14 Jahre Zelten: Freiburger Klimacamp richtet sich auf Rathausplatz ein STADTGEPLAUDER | 17.10.2022 | Pascal Lienhard
Dreieinhalb Monate sind geschafft – rund 159 kommen noch. Bis 2035 wollen die Aktivist*innen des Freiburger Klimacamps auf dem Rathausplatz campieren. Das Ziel: Entscheidungsträger*innen zum Handeln auffordern und die Klimakrise stärker in die Diskussion bringen. Bei einem Rundgang durchs Camp berichtet eine Aktivis-tin vom Alltag in der Zeltstadt sowie von Erfolgen und Schwierigkeiten.
Seit Anfang Juli bietet sich Besucher*innen der Freiburger Innenstadt ein ungewohnter Anblick: Auf dem Rathausplatz, zwischen Brunnen und St. Martinskirche, stehen Zelte, Solarmodule, zeitweise ein Klavier. Unter dem Motto „Wir campen bis ihr handelt!“ haben Teile der Klimabewegung den Platz für sich in Anspruch genommen. Wenn es nach ihnen geht, wird das Camp ein Fixpunkt der Innenstadt bleiben. Doch zunehmend spüren die Aktivist*innen Gegenwind vonseiten der Stadtverwaltung.
Krise ins Bewusstsein rücken
Das Klimacamp ist keine Freiburger Idee. Direkt vor der Zeltstadt zeigt ein Wegweiser in die Richtung sechs anderer deutscher Städte, in denen Aktivist*innen diese Form des Protests gewählt haben: Konstanz, Augsburg, Reutlingen, Nürnberg, Hannover und Berlin.
Das Camp in der Breisgaumetropole wird hauptsächlich von Students for Future organisiert. Zu dieser Gruppe gehört Amelie Schütte. Die 20-Jährige studiert Soziale Arbeit und führt an einem 34 Grad heißen Nachmittag Anfang August durch ihre zweite Heimat. „Bei solchen Temperaturen lässt sich gut über die Folgen des Klimawandels sprechen“, findet sie. Ihr sei es wichtig, die Problematik in die Gesellschaft zu tragen: „In einer Demokratie müssen sich viele für ein Thema einsetzen, damit auf der politischen Ebene etwas passiert.“
Die Freiburger Passant*innen zeigten Interesse, sogar Stadtführungen machen einen Stopp am Ort des Protests. Zudem freuen sich die Aktivist*innen über zahlreiche dringend benötigte Sach-, Essens- oder Geldspenden. Doch auch Klimawandelleugner*innen und Anhänger*innen von Verschwörungsmythen schauen mit ihren kruden Thesen vorbei. Was Schütte wirklich traurig macht, ist die Meinung einiger vorwiegend älterer Menschen, nach denen der Klimakollaps ohnehin nicht abzuwenden sei. „Was sollen wir da als junge Generation sagen?“, fragt sich die Studentin.
Widerstand im Schlafsack
Die Forderungen der Rathausplatz-Camper*innen richten sich nicht nur an nationale und internationale, sondern auch an lokale Entscheidungsträger*innen. Beispielsweise soll es die Stadt Freiburg anderen Gemeinden gleichtun und den sozial-ökologischen Notstand ausrufen.
Damit das Camp weiter als Versammlung gelten kann, müssen rund um die Uhr mindestens zwei Personen vor Ort sein. In regelmäßigen Abständen werden Konzerte, Plena oder Workshops organisiert, auch Stadträte sowie Sebastian Backhaus, Leiter des städtischen Nachhaltigkeitsmanagements, haben dem Camp einen Besuch abgestattet. Oberbürgermeister Martin Horn war bisher noch nicht da, dafür schaute der CSU-Politiker Alexander Dobrindt, von 2013 bis 2017 Verkehrsminister, bei einem Freiburgbesuch kurz vorbei.
Ein Winter voller Fragezeichen
Ohne Auseinandersetzungen geht ein Unterfangen wie das Klimacamp nicht über die Bühne. Es gab Zwischenfälle mit alkoholisierten oder obdachlosen Personen, in einem Fall verständigten Aktivist*innen die Polizei. Auch eine sanitäre Anlage führte zu Verstimmungen. Da die öffentliche Toilette in der Turmstraße nachts schließt, müssen die Camper*innen ein Dixi-Klo mieten. Allerdings äußerten viele Gäste des angrenzenden Eiscafés Lazzarin Beschwerden über das mobile Klosett. Zudem gibt es immer wieder Unstimmigkeiten mit dem Rathaus. „Wir mussten beispielsweise unser Klavier, eine Couch und ein Hochbeet entfernen“, berichtet Schütte Anfang September. „Es kommt uns vor, als wolle es uns die Stadt ungemütlich machen.“
Langsam aber sicher stehen die kälteren Jahreszeiten vor der Tür. Da bleibt erst mal offen, ob sich in Herbst- und Winternächten genug Freiwillige finden, die eine Nacht auf dem Rathausplatz verbringen möchten. Eine Lösung könnte ein Bauwagen sein, so Schütte. Zudem denken die Verantwortlichen schon an den Weihnachtsmarkt, der am 17. November startet. Trotz Bedenken der Aktivist*innen haben sie sich mit der Stadt auf eine temporäre Verlegung des Camps geeinigt, wahrscheinlich auf den Platz der Alten Synagoge.
So oder so: In den kommenden 160 Monaten kann noch viel passieren.
Fotos: © Pascal Lienhard