Tackling um Arena: RP gibt nach Abendspielverbot für den SC nicht klein bei Sport | 15.10.2020 | Dominik Bloedner, Lars Bargmann

neues SC Stadion in Freiburg Blick ins neue Rund: Bald soll der Rollrasen verlegt werden.

Das Regierungspräsidium Freiburg (RP) prüft, inwiefern der jüngste Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim zu attackieren ist. Das bestätigte die Behörde dem chilli. Die Richter haben zum zweiten Mal Abend- und Sonntagmittagsspiele in der neuen SC-Arena untersagt. Dieses Mal mit einer neuen Begründung.

Wen es in diesen meist grauen Oktobertagen in den Freiburger Westen verschlägt, der trifft unweigerlich auf Männer, die auf Baustellen starren. Aber auch auf Familien, Pärchen und Fans, die da am Neubau des Fußballstadions durch die Absperrgitter linsen. Noch immer wird gewerkelt. Eigentlich hätte hier schon seit August Bundesligaspielbetrieb herrschen sollen – wenn denn der ohnehin „ambitionierte Zeitplan“ (Freiburgs Baubürgermeister Martin Haag im August 2019) eingehalten worden wäre und wenn nicht die Corona-Pandemie für zusätzliche Verzögerung gesorgt hätte. So zumindest die offiziellen Verlautbarungen von SC und Rathaus.

„Die Eröffnung ist zu Beginn der Rückrunde“, bekräftigt Jochen Saier, Sportvorstand beim SC Freiburg. Und dass der Kostenplan für den Stadionneubau (knapp 76,6 Millionen Euro) trotz der Verzögerung eingehalten werde. Eine Riesenbaustelle, die einige Monate länger dauert als geplant und dennoch nicht teurer wird? Für Martin Haag sind mögliche Kostensteigerungen und die Frage, wer für diese aufkommen müsste, noch „ungelegte Eier“.

Kosteneinsparungen kann er hingegen bei den Erschließungsarbeiten vermelden: „Statt gut 40 Millionen sind es 36 Millionen Euro geworden.“ Der Grund: Die Altlastensituation sei weitaus weniger dramatisch gewesen als angenommen. Zudem habe das nachhaltige Baustellen- und Bodenmanagement die Kosten reduziert. Nur zehn Prozent der ausgebuddelten Erdmasse – der Wolfsbuck wurde auf 600 Metern angeschnitten und mit Stützwänden wieder abgefangen – mussten abtransportiert, der größte Teil konnte vor Ort wiederverwendet werden.

In den 40,5 Millionen waren Bau und Planung der Straßen und Wege, Frei- und Grünflächen, die Parkplätze und das Regenrückhaltebecken enthalten. Zudem sind knapp 15 Millionen für sämtliche Verfahrenskosten der Bauleitplanung (Aufstellung des B-Plans nebst Änderung des Flächennutzungsplans), Gutachten, Planen und Umsetzen der naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen sowie die Ausgaben für die Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Flugplatz budgetiert.

Anfang Oktober und damit nur wenige Wochen über dem Zeitplan sind die Erschließungsarbeiten nun weitgehend abgeschlossen, Oberbürgermeister Martin Horn, Haag und Saier haben ein rotweißes Flatterband zerschnitten und die zwischen Stadion und Flugplatz neu gebaute Suwonallee, benannt nach der südkoreanischen Partnerstadt, dem Verkehr freigegeben. Nahezu unendlich viele Fahrradständer gibt es, einen Busbahnhof, Gehwege und frisch gepflanzte Bäume – das Außenherum steht.

Für Horn ist die Erschließungsstraße „einer der letzten Meilensteine der städtischen Infrastruktur hier am neuen SC-Stadion“. Profitieren würden davon auch der Uni-Campus, das Industriegebiet Nord und auch die Stadtteile Brühl und Mooswald.

Im Innern gleicht die Baustelle nun immer mehr einem Fußballstadion, bald soll der Rollrasen verlegt werden. Können die Fans hier also zeitnah und zahlreich den ersten Heimsieg in einem Stadion, das immer noch keinen Namen hat, bejubeln? 1,8 Millionen Euro wollte der SC nach chilli-Informationen für die Namensrechte. Ursprünglich. Mittlerweile, so ist zu hören, könnten Firmen diesen Werbeträger auch günstiger haben. Abwarten.

Dabei sind derzeit weder Corona noch Vereine wie der VfB Stuttgart (Gast zum möglichen Rückrundenauftakt im neuen Stadion) die unbequemsten Gegner von Haag, Saier & Co. Es sind sechs um ihre Ruhe fürchtende Anwohnerinnen und Anwohner und deren Anwälte, die den Spielbetrieb zwar nicht mehr komplett verhindern, ihn aber komplizierter machen können. Und es ist der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim (VGH). Es geht um die Definition, was denn ein seltenes Ereignis und was ein normales Ereignis ist – und um einen möglicherweise stümperhaften Bauantrag. Der vom Regierungspräsidium Freiburg genehmigt worden war.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren schränkt nämlich ein VGH-Beschluss vom 20. August, der Mitte September bekannt gegeben wurde, den geplanten Spielbetrieb im neuen Stadion ein – und gibt damit den Anwohnern recht. Demnach sind Bundesligaspiele und Vorbereitungsspiele, die in den Ruhezeiten stattfinden (also täglich von 20 Uhr bis 22 Uhr, sonntags zwischen 13 Uhr und 15 Uhr) vorerst nicht zulässig. Erlaubt hingegen sind Spiele im DFB- und Europapokal sowie Länderspiele mit Spielbeginn bis 20.30 Uhr. In der Begründung des VGH heißt es: „Diese (Bundesliga-)Spiele sind (…) grundsätzlich Teil des Normalbetriebes des genehmigten Stadions. Dass sie gleichwohl nicht zum üblichen Stadionbetrieb zu zählen sind und dabei außergewöhnlich bzw. qualitativ vom übrigen Normalbetrieb abweichen, vermag der Senat nicht zu erkennen.“

In Freiburg zeigt man sich gut drei Wochen danach immer noch „überrascht“, wie Martin Haag dem chilli sagt. Rechtsamtsleiter Matthias Müller versteht ebenfalls die Juristenwelt nicht mehr: „Die oberverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat Bundesligaspiele bislang stets als seltene Ereignisse anerkannt, deshalb war diese neue Lesart des Begriffs nicht zu erwarten“, war seine Reaktion auf den zweiten VGH-Beschluss zum Stadion. Wenn Bundesligaspiele seltene Ereignisse wären, dürfen sie mehr Lärm erzeugen.

»Auch juristisch geht es rustikal zu«

Schon beim ersten Bechluss im vergangenen Oktober hatten die Richter Abend- und Sonntagsspiele untersagt – und sich dabei blamiert, weil sie sich auf eine alte Sportanlagenlärmschutzverordnung bezogen hatten. Der neuerliche Beschluss – aus anderem Grunde, aber mit derselben Einschränkung – ist nun formal bis zu einer gegebenenfalls anderen Entscheidung im Hauptsacheverfahren gültig. Solange könnte abends und Sonntagmittag also kein Bundesliga-Ball im Freiburger Westen rollen. Das Hauptsacheverfahren kann sich in die Länge ziehen, mitunter Jahre dauern. Anhängig ist dieses Verfahren am Verwaltungsgericht in Freiburg, frühestens im ersten Quartal 2021 geht es dort los. Es werden – in öffentlicher Sitzung – Zeugen und Gutachter gehört. Wenn der Rechtsstreit bis vors Bundesverwaltungsgericht in Leipzig geht, sind drei Jahre schnell rum.

Aber: Bis zum Ende des Verfahrens will das RP nicht warten. Der VGH-Beschluss könne vorher gekippt werden, falls „sich der Sachverhalt in relevanter Weise geändert hat“, wie das RP auf chilli-Nachfrage mitteilt. „Dies könnte etwa dann der Fall sein, wenn der Bauherr eine Änderung der Baugenehmigung beantragt, in der den Bedenken des VGH Rechnung getragen wird. Dann kann er gleichzeitig beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Änderung des Beschlusses des VGH stellen.“ Und genau diese Möglichkeit, heißt es weiter, werde derzeit von den Juristen geprüft. Nicht nur auf dem Platz, auch in den Juristenstuben geht es zuweilen rustikal zu.

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