Schmetterlinge in Gefahr: Experte sorgt sich um Insekten STADTGEPLAUDER | 16.12.2019 | Till Neumann

Bedrohte Bienen sind in aller Munde. Doch auch Schmetterlinge kämpfen ums Überleben. Deren Ökosystem ist schon vor 20 Jahren gekippt, meldet das Naturkundemuseum Karlsruhe. Die Artenvielfalt befinde sich in freiem Fall. Ändern möchte das André Grabs (Foto). Der Freiburger Schmetterlings-Experte sagt: Den Insekten zu helfen, kann so einfach sein.

Mit Kennerblick streift der 47-Jährige durch seinen wilden Garten in Gundelfingen. Es ist kalt und regnerisch. Schmetterlinge fliegen keine mehr. Verschwunden sind sie deshalb nicht: Er zeigt die Raupen des Braunen Bären, die sich in ein Blatt eingerollt haben. Sogar in Ampfer-Stengeln hat er Raupen entdeckt. Nur wer genau hinschaut, kann sie entdecken.

„Mehr Hängematte, weniger Rasenmähen.“ Das rät André Grabs allen Gartenbesitzern. Denn dauergemähte Wiesen seien ein Graus für Schmetterlinge und Co. Zwei mal mähen im Jahr reiche bei Randbereichen oder wenig genutzten Flächen. Sein Garten biete rund 30 Schmetterlingsarten Platz. Er sei zwar nicht so „durchgestylt“, aber habe jede Menge Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

Schon seit Kindestagen schlägt Grabs’ Herz für Schmetterlinge. „Das wurde mir in die Wiege gelegt“, sagt der Sozialarbeiter, der auch als Apnoe-Taucher bekannt ist. Seit 25 Jahren beobachtet er die Tiere. Seit zehn Jahren arbeitet er ehrenamtlich für das Landeskulturmuseum Karlsruhe: Er zählt Schmetterlinge und erstellt Statistiken dazu. Seltene Exemplare fängt er mit dem Kescher, um sie zu erfassen. Gängigere Arten wie einen Zitronenfalter erkennt er im Flug.

Ausnahmeregelung: André Grabs darf Schmetterlinge züchten. In seinem Garten liegen Kokons.

Das Museumsteam aus Karlsruhe schlug im Oktober Alarm: Sowohl die Artenvielfalt als auch die Größe der Populationen seien in Baden-Württemberg stark zurückgegangen, das Ökosystem längst zusammengebrochen. Die dazugehörige Langzeitstudie fundiert auf Daten, die bis ins 18. Jahrhundert zurückgehen.

Auch Grabs kann das Massensterben bestätigen. Das sei jedoch „ein alter Schuh“, es sei nur modern, darüber zu reden. „Der Schwund ist bekannt seit 1980“, so Grabs. In Freiburg und Gundelfingen gehe vor allem die Zahl der Schmetterlinge zurück, weniger die Artenvielfalt. Sein Bauchgefühl: Etwa die Hälfte der Schmetterlinge ist verschwunden. Manchmal sehe er hier an einem halben Sommertag nur drei Falter. „Das ist nichts“, betont Grabs. Landesweit gebe es regional auch ordentliche Artenrückgänge.

Einen großen Anteil daran habe die Landwirtschaft. Wiesen gingen als Lebensräume verloreb. Und Neonikotinoide (Spritzmittel) beeinträchtigten das Nervensystem der Tiere. „Das wirkt bei Schmetterlingen verheerend“, sagt Grabs. Der Orientierungssinn leide, mit fatalen Konsequenzen für Fortpflanzung und Nahrungssuche. Die Tiere seien sensibel: Schmecken können sie mit den Füßen. Für den Ort ihrer Eierablage berechnen sie die Sonnenscheindauer.

Einen Vorwurf will er den Landwirten nicht machen. „Viele wissen nicht, was sie tun“, sagt Grabs. Sie verließen sich auf Prüfverfahren. Doch die Regeln zum Schutz der Tiere seien nicht streng genug. Immerhin seien die meisten Neonikotinoide mittlerweile verboten.

Bald ein Schmetterling: Auch diese Raupe lebt bei Grabs im Garten (siehe auch Titelbild oben)

In Gundelfingen berät Grabs Stadtverwaltung und Landwirte mit seinem Know-how. Er hat erreicht, dass mehrere Grünflächen in der Stadt insektenfreundlich angelegt sind. Nicht überall klappt das. Zur Demonstration radelt er zum Stadtrand. „Die pflügen hier fast die Straße“, schimpft er an einem Feld. Dabei wären „Randstreifen“ wichtig für Insekten. Als „Tankstellen“, wo sonst nur Äcker und Baugebiete sind.

Ein paar Meter weiter sind ihm zwei Wiesen ein Rätsel. Die eine werde alle zwei Wochen gemäht. Viel zu oft, um Schmetterling-Lebensraum zu schaffen. Die andere werde dafür gar nicht mehr gemäht. Beides kann er sich nicht erklären. Möglicherweise stecke ein Plan dahinter, mutmaßt er. Der Eigentümer könnte versuchen, den Status einer Flora-Fauna-Habitat-Mähwiese loszuwerden. Grabs weiß: Nicht jeder Landwirt oder Eigentümer begrüßt seine Bemühungen.

In seinem Garten ist die Lage rosiger: Da wachsen Feilchen, Brennesseln, Wilde Möhren oder Johanniskraut. Wenn andere mähen, kann sich Grabs seinen Hobbys widmen: Tauchen und Schmetterlinge. Vom Regierungspräsidium hat er eine Ausnahmegenehmigung zur Zucht der Insekten. Er hält Vorträge und gibt Kurse zum Mähen mit Sense.

Klar ist für ihn: Die Landwirtschaft muss sich ändern. Aber nicht nur das. Sein Garten zeigt: Jeder kann etwas machen.

Insektensterben

Eine Studie zeigt, dass die Menge der Fluginsekten in den vergangenen 27 Jahren in Naturschutzgebieten um 75 Prozent zurückgegangen ist. „Mittlerweile stellt sich nicht mehr die Frage, ob die Insektenwelt in Schwierigkeiten steckt, sondern vielmehr wie der Insektenrückgang noch zu stoppen ist“, schreibt der NABU zur Untersuchung. Diese haben Forscher im renommierten Wissenschaftsjournal PLOS ONE veröffentlicht.

Fotos: © Till Neumann