das Ziel gesteckt, 1200 Windräder zu bauen, um bis 2020 mindestens zehn Prozent des Energiebedarfs aus heimischer Windenergie zu erzeugen. Diese Pläne sind grandios gescheitert. Dass Experten wie Markowsky angesichts der neuen Absichtserklärung nicht in Euphorie ausbrechen, verwundert daher nicht: „Wir hören seit zehn Jahren, dass der Ausbau der Windkraft unterstützt werden soll, aber die notwendigen Schritte dafür sehen wir nicht.“
»Scholz-Äußerungen sehr abenteuerlich«
Das soll sich nun jedoch ändern. Ende Oktober hat die Landesregierung eine neue „Task Force“– einen ressortübergreifenden Arbeitsstab – ins Leben gerufen. Eines ihrer Ziele ist, die Genehmigungszeiten drastisch zu verkürzen. Schließlich gingen momentan für die Planung einer Anlage bis zu sieben Jahre ins Land. Auch Markowsky fordert schlankere Prozesse und hält eine Halbierung der Planungszeiten, wie von Winfried Kretschmann angedacht, für realistisch. Wahlkampf-Äußerungen wie die von Olaf Scholz, diese Zeit auf sechs Monate zu verkürzen, hält er hingegen für „sehr abenteuerlich“.
Den Ansatz der Task Force, vor allem auf standardisierte und digitale Genehmigungsverfahren zu setzen, sieht der erfahrene Planer kritisch. Er fordert vor allem eine andere Grundeinstellung der Verwaltung. In vielen Behörden sei man im Zweifel nicht für, sondern gegen die Windkraft. „Das sind Kämpfe, die an die Substanz gehen“, sagt Markowsky, „ohne eine hohe Misserfolgstoleranz geht in unserem Beruf nichts.“ Dennoch begrüßt er die aktuelle Aufbruchstimmung: „Die Chance, dass sich jetzt etwas ändert, ist so groß wie nie.“

Geschützter Greifvogel: Wo viele Rotmilane brüten, gelten besonders strenge Vorschriften.
Neben schnelleren Verfahren sind dafür auch neue Standorte notwendig. Ein wichtiges Instrument: mehr Flächen im Staatswald ausweisen. Schließlich gehört rund ein Viertel aller Waldflächen dem Land. 500 neue Windräder sollen hier nun entstehen. Eines der Gebiete liegt in Südbaden: In einem Vergabeverfahren bietet der Forst Baden-Württemberg (ForstBW) 200 Hektar am Blauen an. Die Planungen dürften hier nicht einfach werden. Schließlich hat sich die 2011 gegründete Bürgerinitiative „Bürgerwindrad Blauen“ daran bereits versucht – und aufgrund des massiven Gegenwinds der Anliegergemeinden bislang immer wieder die Segel gerefft. Ein Umdenken in den Rathäusern habe aber nun bewirkt, dass der Verein seine Pläne wieder aus der Schublade holt.
Auch am Taubenkopf weht noch Gegenwind. So hat sich der Ortschaftsrat Freiburg-Kappel in diesem Jahr erneut dagegen ausgesprochen. Die Befürchtungen der Anwohner reichen dabei vom Brandschutz über Eisfall bis hin zu den Schallimmissionen. Rational seien die Befürchtungen unbegründet, erklärt Markowsy: „So ein Antrag kostet viele hunderttausende Euro. Wir hätten ihn nicht eingereicht, wenn wir uns nicht sicher wären, alle Vorgaben zu erfüllen.“ Die Ängste von Anwohnern seien hingegen ein „emotionales Problem“: „Wir haben bisher immer die Erfahrung gemacht, dass sich die Befürchtungen erübrigen, sobald die Anlagen stehen.“
Ein weiterer Anwohner dürfte ebenfalls kaum erfreut sein: der Rotmilan. In einer Stellungnahme warnt Ralf Schmidt, Vorsitzender des NABU Freiburg, davor, dem Artenschutz zu wenig Beachtung zu schenken: „Die Energiewende ist dringend nötig, sie muss jedoch naturverträglich vollzogen werden“, heißt es in dem Papier. „Wir erachten den Standort für die WEA am Taubenkopf kritisch und sehen einige Indikatoren, welche gegen eine Genehmigung des immisionsschutzrechtlichen Antrags zum Betrieb zweier Windräder auf dem Taubenkopf sprechen und lehnen diesen ab.“ Ob der Verein gegen eine Genehmigung klagen würde, will Schmidt zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Das hänge auch davon ab, ob ausreichende Ausgleichsmaßnahmen gefunden werden. Der politische Wille bei dieser Frage lässt sich hingegen recht gut an einem Zitat des Landesvaters Kretschmann ablesen: „Es kann nicht sein, dass der Rote Milan über die Energiewende entscheidet.“
Info
Windkraft in Zahlen
Zahl der Windräder Ende 2020 (Leistung MW):
> Baden-Württemberg: 728 (1572)
> Südbaden: 125 (240)
> Landkreis Freiburg: 9 (27)
Neue Windräder, 1. Halbjahr 2021:
> Niedersachsen: 48
> Brandenburg: 40
> Nordrhein-Westfalen: 40
> Schleswig-Holstein: 39
> Baden-Württemberg: 21
> Deutschland insg.: 240
Zuwachs der Anlagen in Baden-Württemberg:
> 2015: 53
> 2016: 119
> 2017: 123
> 2018: 32
> 2019: 8
> 2020: 10
Anteil am Bruttostromverbrauch:
> Wasserkraft: 6,0%
> Windenergie: 4,2%
> Photovoltaik: 9,0%
> Biogas: 4,2%
> Erneuerbare Energien insg.: 25,8%
Windkraftanlagen der Ökostromgruppe Freiburg
27, davon 9 als Bürgerbeteiligung mit 40 Mio. kWh/a Ertrag
Windkraftanlagen von Badenova und Ökostromgruppe Freiburg
6 mit 16 Mio. kWh/a Ertrag
Windkraftanlagen Badenova
8 mit 60 Mio. kWh/a
Fotos: © pixabay