Eine ganz große Geschichte – Wie die Cannabis-Legalisierung in Freiburg ankommt STADTGEPLAUDER | 14.03.2024 | Till Neumann und Philip Thomas

Cannabis Pflanze

Der 1. April 2024 könnte in die Geschichte eingehen. Erstmals soll Kiffen in Deutschland legal werden. Für viele Aktivisten und Experten aus dem Breisgau ist das ein überfälliger Schritt. Einer will Freiburg mit dem „geilsten Gras“ sogar zur THC-Metropole machen. Doch die Kritiker bleiben laut. Insbesondere auch in Baden-Württemberg. Möglicherweise kommt die Teil-Legalisierung daher nicht vor Oktober.

Das Gesetz von Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist eine 180-Grad-Wende: Bis zu 25 Gramm dürfen Volljährige ab dem 1. April zum Eigenkonsum mit sich führen. Zudem ist der Anbau von bis zu drei Pflanzen zu Hause erlaubt. Bis zu 50 Gramm sind in dem Rahmen legal. Auch der Konsum in der Öffentlichkeit soll ermöglicht werden. Doch mit Einschränkungen: 100 Meter Luftlinie Abstand braucht es zu Schulen und Sportstätten. In Fußgängerzonen ist Kiffen erst ab 20 Uhr erlaubt. Ob die Polizei die roten Zonen im Detail kennt? Und möglicherweise bis Punkt 20 Uhr auf der KaJo steht, um nach Übeltätern zu fahnden? Diese chilli-Fragen lässt das Freiburger Polizeipräsidium unbeantwortet und verweist ans Landes-Innenministerium. Doch auch dort gibt es darauf keine konkreten Antworten.

Rund einen Monat vor der möglichen Legalisierung scheint vieles unklar. Doch die Aktivisten machen Druck. So gibt es auf bubatzkarte.de bereits eine Deutschlandmap mit markierten Verbotszonen. Das chilli hat den Ausschnitt der Freiburger City auf der folgenden Seite abgedruckt. Ob die Beamten auf der Grundlage kontrollieren werden?

„Es wird spannend“, sagt Tobias Pietsch. Der Betreiber des Hanfnah-Ladens in Freiburg ist der bekannteste Cannabis-Aktivist aus dem Breisgau – und kann es kaum erwarten: „Wir haben uns so lange in Kellern versteckt und uns schlecht dabei gefühlt“, sagt der 39-Jährige. Er werde daher das neue Freiheitsgefühl genießen. Mit Freunden plant er eine Party in geschlossener Gesellschaft – sie möchten eine 1,60 Meter große Wasserpfeife einweihen.

»In Kellern versteckt«

Als das chilli Pietsch telefonisch erreicht, ist er auf dem Weg zum Frisör. „Die alten Zöpfe der Prohibition werden jetzt abgeschnitten“, betont Pietsch. Vor fünf Jahren hätte er nicht einen Euro auf eine Legalisierung im Jahr 2024 gewettet. Doch jetzt ist das greifbar nah. 25 Gramm zum Eigenbedarf und drei Pflanzen zum Anbau zu Hause findet er dennoch „völligen Murks“. Das seien Kompromisse und Regeln, die in der Praxis kaum anwendbar seien. Er hofft, dass die „Einsatzkräfte nicht wie von King Markus Söder angekündigt, alles versuchen, um uns weiter auf ‘n Sack zu gehen, sondern einfach mal die Vernunft walten lassen“. Viele seien aus der Gesellschaft ausgegrenzt worden. Dass sich Konsumenten einfach mal treffen könnten, ohne sich schlecht zu fühlen, sei dringend nötig. Entstigmatisierung nennt er das.

In seinen Filialen in Lahr, Lörrach und Freiburg beobachtet Pietsch eine neue Lockerheit: „Ich merke, dass das Interesse wächst und dass auch die Angst, darüber zu reden, verschwunden ist.“ Besonders ältere Menschen informierten sich neuerdings bei ihm über Anbautechniken. „Die Ersten haben sich schon in Straßburg oder Colmar drei Samen gekauft.“ Kurios: Weibliche Samen sind in Frankreich als Sammelobjekt erhältlich. Alles andere zum Anbau gibt es zum Beispiel bei Pietsch im Laden. 300 bis 500 Euro brauche es, um sich die nötigen Utensilien zu kaufen, sagt der Unternehmer.

Was ihn ärgert: Weibliche Samen wird er ab dem 1. April weiterhin nicht verkaufen dürfen. Im Online-Handel soll das aber möglich werden. „Das ist völliger Unsinn“, sagt Pietsch. Es werde mit Sicherheit Klagen geben. Auch er möchte alles Mögliche ausreizen und sei bereit, dafür einen Prozess zu riskieren.

Freiburger Stadt Karte

Hier darf nicht gekifft werden: In den roten Zonen der Freiburger City ist der Konsum illegal. Um den Bahnhof  , die Uni-Bibliothek und den Bertoldsbrunnen droht wenig Gefahr. Der Münsterplatz ist dafür kritisch. Zusätzlich ist in Fußgängerzonen kiffen erst ab 20 Uhr erlaubt.

In den Startlöchern stehen auch die Cannabis Social Clubs. Sie sind neben dem Eigenanbau die zweite mögliche Quelle für Kiffer. Ab dem 1. Juli sollen sie Gras anbauen dürfen – und dann ohne kommerzielles Interesse an ihre Mitglieder abgeben. Bis zu 500 Personen dürfen maximal in einen solchen Club. Zwei davon sind in Freiburg bereits aktiv: der Cannabis Social Club Freiburg und The Green Social Club. Ersterer hatte schon im November 135 Mitglieder. Der zweite ist mittlerweile bei rund 230, berichtet Stefan Kruse. Der 37-Jährige ist Teil des Vorstands und darüber hinaus Vollzeit-Cannabis-Unternehmer. „Ich bin Sachverständiger für Cannabismedikation“, berichtet Kruse. Seit acht Jahren arbeite er im medizinischen Cannabis-Bereich, kooperiere mit dem Freiburger Uniklinikum, dem Ortenau Klinikum, Pflegeheimen oder auch Bundesbehörden.

„Ich mache den ganzen Tag nichts anderes, als über Cannabis zu reden“, erzählt der Mann aus Herbolzheim. Sein Plan ist, als Partner für das Freiburger Rathaus zu fungieren und so den Antrag als ­Cannabis-Modellregion zu unterstützen. Mit dem Social Club möchte er mithilfe seines Netzwerks „die geilsten Anlagen und das geilste Gras, was es überhaupt gibt, auf die Beine stellen“. So soll ein Grundstein gelegt werden, „der die innerdeutsche Cannabisproduktion auf ein neues Level hebt“. Kruse betont: „Ich mach’ da eine ganz große Geschichte draus.“

Dass Freiburg eine Modellregion für die öffentliche Abgabe von Cannabis wird, steht aber in den Sternen: „Es gibt noch keine Bewerbung, es gibt nicht mal ein ‚Rennen‘ um den Zuschlag, weil zum Thema Modellregionen noch gar nichts bekannt ist“, erklärt Rathaussprecher Toni Klein. Die Stadtverwaltung warte auf Infos über Rahmenbedingungen, Finanzierung, Laufzeit. Erst wenn das vorliege, befasse man sich mit einer Bewerbung.

Doch das Rathaus könnten vorher schon Anbau-Fragen beschäftigen, berichtet Stefan Kruse: „Wir werden auf die Stadt zugehen und ganz klar den Bürgermeister fragen: Wo hättest du uns denn gerne?“ Die Lage dürfe ruhig am Stadtrand sein, immerhin schweben ihm 400 Quadratmeter Nutzfläche vor. In Eile wolle er jedenfalls ab dem 1. Juli nicht verfallen. „Wir möchten nicht die Ersten sein. Wir wollen die Besten sein“, betont Kruse. Als studierter Farb- und Lack-Techniker könne er die ganz großen Anlagen bauen. Nachhaltig und ökologisch soll das werden – mit bester Qualität. Kritisch sieht Kruse, dass jeder zukünftig 50 Gramm zu Hause haben könne. Das sorge für einen neuen Schwarzmarkt. „Jeder hat somit mehr Gras, als er eigentlich rauchen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dann was abgebe, verschenke oder verkaufe, ist sehr hoch.“

Sind pro Legalisierung, aber üben auch Kritik: Christoph Weber (Drogenhilfe Freiburg), Volker Auwärter (Uniklinikum Freiburg),

Sind pro Legalisierung, aber üben auch Kritik: Christoph Weber (Drogenhilfe Freiburg), Volker Auwärter (Uniklinikum Freiburg), Stefan Kruse (Green Social Club) und Tobias Pietsch (Hanfnah)

Bei der Drogenhilfe Freiburg sieht man die Teil-Legalisierung dennoch positiv: „Der Cannabiskonsum ist eh da“, sagt Christoph Weber. Sein Team gehe davon aus, dass die Legalisierung Chancen bietet, offener damit umzugehen. „Die Regulierung ist so eher möglich als unter den jetzigen Bedingungen der ­Illegallität“, sagt der Sozialarbeiter. 

Die Drogenhilfe nimmt derzeit Kontakt mit den Freiburger Cannabis Social Clubs auf, um Support in Sachen Prävention anzubieten. Für den Ausbau der Prävention hat sie eine dringend benötigte Personalstelle beantragt. Die Nachfrage sei schon jetzt nicht zu stemmen, so Weber: „Die Anfragen von Schulen werden mehr.“ Dort seien Aufklärungsangebote gewünscht. „Wir befürchten, dass die Legalisierung schneller kommt, als dass die Prävention ausgebaut wird“, sagt Weber. Seiner Meinung nach sollten fundierte Präventionskonzepte von geschulten Fachkräften in allen Schulen implementiert werden. Mit einem Schwerpunkt auf Cannabis. 

Auch die Toxikologie der Rechtsmedizin am Uniklinikum Freiburg ist mit dem Thema Cannabis vertraut. Deren Leiter Volker Auwärter begrüßt die Teil-Legalisierung: „Technisch ist sicherlich nicht alles gut gelungen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.“ Die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten sei überfällig. Der Schwarzmarkt könnte so zurückgehen. Doch eine Gefahr bleibt möglicherweise: „Ob auf dem verbleibenden Schwarzmarkt weiter verunreinigtes Cannabis angeboten wird, das wird sich zeigen“, sagt Auwärter.

Deutlich kritischer sieht das Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl: „Die geplante Legalisierung von Cannabis der Ampel ist von Anfang bis Ende verkorkst.“ Der 63-Jährige befürchtet Cannabis-Tourismus in der Grenz­region und Kiffer im Straßenverkehr: „Das Thema Verkehrssicherheit hatte die Ampel bei ihren Plänen zur Cannabis-Legalisierung offensichtlich noch nicht einmal auf dem Schirm. Das ist brandgefährlich.“

»Das ist Brandgefährlich«

Bereits jetzt seien 70 Prozent aller Drogenfahrten im Land auf Cannabis zurückzuführen. Laut Ministerium stieg die Anzahl tödlicher Verkehrsunfälle in den USA sowie Kanada nach der dortigen Cannabis-Legalisierung um Werte zwischen 1,2 und 2,1 pro Milliarde gefahrener Meilen.

Strobl spricht eine offene Flanke an: Bisher gibt es für Cannabiskonsum am Steuer nur einen Grenzwert von 1,0 Nanogramm Tetrahydrocannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum (ng/ml). Der lässt jedoch keine eindeutigen Rückschlüsse zu, ob der Konsum noch eine berauschende Wirkung hat. Tobias Pietsch fordert daher eine Anhebung auf 10 Nanogramm. Andere Länder würden deutlich zeigen, dass die Zahl der Verkehrsunfälle dadurch nicht steigt.

Der Hanfverband sieht im Vergleich zu Alkohol ein klares Ungleichgewicht: „Man darf unter leichtem Alkoholeinfluss (bis 0,5 Promille) unbehelligt am Straßenverkehr teilnehmen, während einem Cannabiskonsumenten unter Umständen der Führerschein selbst dann entzogen werden kann, wenn er nie berauscht gefahren ist.“ Unterstützung bekommt er dabei vom ADAC. Sprecherin Claudia Ploh vom Regionalclub in Freiburg fordert eine Regelung analog zur Promillegrenze: „Ziel eines Grenzwertes muss es sein, Fahrten unter Einfluss von Cannabis zu ahnden, die sich negativ auf die Fahrtüchtigkeit auswirken.“ Unberechtigte Bestrafungen gelte es aber zu verhindern.

Eine solche Änderung ist bis zum 1. April utopisch. Doch auch die Teil-Legalisierung wankt zum Redaktionsschluss (8. März). Da es im Bundesrat Bedenken gibt zur Umsetzbarkeit, könnte ein Vermittlungsausschuss einberufen werden. Der Hauptgrund: Die neue Straffreiheit bei THC gilt rückwirkend. Justizfälle müssten daher neu aufgerollt – und Tausende Akten händisch geprüft werden. Allein in Baden-Württemberg sind das 25.000. Die Rede ist mittlerweile von einer Teil-Legalisierung ab frühestens Oktober. An den überwiegend positiven Stimmen aus Freiburg wird das nichts ändern.

Fotos:  © Freepik.com, Quelle der Karte: © Bubatzkarte, OpenStreetMap:  https://bubatzkarte.de/#16/47.9936/7.8533, Drogenhilfe Freiburg, Uniklinik Freiburg, Paul macht Fotos, tln