Mit etwas Glück und einer Portion Humor: Menschen mit Behinderung fühlen sich im Freiburger ÖPNV benachteiligt Politik & Wirtschaft | 05.09.2022 | Sarah Heimberger

Die Freiburger Verkehrs AG (VAG) sieht sich bezüglich Barrierefreiheit gut aufgestellt. Und sie bemüht sich um Verbesserungen. Rollstuhlfahrer Kevin Eikmeyer reicht das nicht. Bahnfahren bedeutet für ihn Zeit- und Nervenaufwand.

Fordert mehr Zivilcourage im ÖPNV: Kevin Eikmeyer

Der Höhenunterschied zwischen Tram und Bahnsteigkante an Freiburger Haltestellen ist hoch. Kevin Eikmeyer hat deshalb beim Ein- und Aussteigen Schwierigkeiten, denn der 32-Jährige leidet von Geburt an unter einer Spastik. Der Höhenunterschied am Freiburger Bertoldsbrunnen ist laut Eikmeyer besonders hoch. Er steigt deshalb eine Station davor aus und fährt per Hand zu seinem Ziel: „Das ist viel mehr Zeitaufwand für mich.“ Die Bemühungen der VAG beim Umgang mit mobilitätseingeschränkten Personen weiß Eikmeyer zu schätzen. Trotzdem betont er: „Der Freiburger ÖPNV ist verbesserungsbedürftig.“

Gerd Kiefer von der VAG entgegnet: „Wir sind dem Ziel ganz nah, nur noch Fahrzeuge mit Niederflurtechnik im Regelbetrieb zu haben.“ Lediglich eine alte Bahn sei noch im Freiburger Streckennetz. „Im Straßenbahn-Bereich sind wir gut aufgestellt, auch unsere Busse sind zu 100 Prozent niederflurig“, so Kiefer. Er ist bei der AG für den Umgang mit mobilitätseingeschränkten Personen zuständig und bietet auch Infoveranstaltungen sowie Kurzlehrgänge zur Barrierefreiheit im ÖPNV an.

Das Ein- und Aussteigen bei Haltestellen ohne Hochbordstein ist via Rampe möglich. Das Hilfsmittel wird von Straßenbahn-Fahrer·innen angelegt, wenn sich mobilitätseingeschränkte Personen durch Zeichen beim Fahrpersonal gemeldet haben. „Wir haben überwiegend positive Rückmeldungen aus dem Kund·innenbereich“, so Kiefer.

Für sehbehinderte Personen ist seit August eine kostenfreie App in den Stores, die sich per Bluetooth mit der Bahn verbinden soll. Durch die Vorlesefunktion können sich Betroffene darauf hinweisen lassen, welches Fahrzeug kommt und wo sich eine Tür befindet. Für Kiefer ist die App ein großer Schritt in die richtige Richtung.

„Unser Anliegen ist es, dass alle Fahrgäste gleichbehandelt werden – das Einhalten des Fahrplans spielt in solchen Fällen keine Rolle“, betont der VAG-Mitarbeiter. Eikmeyer hat allerdings bemerkt, dass sich nicht alle Fahrer·innen eins zu eins daran halten. Wenn er sich die Rampe anlegen lässt, spürt er teils den Frust und den Unmut der Fahrer·innen durch den streng getakteten Fahrplan. Hier fängt für ihn Ausgrenzung an.

 „Überwiegend positive Rückmeldungen“: Gerd Kiefer (VAG)

Nachdem Eikmeyer einen Unfall hatte, als er beim Einsteigen rückwärts mit dem Rollstuhl umkippte, lässt er sich nun aus Sicherheitsgründen von Passant·innen in die Bahn helfen: „Ich vertraue mich den Leuten an – man braucht etwas Glück und eine Portion Humor.“

Im Bremer ÖPNV gibt es laut Eikmeyer Rampen, die automatisch ausfahren. „Das ist meine Idealvorstellung“, erzählt er. Laut Kiefer ist dieses System für Freiburg nicht geplant. Er betont: „Unsere Rampentechnologie ist zu 100 Prozent zuverlässig.“ Welche Summe die VAG jährlich für die Verbesserung von Barrierefreiheit investiert, könne nicht pauschal beantwortet werden.

In einem Punkt sind sich Kevin Eikmeyer und Gerd Kiefer einig: Das Miteinander im ÖPNV ist unverzichtbar. Für Kiefer ist es wichtig, dass die Menschen aufeinander zugehen. Eikmeyer wünscht sich mehr Miteinander: „Ich kann nur an die Zivilcourage appellieren – bieten Sie körperlich beeinträchtigten Personen Hilfe an.“

Fotos: © privat, VAG