Feuer und Flamme: Streich kritisiert „Katastrophe“, Fans pochen auf Kultur Sport | 25.01.2020 | Philip Thomas

Freiburg Nordtrebuehne

Vier verschiedene Gruppen teilen sich die Nordtribüne des SC Freiburg: Natural Born Ultras, Corrillo, Synthesia 79 und Immer wieder Freiburg. Schätzungsweise 200 bis 250 Ultras begleiten den Verein zu jedem Bundesligaspiel. Die Minderheit ist traditionsgebunden, loyal und unüberhörbar. Noch lauter als über SC-Gegner an Spieltagen schimpfen sie auf den „modernen Fußball“ und die Polizei.

Achter Spieltag der Fußballbundesliga. Über dem Gästeblock der „Alten Försterei“ in Berlin hängen dunkle Rauchwolken. Freiburger Ultras haben ein Dutzend Bengalos gezündet. SC-Cheftrainer Christian Streich hatte schon beim Rauskommen aus dem Kabinengang erschrocken beide Hände an den Kopf gelegt. „Das ist eine Katastrophe“, schimpft er nach der 0:2-Niederlage. Viele auf der Tribüne sehen das anders. „Wir wollen den Verein voranbringen“, entgegnet Marius, der auch dort war und auf Fotos und Nachnamen verzichtet. Im Gegensatz zu den drei anderen Gruppierungen spricht er für Corrillo aber mit der Presse. Dessen Kern bilden 40 Ultras, nach Berlin ging es mit 120 Gleichgesinnten, die Grenze zum „Fan“ ist fließend. Rund 20 Auswärtsfahrten mache er im Jahr. „Das ist ein zweiter Vollzeitjob“, sagt der Vertriebsleiter.

Der Ultra hat eine feste Vorstellung von Fankultur. Und dazu gehöre eben auch Pyrotechnik. Mit bis zu 2500 Grad können die unter Stadionverbot stehenden Fackeln brennen, der Rauch ist giftig. Für viele Ultras vernachlässigbare Risiken. Trotz Sicherheitsauflagen und Polizeikontrollen bekämen die Fans so gut wie alles rein. Marius plädiert aber für einen umsichtigen Umgang mit Bengalos.

Ein Spiel mit dem Feuer: 53 Menschen wurden in der vorvergangenen Saison in den ersten drei Ligen mit insgesamt 21 Millionen Zuschauern von Bengalischen Feuern verletzt. Auch die Vereine können die Fackeln teuer zu stehen kommen. Mehr als 3,2 Millionen Euro Strafe zahlten deutsche Profivereine in der abgelaufenen Saison an den DFB. Der SC wurde in den vergangenen drei Jahren mit insgesamt 34.500 Euro belegt. „Es ist sicherlich weniger als bei anderen Vereinen, aber es hilft dem Club natürlich nicht“, so Holger Rehm-Engel, Referent der Geschäftsführung. „Bei 94 Millionen Euro Jahresumsatz ist das drin“, findet Marius’ Kollege Jojo.

Klare Kante: Spruchbänder gegen Rechts auf der Freiburger Nordtribüne

Dass sich der SC dem „modernen Fußball“ beugt und Flächen im Stadion lieber für Werbung nutzt, statt für Fan-Banner reserviert, kann er zumindest nachvollziehen. Bei anderen Clubs sei das schlimmer: „Auswärts denkt man oft, das ist ein Kaufhaus und kein Stadion.“ Marius und Jojo beobachten die Kommerzialisierung ihres Sports mit Sorge. Ein Verein wie RB Leipzig mit seinen Red-Bull-Millionen ist für die beiden ein rotes Tuch.

Auf die Staatsgewalt sind Ultras ebenfalls nicht gut zu sprechen. In wenigen Städten sei das Verhältnis zur Polizei so kaputt wie in Freiburg. „Die Polizei hier ist voller Hardliner“, betont Marius. Özkan Cira, Pressesprecher im Polizeipräsidium Freiburg, widerspricht. Das Vorgehen gegen Straftaten sei in Freiburg kein Spezifikum und werde landesweit so umgesetzt. „Von der gesamten Anzahl der Straftaten im und um das Stadion in Freiburg war die relativ kleine Gruppe der Ultras in den vergangenen drei Jahren für rund 45 Prozent der Straftaten tatverdächtig“, so Cira. „Die Polizei erzählt, wir seien eine Schlägertruppe“, kommentiert Jojo.

Marius ist wegen Beamtenbeleidigung verurteilt. Zu Unrecht, wie er sagt. „Wir sind eine friedliche Fanszene. Man bekommt hier nicht aufs Maul“, betont er. So sieht es Rehm-Engel auch. Er möchte auf Ultras im Stadion nicht verzichten.

Rechtsradikale klammern die beiden Ultras allerdings aus. 2015 hätten sich Nazis aus dem Dreisamtal auf der Nordtribüne breitmachen wollen. „Die haben wir aus dem Stadion gehauen“, erinnert sich Marius. Auch das sei Unterstützung für den Verein. 2003 habe er für den SC den einzigen Auswärts-Bus bestiegen. Heute sind es sieben. Der Ultra ist sich sicher: „Mit dem neuen Stadion wird die Szene noch größer.“

Fotos: © Nordtribuehne.org