»Hört, hört!« – Ein Abend beim Freiburger Debattierclub Gesellschaft | 24.12.2023 | Pascal Lienhard

Sonja Soko beim Debattieren Ist der amerikanische Traum Unsinn? Der Freiburger Debattier­club um Präsidentin Sonja Soko diskutiert es aus.

Gatsby, das amerikanische Bildungssystem und die Industrielle Revolution: In einem Seminarraum der Freiburger Uni werfen sich Studierende die Themen nur so um die Ohren. An diesem Abend steht jedoch kein Seminar an, sondern ein Treffen des Freiburger Debattierclubs. Der hat in den vergangenen Jahren viele Erfolge gefeiert. Ein Besuch.

Zur Debatte stehen heute Sinn und Unsinn des amerikanischen Traums. Das verkündet Sonja Soko. Die 21-jährige Jurastudentin ist Präsidentin des Debattierclubs Freiburg. Nachdem sie das heutige Thema präsentiert hat, verteilen sich die zuvor gebildeten Zweierteams im ersten Stock des KG I. In den folgenden 15 Minuten müssen sie Argumente formulieren, Beispiele finden und sich Gedanken über eine Struktur machen – natürlich ohne Hilfe von Professor Google.

Eine Stunde zuvor sitzen Soko und Debattierkollegin Zoé Sandle im noch leeren Seminarraum. „Grundsätzlich debattieren wir über alles, was etwa gesellschaftlich, politisch, kulturell oder wirtschaftlich relevant sein kann“, erklärt die Präsidentin. Ab und an gibt es auch mal eine Spaßdebatte oder ein nischiges Thema. „Es geht ja auch um die Kunst, zu jedem Thema sprechen und sich etwas überlegen zu können“, sagt Soko. Gleichwohl werden nur Themen festgelegt, über die sich wirklich diskutieren lässt. So würde beispielsweise nicht gefragt, ob Rassismus eine gute Sache sei.

Wer gerne lautstark seine Überzeugungen vertritt, muss sich beim Debattieren erst einmal umgewöhnen. Ob für oder gegen ein Thema argumentiert wird, entscheidet das Los. „Man muss auch mal eine Position vertreten, der man nicht so zugehörig ist“, erklärt die 24-jährige Sandle, die ihren Master in Psychologie macht. Dann muss eben jemand für den amerikanischen Traum argumentieren, der das Konzept eigentlich für überholt hält.

Diskutiert wird über fast alles

Diskutiert wird heute in der Variante „British Parliamentary“. Dabei werden vier Teams aus je zwei Personen gebildet. Zwei der Teams simulieren die Regierungs- und damit die Pro-Seite, die anderen die Oppositions- und somit Kontra-Seite. Nun geht es nicht nur darum, die andere Bank argumentativ zu schlagen, sondern auch besser als die anderen Vertreter der eigenen Seite zu argumentieren.

Inzwischen haben sich die Teilnehmer·innen auf zwei Räume verteilt, in denen parallel debattiert wird. Normalerweise kommen etwa 20 Leute. Doch zu Beginn des Semesters kommen aktuell bis zu 30. Im ersten Raum gibt der Sprecher des dreiköpfigen Jurorenteams den Startschuss: „Wir hören als erste Rednerin die Premierministerin“, sagt er. „Hört, hört!“ Die Regierungschefin legt los und teilt gegen den amerikanischen Traum aus. Im besten Politiker-Ton spricht sie wortgewandt über den Unterschied zwischen Arm und Reich und das ungerechte Bildungssystem in den USA.

Sieben Minuten hat jede Person, um Argumente zu präsentieren. Die erste und die letzte Minuten sind geschützte Redezeit. Dazwischen kann die Gegenseite – falls der Sprecher es zulässt – Fragen stellen. Zudem darf sie kurze Zwischenrufe formulieren. „Barack Obama!“, „Auch in Deutschland!“, „Arnold Schwarzenegger!“ – die Gegenseite braucht nicht lange, um flotte Einwände einzuwerfen.

Manch einer wird zum Schauspieler

Die stellvertretende Premierministerin spielt auf den Roman „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald an, im Laufe des Abends wird auch die Geschichte der Vereinigten Staaten und der Rechtsruck in den Niederlanden gestreift. Sandle erklärt, dass 90 Prozent der Debatten aus Zuhören bestehen. Und das ist tatsächlich gar nicht so einfach. Manchmal braucht es viel Konzentration, um dem dichten Rede- und Argumentationsfluss zu folgen.

Manch einer wird während der Debatte zum Schauspieler und steigert sich in die zugeschriebene Rolle. Gerade noch wettert die Premierministerin höchst ambitioniert gegen das Konzept des amerikanischen Traums. Auch Sandle spielt auf ihrer Seite und redet sich geradezu in Rage. Eine andere Frau resümiert nach der Veranstaltung mit einem Lachen: „Ich habe noch nie so weit weg von meiner Überzeugung debattiert.“

Für viele sind die wöchentlichen Treffen, dienstags auf Deutsch und donnerstags auf Englisch, ein Training für Turniere. Bei denen haben die Breisgauer·innen einen Lauf: 2023 und 2022 haben sie etwa die Deutschsprachige Debattiermeisterschaft gewonnen. Wie bei den meisten der etwas mehr als 60 deutschen Debattierclubs besteht die Mehrheit der Freiburger Diskutant·innen aus Studis. Laut Sandle gibt es in der Szene nur wenige, die nie an der Uni waren. „Bei uns sind aber alle willkommen“, erklärt Soko.

Als alle acht Reden gehalten sind, bleiben die drei Juroren im Raum. Kurze Zeit später ist die Entscheidung gefallen: Das zweite Oppositionsteam war am überzeugendsten. Doch wer weiß, wer danach über dem Feierabendbier die Diskussion gewinnt. „Manche“, verrät Soko, „können die Debatte einfach nicht mehr verlassen.“

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