Sturm aufs Rathaus: der chilli Wahl-O-Mat für Freiburg Politik & Wirtschaft | 12.04.2024 | Lars Bargmann
Rekord: 854 Kandidaten, so viele wie noch nie in der Geschichte der Stadt Freiburg, stellen sich am 9. Juni zur Gemeinderatswahl. 20 Listen hat der Gemeindewahlausschuss zugelassen. Auch so viele wie noch nie: Vor fünf Jahren waren es 18 mit 806 Kandidaten. 2014 waren es 13. Das Gewicht der sogenannten Volksparteien nimmt weiter ab. Bei den parallelen Ortschaftsratswahlen haben sogar 26 Listen ihre Hüte in den Ring geworfen. Durchaus ein gutes Zeichen für die Demokratie. Exklusiv fürs chilli haben die Listen 30 Fragen beantwortet.
Erstmals überhaupt, weil erstmals erlaubt, stehen für den neuen Gemeinderat auch elf Minderjährige zur Wahl. Zu finden auf den Listen von SPD, Junges Freiburg, FDP, Bürger für Freiburg (BfF) und Volt. Die jüngste Liste, nomen est omen, ist Junges Freiburg mit durchschnittlich 22 Jahren, gefolgt von Volt mit 29 und Die PARTEI mit 33. Am anderen Ende der Skala rangieren Freiburg Lebenswert (FL) mit durchschnittlich 64 Jahren, die Liste Meinrad Spitz mit 59 und die Kulturliste Freiburg mit 58. Das Rathaus teilt außerdem mit, dass die höchste Frauenquote mit 100 Prozent – die Unabhängigen Frauen Freiburg (UFF) aufweisen.
»Die Medien sind bellende Wachhunde der Demokratie, und die Demokratie ist bekanntlich das beste politische System, weil man es ungestraft beschimpfen kann.« – Ephraim Kishon
Ebenso wenig geschlechtergerecht ist die Liste der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD), auf der keine einzige Frau zu finden ist. Und eine Frau wird aus freien Stücken fehlen – besonders den Grünen: Maria Viethen, die bei den vergangenen vier Wahlen jeweils als Stimmenkönigin ins Rathaus einzog, tritt nicht wieder an.
Den größten Wirbel vor der Wahl gab es auch um eine Frau: Stadträtin Gerlinde Schrempp. Die 77-Jährige stand Ende Februar überraschend nicht mehr auf der Kandidatenliste der Freien Wähler. Sie trat sodann aus, wodurch die Freien Wähler ihren Fraktionsstatus verloren. Nun tritt sie, die 2009 für FL ins Gremium gewählt wurde, für BfF an.
Neu auf dem Stimmzettel sind die APPD, die Liste Meinrad Spitz – der ins Umfeld der Querdenker eingeordnet wird – und VOLT. Nicht mehr am Start ist – nach 0,2 Prozent 2019 – NICHT (necessary intellectually charging tendency). Da das Verfahren zur Verteilung der Sitze nach Sainte-Laguë/Schepers kleinere Parteien begünstigt, braucht es vermutlich weniger als 1,5 Prozent der Stimmen, um einen der begehrten 48 Sitze im Rathaus zu ergattern.
Das chilli hat auf den folgenden Seiten die Positionen von 17 Listen zu 30 Fragen der Redaktion per Daumen veranschaulicht (die drei anderen Listen reagierten nicht oder nur unzureichend auf unsere Anfragen). Sebastian Müller von der Liste Teilhabe und Inklusion hat aus diesem Material zusätzlich einen chilli-Wahl-O-Maten erstellt, der unter wahlchilli.sbamueller.com ab dem 12. April abrufbar sein wird. Hier können unsere Leserinnen und Leser ihre eigenen Antworten auf unsere Fragen eingeben und am Ende sehen, welche Partei, Gruppierung, Wählervereinigung ihnen am nächsten ist.
Bei unsere Abfrage ergaben sich durchaus überraschende Mehrheiten: Mit 14 Ja-Stimmen fordern die Listen feste Plätze für legale Raves. 13 Listen halten an der 50-Prozent-Quote für geförderten Mietwohnungsbau fest. Keine einzige Gegenstimme gab es bei der Frage, ob das Rathaus mehr finanzielle Mittel für die Aufwertung der Innenstadt bereitstellen oder mehr Gastronomiefläche auf Autoparkplätzen zulassen muss. Nur zwei Listen, AfD und Freie Wähler, versprachen, beim nächsten Doppelhaushalt gegen jede Neuverschuldung zu stimmen.
Eine breite Mehrheit gibt es für mehr Nachtmediatoren, eine klare Mehrheit gegen mehr Personal beim Kommunalen Ordnungsdienst. Das chilli hat auch Themen abgefragt, die noch nie öffentlich diskutiert wurden: Etwa, ob heute landwirtschaftlich genutzte Flächen zwischen dem Gewerbegebiet Haid-Süd und der Keidel-Therme umgewandelt werden oder der Messe-Parkplatz mit einer Solaranlage überdacht werden soll. Eine klare Mehrheit mit 10:3 Stimmen bei vier Enthaltungen gibt es auch dafür, dass aus der Bettensteuer eine Konuskarte für Touristen finanziert werden soll. Ende des Jahres steht hier eine Entscheidung durch den neuen Gemeinderat an. Dann wäre das Daumenzeigen einem Realitätscheck zu unterziehen.
Gemeinderatswahlen Freiburg
2009: Berechtigte 152.915 Wahlbeteiligung 49,4 %
2014: Berechtigte 168.502 Wahlbeteiligung 51,4 %
2019: Berechtigte 170.964 Wahlbeteiligung 62,8 %
2024: Berechtigte 175.500
Wahlergebnisse 2019 und die neuen Spitzenkandidaten
Grüne: 26,5 % – Sophie Schwer (33)
SPD: 12,7 % – Julia Söhne (30)
CDU: 11,8 % – Carolin Jenkner (37)
Linke Liste: 6,9 % – Gregor Mohlberg (46)
Grüne Alternative: 6,5 % – Lina Wiemer-Cialowicz (39)
Freie Wähler: 5,5 % – Johannes Gröger (68)
Freiburg Lebenswert: 4,5 % – Wolf-Dieter Winkler (67)
Junges Freiburg: 3,8 % – Sophia Kilian (23)
FDP: 3,8 % – Sascha Fiek (49)
AfD: 3,6 % – Karl Schwarz
Urbanes Freiburg: 3,0 % – Sonja Wagner (35)
Die Partei: 2,7 % – Sophie Kessel (35)
Kulturliste: 2,2 % – Markus Schillberg (37)
Unabhängige Frauen FR: 1,9 % – Daniela Ullrich (61)
Bürger für Freiburg: 1,9 % – Uwe Stasch (46)
Teilhabe & Inklusion: 1,4 % – Ramon Kathrein (42)
Für Freiburg: 1,0 % – Oliver Ohler
VOLT: Felicia Fehlberg (24)
APPD: Eric Gießler
SPITZ: Meinrad Spitz
Weiterführende Links
chilli-Wahl-O-Mat: wahlchilli.sbamueller.com
Hier gehts zur Übersichtstabelle der Fragen an die Listen: Frage und Antwort Tabelle
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