„Das wäre fatal“ – Freiburgs Erster Bürgermeister Ulrich von Kirchbach im chilli-Interview Gesellschaft | 13.12.2023 | Lars Bargmann

Ulrich von Kirchbach

Ein Lichtlein brennt im Büro von Ulrich von Kirchbach. Freiburgs Erster Bürgermeister hat keine offene Akte auf dem Tisch, an dem er im 20. Weihnachtsinterview mit chilli-Chefredakteur Lars Bargmann über die Ampel und Kriegsvertriebene, über Bands und Kulturhäuser spricht. Der 67-Jährige ist der dienstälteste Dezernent im Rathaus. Seine letzte Amtsperiode endet nach 24 Jahren 2026. Es ist ihm wichtig, dass ein kulturpolitisches Großprojekt dann noch seinen Abschluss findet.

chilli: Herr von Kirchbach, welche Note geben Sie als Sozialdemokrat der SPD-geführten Ampelkoalition?

von Kirchbach: Eine Drei plus. Die Koalition wird viel schlechter geredet und gemacht als sie ist. Auch wenn die Kommunikation zuweilen desaströs ist. Bevor man ein Urteil fällt, sollte man auch bedenken, was alles in der bisherigen Regierungszeit vorgefallen ist: die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg Russlands auf die Ukra­ine, die Gas-Krise, die Klimakrise, der Nahost-Krieg. Diesen Herausforderungen hat sich die Regierung gestellt, vieles angepackt und es insgesamt gut gemacht. Vielleicht werden wir uns in 20 Jahren noch daran erinnern, dass das die letzte vernünftige Bundesregierung war.

chilli: So vernünftig war die Umschichtung der Corona-Hilfen nicht, hat das Bundesverfassungsgericht unlängst geurteilt. Berlin steht seither vor einem 60-Milliarden-Euro-Loch.

von Kirchbach: Das kann man nicht der Regierung allein in die Schuhe schieben. Da muss auch die Opposition mehr Staatsräson zeigen. Ich fand die Klage der CDU schon falsch und ebenso ihre knallharte Linie, dass sie in diesen außergewöhnlichen Zeiten eine Änderung des Grundgesetzes nicht mitträgt. Wir sind die einzige Regierung in Europa, die meines Erachtens den Fehler gemacht hat, die Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben. Wenn man vergleicht, was andere Länder für Schulden haben, sind wir Musterknaben.

chilli: Die Schuldenbremse muss weg?

von Kirchbach: Man muss sie neu justieren. Zu investieren, auch mit neuen Schulden, ist besser, als eine Abwärtsspirale der Wirtschaft in Kauf zu nehmen und gegenüber anderen europäischen Ländern so in einen Wettbewerbs­nachteil zu kommen. Deutschland muss Impulse setzen. Wir haben einen großen Nachholbedarf an Investitionen im Bereich Klima, Wohnungsbau, und Bildung. Wer nicht investiert, fördert die radikalen Kräfte, die eine stabile Demokratie gefährden. Ich verstehe nicht, wie man nach dem Urteil aus Karlsruhe noch Freudentänze aufführen kann.

chilli: Wie groß ist Ihre Sorge, dass durch die Haushaltskrise des Bundes auch die Kommunen in Mitleidenschaft gezogen werden?

von Kirchbach: Ich habe keine Sorgen. Die Verwaltungseinheiten innerhalb eines Staates müssen funktionieren. Wenn wir Förderbescheide oder auch nur positive Aktenvermerke haben, sei es fürs Außenbecken im Westbad oder für die Sanierung vom Theater, dann steht das für mich als Zusage. Man darf das Vertrauen in den Staat nicht erschüttern. Das wäre fatal.

chilli: Das Jahr hatte für Sie als Sozialbürgermeister schon mit einer Enttäuschung über den sogenannten Flüchtlingsgipfel im Februar begonnen. Hat sich die mittlerweile gelegt?

von Kirchbach: Vom ersten Flüchtlingsgipfel war ich maßlos enttäuscht, weil da überhaupt keine konkreten Ergebnisse kamen. Beim zweiten Gipfel, am 6. November, war der Bundeskanzler mit dabei, da gab es immerhin für die Kommunen, über die Länder, eine Milliarde Euro vom Bund. Das ist natürlich auch zu wenig, aber besser als nichts.

chilli: Wie viele Menschen aus der Ukra­ine leben aktuell in Freiburg?

von Kirchbach: Ungefähr 2900. Und es kommen jede Woche 17 bis 18 dazu. Wenn es so weitergeht, sind unsere Kapazitäten Ende Juli ausgeschöpft. Wir haben schon das Evangelische Stift angemietet, überlegen eine Erweiterung an der Merzhauser Straße, und ab Februar haben wir auch noch das Hotel Schiller für Wohnungslose. Aber auch das wird nicht reichen.

chilli: Enttäuscht war in Freiburg vor allem die Musikszene über das wenig beherzte Zupacken der Verwaltung bei Proberäumen für Bands. Als Zwischenlösung sollen nun Module an der Edith-Stein-Schule aufgebaut werden. Wann?

von Kirchbach: Ich hoffe, im Laufe des nächsten Jahres.

chilli: Sie hoffen?

von Kirchbach: Baurechtliche Prozesse dauern.

chilli: Die Edith-Stein-Schule ist auch nur eine Übergangslösung. Letztlich soll der einstige Gewerbehof an der Schönauer Straße 3 für die Bands genutzt werden.

von Kirchbach: Das ist erst dann möglich, wenn das neue Rettungszentrum fertiggestellt ist, weil der Gewerbehof noch für städtische Einsatzfahrzeuge vom DRK und Malteser Hilfsdienst genutzt wird.

chilli: Das Grundstück gehört der Stadt?

von Kirchbach: Ja, wir werden das so herrichten, dass wir es dann neu vermieten können und mit den Mieten die Investitionen finanzieren.

chilli: An Multicore?

von Kirchbach: Multicore ist sicher ein möglicher Partner. Wir können nicht an zig Bands vermieten.

chilli: Vor einem Jahr haben Sie unserer Redaktion gesagt, Sie seien in guten Gesprächen für eine Ersatzlösung fürs Ende Juni/Juli wegfallende Kunsthaus L6. Was war das Ergebnis?

von Kirchbach: Es zeichnet sich eine überaus passende neue Unterbringung ab. Ich bin zuversichtlich, dass wir da im Februar, März eine Beschlussvorlage für den Gemeinderat machen können. Ich kann wegen der laufenden Verhandlungen nicht mehr sagen.

chilli: Wird die Stadt eine Immobilie erwerben?

von Kirchbach: Die Tendenz geht in diese Richtung.

chilli: Das Morat-Institut will seine Ausstellungsräume an der Lörracher Straße 31 Ende des Jahres schließen …

von Kirchbach: Es ist wichtig, dass die hochkarätige Morat-Sammlung in der Stadt Freiburg erhalten bleibt.

chilli: Es könnte einen Zusammenhang zwischen dem L6, der Sammlung und dem Gebäude geben …

von Kirchbach: Wenn Sie meinen.

chilli: Wenn die Stadt ein Gebäude kaufen will: Woher kommt das Geld? In der mittelfristigen Finanzplanung stehen gerade mal 250.000 Euro für „Ersatz für Kunsthaus L6“ – im Jahr 2027 …

von Kirchbach: Wir sind eine kreative Verwaltung. In einem Haushalt gibt es immer auch außerplanmäßige Ausgaben.

chilli: Sicher in einer eigenen Immobilie, im Rotteckhaus, wird das NS-Dokuzentrum eröffnen. Klappt das nach dem spektakulären Fund eines Wandgemäldes noch im kommenden Jahr?

von Kirchbach: Wir haben durch den Gemäldefund des Freiburger Künstlers Theodor Kammerer ein paar Wochen verloren …

chilli: … weil das Denkmalamt gesagt hat, es müsse genau dort stehen bleiben, wo es in einer Trockenbauwand gefunden wurde …

von Kirchbach: … es hätte keinen Sinn gehabt, darüber jetzt monatelang zu streiten. Also haben wir umgeplant. Ich bin zuversichtlich, dass wir Ende 2024 eröffnen können.

chilli: Die israelitische Gemeinde fordert seit Jahren einen Zaun, um die „neue“ Synagoge an der Engelstraße besser zu schützen. Bislang traf sie auf wenig Gegenliebe. Hat sich das durch die antisemitischen Vorfälle in jüngster Zeit geändert?

von Kirchbach: Das Stadtplanungsamt ist dabei, verschiedene vertretbare Varianten zu erarbeiten. Vielleicht finden wir da doch eine Lösung, die zudem den Platz zwischen Synagoge und Stadtbibliothek insgesamt aufwertet.

chilli: Das Freiburger Kulturkonzept wird derzeit unter dem Titel Kulturkodex fortgeschrieben. Kurz vor Redaktionsschluss gab es eine Sondersitzung des Kulturausschusses. Was genau ist das Ziel?

von Kirchbach: Es geht um die Grundsätze und Perspektiven einer zukunftswirksamen Kunst und Kulturförderung.

chilli: Konkret?

von Kirchbach: Das ist keine einfache Fortschreibung unseres viel beachteten Kulturkonzepts mit dem Entwicklungsplan Museen oder den Theater-Leitlinien, sondern etwas voll-
kommen Neues. Wir werden die
Themen Partizipation, Inklusion und Nachhaltigkeit in Bezug zum Kulturschaffen ins Zentrum stellen. Diese Themen, spartenübergreifend und interdisziplinär gedacht, und nicht mehr das künstlerische Vorhaben allein, werden bei der Entscheidung über künftige Förderungen maßgeblich sein. Ich denke, das kann bundesweit durchaus eine Vorreiterrolle einnehmen.

chilli: Wenn das Augustinermuseum 2025 endlich mal fertig ist: Steht dann ein neuer Ort fürs Museum für Neue Kunst auf der Tagesordnung?

von Kirchbach: Das werde ich meiner Nachfolge überlassen. Noch hat Freiburg leider kein Museum, das als Museum gebaut wurde. Für mich ist es wichtig, dass ich das Ende der „Drei-Oberbürgermeister-Baustelle“ Augustinermuseum noch während meiner letzten Amtszeit erlebe.

chilli: Herr von Kirchbach, vielen Dank für dieses Gespräch.

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