»Absoluter Bockmist« Cannabis-Clubs kämpfen mit Vorgaben – Online-Rezepte boomen Szene | 18.02.2025 | Till Neumann & Philip Thomas

Steiniger Weg: Bis Cannabis-Clubs Gras anbauen, braucht es einen langen Atem. Steiniger Weg: Bis Cannabis-Clubs Gras anbauen, braucht es einen langen Atem.

Seit April ist Gras in Deutschland teillegalisiert. Seit Juli können Cannabis Social Clubs eine Anbaugenehmigung beantragen. Viel wächst aber noch nicht, denn die Auflagen sind strikt und treiben so manchen zur Weißglut. In Freiburg gibt es keine einzige Genehmigung. Konsumenten versorgen sich zunehmend mit kinderleicht zu erhaltenden THC-Rezepten.

„Wir sind tot“

Die vergangenen Monate waren bitter für Fabian Weihrauch. Der Emmendinger wollte einen Cannabis-Club eröffnen. Rund 40.000 Euro hat er nach eigenen Angaben investiert. Doch die Behörden haben einen Riegel vorgeschoben. „Wir sind tot“, sagt der 39 Jahre alte Suchtberater. Der Grund: Sein Club-Gebäude ist zu nah an der Musikschule Emmendingen.

„Das ist absoluter Bockmist“, schimpft Weihrauch. Zum einen widerspricht er dem Argument, sein Club halte nicht den Mindestabstand von 200 Metern ein. So weit müssen Clubs zum Eingangsbereich von Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie Kinderspielplätzen entfernt sein. „Die Musikschule befindet sich Laufweg 244 Meter von unserem Eingang entfernt“, sagt Weihrauch. Nur wer den Weg per Luftlinie berechne, schaffe es unter 200 Metern. „Die Kinder können weder wie Superman fliegen noch können sie durch Häuser gehen“, sagt der Emmendinger. Deswegen sei die Argumentation auf Grundlage eines Radius „hirnrissig“.

„Wirkliche Vollkatastrophe“

Zum anderen würden die Kinder das Gebäude eh nicht erkennen. „Von außen darf gar nicht gesehen werden, dass da ein Cannabis-Club drin ist.“ Außerdem sei der Cannabiskonsum am Gebäude untersagt. Ein Mindestabstand von 150 Metern muss eingehalten werden. Das heißt: Selbst wenn Kinder nahe am Gebäude sind, würden sie davon nichts mitbekommen.

Ob Weihrauch finde, dass Behörden seinen Club also einfach nicht haben möchten? „Absolut“, sagt der Suchtexperte. So sei die Lage ganz allgemein in Baden-Württemberg. Niedersachsen sei deutlich liberaler. „Der Antragsprozess dort dauert eine Woche, dann darf der Club anfangen.“ In Baden-Württemberg komme erst nach drei Monaten eine Erlaubnis. „Da hängen hinten dran 29 A4-Seiten an Bedingungen, die du erfüllen musst“, erklärt Weihrauch. Die Erlaubnis gelte nur, wenn man alle Anforderungen erfülle: „Eine wirkliche Vollkatastrophe.“ Egal mit welchen Anwälten er gesprochen habe, alle würden das Gleiche sagen: „Baden-Württemberg will das nicht und hofft, dass sich alles ändert, wenn Friedrich Merz an der Regierung ist.“

„Keine Erlaubnis erteilt“

Rund 50 Clubs aus Baden-Württemberg möchten nun in Stuttgart einen Dachverband gründen, um gemeinsam die Verfahren zu vereinfachen und gegen die restriktiven Vorgaben im Ländle zu kämpfen. „Eine Feststellungsklage haben sie eingereicht“, berichtet Weihrauch. Dabei ist unter anderem auch der „Cannabis Club Südwest“ aus Achern, der bereits eine Genehmigung hat. Weihrauch ist dort mittlerweile Mitglied.

Zuständig für Anträge und Genehmigungen ist hier das Regierungspräsidium. Sprecherin Heike Spannagel bestätigt: „Im Raum Freiburg wurde noch keine Erlaubnis erteilt.“ Es sei aber auch kein Antrag abgelehnt worden. Für Baden-Württemberg seien 82 Anträge eingegangen. Darunter zwei aus dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald (Gundelfingen und Buggingen) sowie einer aus Freiburg. Zehn Anbau-Vereinigungen in Baden-Württemberg seien bereits genehmigt. Damit ist man weiter als Bayern, dort war bis Ende Januar kein einziger Club genehmigt. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte von Anfang an betont, das Gesetz restriktiv umzusetzen.

„Sehr restriktiv“

Ist auch der Südwesten restriktiv? „Entsprechend der bewährten Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg beraten wir die Anbauvereinigungen intensiv und tragen so dazu bei, Anträge zur Genehmigungsreife weiterzuentwickeln“, erklärt Spannagel. In den Erlaubnisverfahren gelte es, den vielseitigen und komplexen Anforderungen des Gesetzes gerecht zu werden. Sie verweist auf Sicherheitsaspekte, Aspekte des Gesundheitsschutzes, der Suchtprävention sowie des Kinder- und Jugendschutzes.

Fühlt sich schikaniert: Fabian Weihrauch

Fühlt sich schikaniert: Fabian Weihrauch

Davon kann auch Doran Donath ein Lied singen. Der Freiburger ist Vorsitzender des Cannabis-Clubs Greenberry CSC. Im November habe sein Club den Antrag eingereicht. Aktuell warte man auf eine Zusage. Der 34-Jährige ist optimistisch, dass das klappt. „Es gibt wenige, die so gut vorbereitet sind wie wir.“ Eine Crew aus Anwälten berate ihn. Das sei nötig, denn Baden-Württemberg sei „sehr restriktiv“. Er kenne andere Betreiber, die bereits Klagen gegen Auflagen eingereicht hätten.

„Auflagen wahnsinnig hoch“

250 Mitglieder hat sein Verein und einen Aufnahmestopp verhängt. „Ich muss ja mit der Produktion hinterherkommen“, sagt Donath. Ein Standort im Freiburger Umland sei für den Anbau bereits gefunden. Er hofft, Mitte 2025 mit der Abgabe des Cannabis an seine Mitglieder beginnen zu können.

Doch der Weg dahin ist steinig: „Die Sicherheitsauflagen sind wahnsinnig hoch.“ Rund 10.000 Euro muss er investieren, um seine Anlagen zu sichern. Ein Kripobeamter sei da gewesen, um das vor Ort zu überprüfen. „Die Kripo lacht sich tot“, sagt Donath. Sie finde die Kontrolle unnötig. Zudem muss er sein Cannabis auf Schwermetalle, Pestizide, THC- und CBD-Gehalt testen lassen. Dafür müsse er Proben in ein Berliner Labor schicken. Verschicken dürfen aber nur Apotheken. Und für einen Transport von mehr als 25 Gramm müsse er das den Behörden melden. Sein Wunsch daher: „Die Behörden sollten uns weniger Steine in den Weg legen, sondern uns unterstützen.“

„Nach Hause geliefert“

Um den schweren Stand der Cannabis-Clubs weiß auch Stefan Kruse. Der 38-jährige Freiburger ist Sachverständiger für Cannabismedikation und setzt auf Lobbyarbeit. „Die Behörden wissen selber nicht, wo links und wo rechts ist“, sagt Kruse. Sie hätten keine Ahnung, wie sie diese ganzen Anträge bearbeiten sollen. In Niedersachsen lasse man das in so einem Fall durchgehen, hier würde konservativ abgelehnt.

Kruse sucht Kontakt zur Politik, zu Suchtstellen und setze auf Öffentlichkeitsarbeit. Als große Lücke im System hat er Selbstzahlerrezepte für Cannabis ausgemacht. „Für 5, 6 Euro kriegst du das Gramm so nach Hause geliefert“, erklärt Kruse. Da viele damit ganz zufrieden seien, mache sich die Regierung keine große Mühe, die Social Clubs durchzukriegen.

„Nur wenige Klicks“

Nutznießer der Online-Rezepte ist Max Müller (Name von der Redaktion geändert). Seit 2017 konsumiert er regelmäßig Cannabis. Von der Teil-Legalisierung am 1. April war der Freiburger überzeugt, in die Social Clubs hatte der 37-Jährige große Hoffnungen gesetzt. „Eigentlich wollte ich mich da anmelden. Das Konzept fand ich gut, auch wenn für mich noch viele Fragen offen waren“, sagt er.

Weil im Spätsommer allerdings noch kein einziger Cannabis-Club in Baden-Württemberg eine Lizenz für den Anbau der Pflanze erhalten hatte, beschloss Müller, sich auf einer von zahlreichen Internetplattformen um medizinisches Cannabis zu bemühen. „Das waren nur wenige Klicks, nach fünf Minuten war ich angemeldet. Ich war überrascht, wie einfach das geht“, erinnert er sich.

„Qualität ist gut“

Von einem Arzt oder medizinischem Personal wurde Müller dabei nicht untersucht. „Bloß einen Fragebogen habe ich ausgefüllt“, sagt er. Darin habe er Beschwerden aufgebauscht und erfunden: „Ich habe unter anderem angegeben, dass ich Migräne und Panikattacken habe. Das war sicherlich übertrieben.“ Zwei Stunden später flatterte das Rezept per Mail rein: „Ihrer Behandlung wurde stattgegeben“, steht in der Nachricht. Anbei noch ein kurzes Handout, das über die Risiken von Cannabiskonsum aufklärt.

Einmal pro Woche kann Müller mit dem Rezept bestellen. Das reicht er bei einer Online-Apotheke ein. Drei Tage später liegt das Gras im Briefkasten. „Die Seiten wirken professionell. Die Qualität vom Weed ist gut, kein Vergleich mit dem Zeug vom Stühlinger Park“, sagt Müller.

1000 Prozent Anstieg

Er ist nicht der Einzige, der auf diesen Trichter gekommen ist. Das Geschäft mit medizinischem Cannabis in Deutschland boomt: Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wurden im Jahr 2023 rund 20.000 Kilogramm Gras an Apotheken geliefert. 2020 waren es noch 7200 Kilo. Daten zu Engpässen liegen Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände nicht vor. Laut dem Unternehmen Bloomwell, sind die Cannabis-Verordnungen auf der eigenen Plattform zwischen März und Dezember des vergangenen Jahres um knapp 1000 Prozent gestiegen.

Knapp 1000 Euro hat Müller in einem halben Jahr für medizinisches Cannabis ausgegeben. Wie viel Gramm das sind, kann er nicht sagen. Eigentlich will er weniger rauchen – und nach wie vor einem Social Club beitreten. „Bis die endlich aufmachen, werde ich weiter bei Apotheken beziehen.“

Eine ganz große Geschichte – Wie die Cannabis-Legalisierung in Freiburg ankommt

Fotos: © iStock/24K-Production, privat