Enttäuschung und Solidarität: Zwei Freiburger berichten vom Protest in Lützerath Politik | 20.01.2023 | Pascal Lienhard

Räumung von Lützerath Die Baumhäuser von Lützerath gehören der Vergangenheit an.

Lützerath zog in den vergangenen Tagen großes Medieninteresse auf sich. Aktivist·innen hielten den nordrhein-westfälischen Weiler besetzt, veranstalteten Demonstrationen, leisteten Widerstand gegen die geplante Ausweitung des Tagebaus Garzweiler. Mit dabei waren ein Freiburger Abiturient und ein Stadtrat. Dem chilli berichten sie von der Räumung und der großen Demonstration am vergangenen Samstag.

Das letzte Gebäude ist abgerissen. Mehr als 105 Einwohner·innen hatte Lützerath zwar nie. Dennoch ist es zu einem Symbol geworden. Im Oktober haben der Energiekonzern RWE und die Grünen-Politiker Robert Habeck und Mona Neubaur einen Deal geschlossen. Der Kohleausstieg in NRW soll von 2038 auf 2030 vorgezogen werden. Im Gegenzug darf kurzzeitig mehr Kohle verfeuert werden. Der Ort Lützerath soll abgebaggert werden, dafür bleiben fünf andere Dörfer erhalten. Die einen feiern das als Erfolg – die anderen sehen darin einen Verrat der Grünen.

Garzweiler

Der Blick ins Nichts: Der Tagebau Garzweiler

Protest mit nassen Füßen

Zur zweiten Gruppe gehört Gabriel Sprich. Der 19-Jährige ist für sein Abitur nach Freiburg gezogen. Hier ist er mit Gruppen wie Fridays for Future vernetzt. „Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, nach Lützerath zu fahren“, sagt er. Im Dorf angekommen ist er kurz vor der Räumung. Viele Aktivist·innen hatten den Ort da schon verlassen. „Es ist schließlich eine enorme Belastung, wenn der Raum zerstört wird, an dem man gelebt hat“, betont der Freiburger.

Gabriel Sprich in Lützerath

Gabriel Sprich auf einem Tripod in Lützerath

Die Räumung war für den Abiturienten eine eindrückliche Erfahrung. „Wir wurden aus dem Schlaf gerissen, waren nicht vorbereitet“, erinnert er sich. Seine Schuhe waren zu dem Zeitpunkt noch nass, weswegen er auf alte Latschen ausweichen musste. Die verloren aber schnell die Sohle – bei dem Regenwetter, das vergangene Woche in der Region herrschte, war das kritisch.

„Als die Polizei mit einem riesigen Aufgebot das Dorf umstellt hat, haben wir versucht, den Eingang mit einer Menschenkette zu schützen“, sagt Sprich. Als das nicht gelang, entschieden die Aktivist·innen sich für eine Sitzblockade. „Die konnten wir für einige Stunden durchhalten“, blickt der Aktivist zurück. Erst am Nachmittag wurde Sprich von der Polizei weggeschleift. Nicht ohne Stolz sagt er: „Wir haben die Einsatzkräfte schon gut gezogen.“ In den folgenden Tagen nahm der Freiburger an Aktionen außerhalb des Dorfs teil. Auch die große Demonstration am Samstag, an der auch Klimaikone Greta Thunberg teilnahm, besuchte er.

„Haben uns aufgefangen“

Für die Demo ist auch Simon Sumbert nach NRW gereist. Der 24-Jährige ist JUPI-Fraktionsvorsitzender im Freiburger Gemeinderat. „Ich bin seit Anfang 2019 in der Klimabewegung aktiv“, sagt er. Das Vorhaben, die Kohle unter Lützerath abzubaggern, kritisiert Sumbert. In der politischen Logik sei es zwar schon ein Erfolg, dass der Kohleausstieg in NRW acht Jahre früher als geplant erfolge. Letztlich müsse sich aber jede Partei – im Besonderen die Grünen – am 1,5 Grad-Ziel messen lassen. „Studien belegen, dass wir das Ziel kaum einhalten können, wenn wir diese Kohle verfeuern“, sagt Sumbert. „Für die Klimabewegung ist das eine Enttäuschung.“

Simon Sumbert

Kam für die Demo nach NRW: Stadtrat Simon Sumbert

Gefreut hat Sumbert die hohe Zahl an Teilnehmer·innen bei der Demonstration. Die Veranstalter·innen sprechen von 35.000 Menschen, nach Polizeischätzungen waren es 15.000. Besonders positiv bewertet der Stadtrat die lagerübergreifende Einigkeit des Protests. In Lützerath hätten die verschiedensten Gruppen von Greenpeace über Fridays for Future bis Ende Gelände gemeinsam demonstriert. „In den vergangenen Wochen erschien die Bewegung ja nicht so homogen“, sagt der Stadtrat. Dass sie es aber geschafft hätten, sich gemeinsam hinter den Protest zu stellen – das sei ein krasses Zeichen.

Auch Sprich lobt die Solidarität unter den Aktivist·innen: „Wir haben uns gegenseitig aufgefangen.“ Nach seiner Räumung habe er im Camp sofort neue Schuhe bekommen. Auch von älteren Personen hätten die Aktivist·innen Unterstützung erfahren, einige brachten etwa warme Decken. Der Freiburger findet: „Das war die schöne Seite von Lützi.“

Fotos: © picture alliance/dpa | Federico Gambarini, Simon Sumbert, privat

14 Jahre Zelten: Freiburger Klimacamp richtet sich auf Rathausplatz ein