Dietenbach kostet vier Milliarden Euro – Rathaus legt Vermarktungskonzept vor Stadtentwicklung | 14.07.2025 | Lars Bargmann

Dietenbach Fussgaenger

Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag und Ingo Breuker, der stellvertretende Leiter der Projektgruppe Dietenbach, haben am 10. Juli das lang erwartete Vermarktungskonzept für den ersten Bauabschnitt im neuen Stadtteil Dietenbach vorgestellt. Es geht um 1600 Wohnungen für 3500 Menschen, um 107 Grundstücke, um die ersten Gebäude am Schulcampus und es geht um sehr viel Geld. Der neue Stadtteil mit 6900 Wohnungen für etwa 16.000 Bewohner wird nach Recherchen des business im Breisgau insgesamt gut vier Milliarden Euro kosten.

Haag und Breuker hoffen jetzt auf einen „Wettbewerb der Ideen“. Die 107 Grundstücke in 25 Baublöcken werden zu festen Preisen und „nicht gegen das höchste Gebot“ verkauft. Das ist aber trotz der hohen Erschließungs- und Finanzierungskosten keine wohnungspolitische Sensation, denn bei einer Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM) geht das rechtlich gar nicht. Erst recht nicht, wenn das Ziel bezahlbarer Wohnraum ist. Und die SEM war schließlich die Bedingung dafür, dass Freiburg überhaupt einen neuen Stadtteil planen kann.

107 Grundstücke zum Festpreis

Die Grundstückspreise sind grundsätzlich an die Geschossflächenzahl gekoppelt (die GFZ gibt an, wie viel Quadratmeter Wohnraum auf einem Quadratmeter Boden gebaut werden kann). Ein Beispiel: Ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück mit einer GFZ von 1,0 würde im ersten Bauabschnitt rund 1250 Euro pro Quadratmeter kosten. Das würde aber niemand auf den Tisch legen. Wenn die GFZ 1,0 ist, ist der Faktor für die bewohnbare Fläche etwa 0,75. 750 Quadratmeter Wohnraum könnten also auf diesem 1,25 Millionen Euro teuren Grundstück gebaut werden. Pro Quadratmeter Wohnraum wären das mithin 1666 Euro allein fürs Grundstück – ohne Wohnung drauf.

Wie hoch die Grundstückspreise für die 107 Grundstücke am Ende sein werden, steht noch gar nicht fest. Das Rathaus will die Verkehrswerte anhand von Grundstückswerten im Rieselfeld und in Landwasser ermitteln lassen. Fest steht: Je höher die Ausnutzung, umso höher der Preis. Das höchste Gebäude im ersten Bauabschnitt, der auf den Namen „Am Frohnholz“ hört, wird zwölf Geschosse haben. Das kleinste Townhouse hat zwei aufeinandergestapelte Wohnungen.

Vertreter des Rathauses haben das ursprüngliche Vermarktungskonzept nach – dringend notwendigen – Gesprächen mit 20 Experten aus der regionalen Bauwirtschaft modifiziert und für die avisierten Bauherren durchaus verbessert. Die maximale Zahl an Wohnungen, die ein Vorhabenträger allein bauen darf, wurde von 40 auf 50 angehoben. Die 50-­Prozent-Quote für den geförderten Mietwohnungsbau muss nicht parzellengetreu, sondern über den ganzen Dietenbach nachgewiesen werden. Und: Es zählen übrigens auch Wohnungen als gefördert, wenn sie nicht durchs Landeswohnraumförderprogramm bezuschusst werden.

Bauen mit und ohne Holz

Bauen mit Holz ist kein Muss mehr. Das Anker-Anlieger-Konzept (bei dem ein Investor in einem Baublock noch mehrere kleine Initiativen oder Baugruppen mitmanagen sollte) wurde gelockert, der hohe Effizienzhaus 40-Standard wurde auf den 55er-Standard abgemildert. „Auch das ist zu begrüßen. Wir bauen auch mit dem 55er-Standard klimaneutrale Gebäude“, kommentiert Marc Ullrich, Vorstandsvorsitzender des Bauvereins Breisgau.

„Wir haben das enge Korsett aufgeschnürt, aber ohne unsere Ziele zu verraten“, erzählt Breuker im Gespräch mit der Redaktion. „Wir müssen schauen, wie das Produkt bei den Bauherren ankommt“, sagt Haag. Das ist eine andere Tonlage als die, die jahrelang im Gemeinderat vorherrschte. Selbst als die Stadt Freiburg im März 2023 von der Sparkassen-Tochter EMD (Entwicklungsmaßnahme Dietenbach KG) 410 Grundstücke mit 78,5 Hektar Fläche für rund 63 Millionen Euro kaufte, hieß es, dass man keine einzige Blume aus dem knallbunten Blumenstrauß der politischen Wünsche (inklusiv, innovativ, sozial, architektonisch ambitioniert, ökologisch, preiswert) nehmen dürfe.

Auch nicht die, um die das Bändchen mit der Aufschrift „Nur zu leihen, nicht zu kaufen“ hing. Von einer verpflichtenden Vergabe der Grundstücke nur im Erbbaurecht ist das Rathaus mittlerweile und richtigerweise abgerückt. Wenn Dietenbach gelingen soll, ist das eine der notwendigen Bedingungen. Geliehene Grundstücke kann man bekanntlich kaum beleihen. Und ausgerechnet die adressierten Baugenossenschaften können mit Erbbaurechten gar nichts anfangen, weil sie ihren Mitgliedern lebenslange Mietrechte geben. „Zudem verteuern Erbbauzinsen massiv das Wohnen“, sagt Ullrich.

Ob sich der Bauverein im ersten Bauabschnitt bewerben wird, ließ er offen. Klar ist bereits, dass sich die zweite große Baugenossenschaft, die Familienheim Freiburg, nicht bewerben wird. „Wir sind erst einmal nicht dabei, weil wir mit unseren Bauvorhaben im Zinklern in Lehen und in Umkirch genug zu tun haben“, sagt die Vorstandsvorsitzende Anja Dziolloß.

Das bedeute zwar nicht, dass die Genossen nicht irgendwann doch im Dietenbach bauen werden. Aber: „Wenn preiswertes Wohnen rauskommen soll, kann die Ausgangslage nicht teuer sein.“ In Lehen und in Umkirch seien die Grundstückspreise jedenfalls deutlich niedriger. Und damit auch die Mieten.

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Auch Klaus Ruppenthal, Vorstand der Wohnbau Baden AG, war von der Projektgruppe Dietenbach zum Gespräch eingeladen: „Ich hatte den Eindruck, dass unsere Ansinnen schon gut aufgenommen wurden. Wenn ein Bauträger als Anker in einem Baublock für andere Bauwillige mitorganisieren muss, dann stellen sich sehr viele Fragen.“ Wo steht warum der Kran? Wird zeitgleich oder zeitversetzt gebaut? Wie soll weswegen der Innenhof gestaltet werden? Nur drei Beispiele. Ob sich die WOBAG bewerben wird? „Wir werden prüfen, ob das für uns handhabbar ist.“

»Ökonomisch« kommt nicht vor

Den erhofften Wettbewerb der Ideen, den es im Neubauviertel Kleineschholz im Stühlinger tatsächlich gegeben hat, wird es im Dietenbach nur geben, wenn die Grundstücke mit attraktiven Rahmenbedingungen ausgeschrieben werden. In der das Vermarktungskonzept vorstellenden Drucksache G-25/080 für den Gemeinderat kommt übrigens neun Mal das Wort „städtebaulich“ vor, sieben Mal „sozial“, fünf Mal „bezahlbar“ und je vier Mal „nachhaltig“ und „ökologisch“. Aber null Mal: „ökonomisch“. Dabei geht es im Dietenbach auch um ein vier Milliarden Euro großes Risiko.

Die Grundstücke sollen nun im ersten Quartal 2026 über eine Online-­Plattform ausgeschrieben werden. Am 29. Juli gibt es eine Auftaktveranstaltung in der Lokhalle auf dem Güterbahnhof. Das GEWOS-Institut (Institut für Stadt-, Regional- und Wohnungsforschung GmbH) hatte 2022 eine Wohnmarktanalyse und -bedarfsprognose für Freiburg erstellt. Auch deren Ergebnisse fanden Eingang ins Vermarktungskonzept. Darin heißt es auch, dass Freiburg „bezahlbare Eigentumsformen“ fehlen. Die Freiburger Politik aber hat bislang unbeirrt nur bezahlbare Mietwohnungen im Blick.

80 Fußballfelder Bauland

Der neue Stadtteil ist 107 Hektar oder 150 Fußballfelder groß. Das Nettobauland umfasst gut 80 Fußballfelder. Im Jahr 2012, als die Stadt anfing, das Gebiet zu untersuchen, gehörten ihr schlappe 18,5 Prozent der Flächen. Heute sind es 98 Prozent. Neben den EMD-Grundstücken hat die Stadt vom Land noch 17 Hektar gekauft. Die Regierung in Stuttgart hat allerdings ein paar Tausend Quadratmeter behalten, um darauf – im zweiten Bauabschnitt – zusammen mit dem Uniklinikum und dem Studierendenwerk Wohnheime für Studis, Azubis und Co. zu bauen.

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Drei Grundstücke mit insgesamt 8000 Quadratmetern und 13.500 Quadratmetern Geschossfläche fürs Wohnen werden ohne Umwege an die Freiburger Stadtbau GmbH vergeben, die darauf mindestens 100 Wohnungen bauen wird. Ein Grundstück (2460 Quadratmeter) geht direkt an die katholische Kirchengemeinde. Dort soll auf 6490 Quadratmetern Geschossfläche ein Haus der Kirche gebaut werden. In dem es neben sozialen Flächen und einer Kita auch Wohnungen geben wird.

Zudem gibt es im ersten Bauabschnitt – und nur dort – vier Baufelder von Alt-Eigentümern, die nicht in den EMD-Deal eingestiegen sind, sondern mit der Stadt direkt Verträge geschlossen haben. Auch diese haben 65 Euro pro Quadratmeter bekommen – und ein Vorkaufsrecht fürs erschlossene Grundstück. „Die wollen selber entwickeln“, sagt Breuker. Diese Alt-Eigentümer können den Bewerbungsparcours barrierefrei passieren.

Die Kosten des Stadtteils belaufen sich mittlerweile auf 1,32 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2018 ging die Stadt noch von rund 700 Millionen Euro aus. Allein der Zinsaufwand ist mittlerweile auf 128 Millionen Euro angewachsen (siehe Infobox). In der Spitze im Jahr 2031 muss das Rathaus übrigens laut der jüngsten Kosten- und Finanzierungsübersicht 436 Millionen Euro vorfinanzieren.

1,14 Milliarden will das Rathaus durch die Grundstücksverkäufe erlösen, zudem rechnet es mit 49 Millionen Euro an Fördermitteln (für Schule und Sportanlagen) und 25 Millionen aus Ausgleichsbeiträgen – 20 Millionen vom Land und 5 Millionen von der Kirche für die Erschließung ihrer Grundstücke. Bleibt unterm Strich ein Minus von 106 Millionen. 100 Millionen sollen über 20 Jahre aus dem städtischen Haushalt kommen. Mehr hätte das Regierungspräsidium Freiburg als Aufsichtsbehörde auch gar nicht zugelassen. Die restlichen sechs „sind innerhalb des Projekts auszugleichen“, heißt es auf Anfrage der Redaktion.

Im neuen Stadtteil wird es insgesamt rund 1,15 Millionen Quadratmeter Geschossfläche geben, davon 850.000 Quadratmeter fürs Wohnen. Netto (etwa nach Abzug von Treppenhäusern) werden also etwa 640.000 Quadratmeter bleiben, auf denen die Menschen wohnen können. Aktuell kalkulieren Bauträger, aber auch die Freiburger Stadtbau oder die Genossenschaften, den Quadratmeter Wohnen in der Herstellung mit mindestens 4500 Euro. So ergeben sich neben den Grundstückskosten von 1,14 noch einmal etwa 3 Milliarden Euro an Baukosten.

Hoffen auf den Bauturbo

„Wir sind optimistisch, dass dieses Vermarktungskonzept wirklich dazu führt“, sagt Haag, „dass die Gebäude so gebaut werden, wie wir uns das vorstellen, nämlich sozial, ökologisch und bezahlbar.“ Auch er aber weiß, dass der neue Vorzeigestadtteil ohne massive Hilfen von Bund und Land – dazu zählen nicht zuletzt konkrete Ergebnisse eines „Bauturbo“, die massive Entschlackung von Vorschriften, mehr und verlässliche Förderungen – keine Erfolgsgeschichte werden wird. 

Das kostet Dietenbach (in Mio. €)

Erschließung 418,5
Schulcampus 209,3
Finanzierung 127,9
Projektmanagement 90,4
Neuordnung Grundstücke 88,5
Quartiershäuser 79,6
Grünanlagen 76.8
Kauf der EMD KG 63
Naturschutz 31,7
Entwässerung 26,8
Sportflächen 11,7
Vermarktung 8,7
Gewässerausbau 3,5
Sonstige 85

Illustrationen: © LINK3D