Fahrrad-Unfall mit Folgen: Wie sich eine Freiburgerin zurück ins Leben kämpft Gesellschaft | 10.01.2024 | Till Neumann

Fast wie ein Wunder: Miriam von Holst ist zurück im Leben und lässt Amelie über Freiburg fliegen. Mit dem Foto hat sie ein Fahrrad gewonnen.

Ein Crash, der ein Leben verändert: Im Januar 2022 hatte die Freiburgerin Miriam von Holst einen Radunfall in Günterstal. Was genau passiert ist, weiß sie bis heute nicht.

Dann folgten Wochen der Unsicherheit. Kann sie jemals wieder auf ein Rad? Doch die 27-Jährige kämpfte sich zurück – und gewann sogar ein neues Rad. Dem chilli erzählt sie ihre Geschichte.

Kopf knallt gegen Verkehrspfosten

Mit einem Grinsen im Gesicht ließ ich mein neues Mountainbike den Schotterweg runterrollen. Hatte ich gerade wirklich Spaß? Freute ich mich gerade wirklich schon auf die nächste Abfahrt? Vor wenigen Wochen hätte ich mir kaum vorstellen können, dass ich jemals wieder angst- und schmerzfrei, ja geschweige denn voller Freude, solch eine Radtour machen würde. Angst und Schmerzen hatten mich die letzten zwei Jahre beim Radfahren, vor allem auf meinem heißgeliebten Gravelbike, begleitet. Denn vor fast zwei Jahren erlebte ich das, was man niemandem wünscht.

Es war der 15. Januar 2022. Ein Tag, den ich wahrscheinlich nie vergessen werde. Ich fuhr auf meinem Rad von einer wunderschönen Wanderung auf dem Schauinsland zurück nach Freiburg. Aus bis heute unbekannten Gründen stürzte ich in Günterstal. Mein Kopf, durch meinen Helm geschützt, knallte mit voller Wucht gegen einen Verkehrspfosten am Günterstaler Torbogen. Meine Erinnerung an die Minuten vor und nach dem Unfall sind bis heute erloschen. Ich kann mich nur noch erinnern, wie ich im Rettungswagen wach wurde und meine Hände seltsam schmerzten.

Zwischen Freude und Frustration

Tags darauf folgte die Diagnose: traumatischer Bandscheibenvorfall zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Sofort wurde ich operiert. Es folgten Tage des Bangens. Würden sich die Nerven in meinen Händen erholen? Die Ärzte betonten, was für ein Glück ich gehabt hatte, und wie gut es gewesen war dass ich einen Helm getragen hatte.

Tag für Tag nahm die Hypersensibilität in den Händen und Fingern ab und meine Lebensfreude kehrte zurück. Ich kontaktierte sogar einen netten jungen Mann, den ich zwei Tage vor meinem Unfall in der Boulderhalle kennengelernt hatte. Wir trafen uns tatsächlich wenige Tage nach meiner Entlassung zu einem Spaziergang.

Es folgten Wochen zwischen Verliebtheit und einer ambulanten Reha, zwischen Freude über Fortschritte und Frustration über den Unfall an sich. Ich lernte Freiburg aus der Perspektive einer Fußgängerin kennen, wusste nach sechs Wochen Radfahr-Verbot ganz genau, wie lange ich von Weingarten nach Herdern zu Fuß brauchte.

Ausgezeichnet: Baubürgermeister Martin Haag und Leonie Wiesiollek (Stadt Freiburg) gratulieren Amelie Nauen (von links), Miriam von Holst und Vincent Keller zum 1. Platz beim Fotowettbewerb „Jetzt oder Now“.

„Black Beauty“ war passé

Wie würde es wohl sein, wieder aufs Rad zu steigen? Erst einmal musste ein neues Stadtrad her. Die ersten Fahrten waren noch sehr unsicher, aber nach einigen Wochen fuhr ich einigermaßen panikfrei durch Freiburg. An mein Gravelbike, oder wie ich es nannte „Black Beauty“, sollte sich mein Körper leider nie mehr gewöhnen. Denn durch die Versteifung im Nacken waren sportliche Radposititionen auf Dauer schmerzhaft und sogar schädlich für meine Halswirbelsäule. Doch an ein neues Rad war noch nicht zu denken. Und auch sonst verdrängte ich meine körperlichen Einschränkungen und die psychischen Folgen des Unfalls so gut wie möglich.

Bisher hatte ich mein Trauma verdrängt. Die vielen Endorphine und die Leidenschaft zu meiner Arbeit machten es möglich. Doch Anfang 2023 musste ich mich ihm stellen: Ich lag ich mit einem anaphylaktischen Schock wieder im Uniklinikum. Erneut wurde mein Leben pausiert. Bis heute kann niemand genau sagen, wieso und wodurch mein Körper so sehr überreagiert hat.

Feilen am Flow

Diesmal musste ich mich meinem Schicksal stellen und annehmen was passiert war. Mein Körper, mein Nerven-und Immunsystem waren noch immer auf Alarmbereitschaft. Ich musste etwas ändern, um zur Ruhe zu kommen und wieder Kraft zu sammeln. Ich entschied, meine Doktorarbeit vorerst zur Seite zu legen und zu kündigen. Ich tat endlich das, was ich schon lange machen wollte: Ich bewarb mich für ein Bundesfreiwilligendienst im Allgäu nahe der Natur und den Bergen.

Zum Sommer hin ging es mir besser und ich traf mich regelmäßig mit meiner Akrobatikpartnerin Amelie. Wir übten einen sogenannten Flow ein, eine Abfolge von Haltungen. Diese Art von Bewegungen taten meinem Rücken gut.

Vincent, der junge Mann aus der Boulderhalle ist mein heutiger Freund. Und die Person, die meinen Weg am engsten begleitet hat. Er hatte von einem Fotowettbewerb „Jetzt oder now“ der Stadt Freiburg erfahren. Unter dem Motto suchte die Stadt kreative Bilder zum Thema nachhaltige Mobilität. Wie wäre es, nachhaltig mit Akrobatik und Fliegerbrille über Freiburg zu fliegen? Gemeinsam malten wir uns ein Bild aus, wie wir akrobatisch in die Zukunft fliegen.

Unglücksort: Hier in Günstertal knallte Miriam von Holst vor zwei Jahren gegen einen Pfosten. Warum, das weiß sie nicht.

Umzug ins Allgäu

Wir verabredeten uns mehrfach bei Sonnenuntergang auf der Blauen Brücke über den Zuggleisen Freiburgs und hofften mit unserem Bild unter die ersten 15 Plätzen zu kommen. Als wir bei der Preisverleihung sogar den ersten Preis erhielten, konnte ich es kaum glauben. Wir gewannen einen Gutschein für ein Fahrrad. Nun gab es kein Zurück mehr: Ich ließ mir ein halswirbelsäulen-freundliches Mountainbike zusammenstellen und verkaufte mein Gravelbike.

Inzwischen bin ich ins Allgäu gezogen. Ich arbeite mit Kindern in der Natur, ganz nah an den Bergen. Mein Mountainbike ist mitgezogen und freut sich schon auf den nächsten Ausflug.

Fotos: © Vincent Keller & Amelie Nauen / Fotowettbewerb Jetzt oder Now, Stadt Freiburg, privat