Eins mit dem Baum: Was hinter dem Naturtrend Waldbaden steckt Szene | 28.06.2021 | Till Neumann

Till Neumann beim Meditieren im Wald Meditativ: Till Neumann lauscht der Natur. Coach Olaf Lemnitz (unten) ist per Smartphone dabei.

Entspannen im Wald. Das kennt jeder. Und darin baden? Manche tun Waldbaden als esoterischen Quatsch ab, andere sehen es als besondere Meditation. chilli-Redakteur Till Neumann wollte es genauer wissen: Er hat sich mit einem Coach in den Freiburger Wald begeben und dabei barfuß einen Baum umarmt.

Eine Studie aus Baden-Württemberg untersucht erstmals, was hinter dem Trend steckt.

Es regnet leicht an diesem schwül-warmen Sonntagmorgen. Eine willkommene Abkühlung nach heißen Tagen. Heute gehe ich zum ersten Mal im Wald baden. Ein Coach begleitet mich – von Kreta aus mit dem Smartphone. Ob das klappt?

„Lass den Atem fließen“

Olaf Lemnitz ist über einen Video Call live dabei.

Digital dabei: Coach Oliver Lemnitz

Olaf Lemnitz ist ausgebildeter Leiter von Waldbadekursen. Der 49-Jährige ist bei den Seminaren in Freiburg eigentlich persönlich dabei. Doch zu Corona-Zeiten hat es ihn nach Kreta verschlagen. Von dort aus bietet er digitale Seminare an. Verabredet sind wir per Videocall an einer Grillhütte oberhalb des Waldsees. Lemnitz sitzt in kurzer Hose auf seiner Terrasse und begrüßt mich freundlich. Ich habe eine Regenjacke an und hoffe, dass es einigermaßen trocken bleibt.

„Wichtig ist, dich auf den Wald einzulassen“, sagt Lemnitz. Hören, fühlen, riechen. „Lass den Atem fließen.“ Zum Start gehe ich einen leicht ansteigenden Weg entlang. Das Smartphone steckt jetzt in der Tasche. So kann ich mich auf die Natur konzentrieren. Ich soll langsam gehen, mein eigenes Tempo finden. Ruhig auch mal stehenbleiben und etwas genauer anschauen. Als ich rechts einen majestätischen Baum entdecke, halte ich an – und betrachte ihn näher. Beeindruckend. Regentropfen prasseln auf die Blätter. 

Etwas weiter oben geht’s an die erste Meditation. „Suche dir einen Punkt im Wald und konzentriere dich darauf“, sagt Lemnitz. Ich soll zudem leicht in die Knie gehen und die Schultern lockern. Wir lassen einen imaginären Punkt durch meinen Körper wandern. Die Augen sind geschlossen. Was ich dabei fühle? Wärme, sage ich. Langsam werde ich eins mit der Umgebung.

Barfuß übers Moos

Dann soll ich die Schuhe ausziehen, barfuß über einen schmalen Weg laufen. „Eine kostenlose Fußreflexzonenmassage“, sagt Lemnitz. Frisch ist es, aber nicht kalt. Erde, Steine und kleine Äste sind zu spüren. Wenn ich langsam laufe, ist das angenehm.

Ich erzähle vom Moos am Boden, das hier überall ist. „Fass es ruhig an, erzähl’ mir, wie sich das anfühlt“, sagt Lemnitz. „Erstaunlich rau, vollgesogen mit Wasser“, antworte ich. Dann soll ich mich auf einen Baumstumpf am Wegesrand setzen, die Augen schließen. Minutenlang. Bis ein Gong ertönt. Ich mache es mir gemütlich. Lausche dem Wald. Dabei fällt mir ein Baum auf, der einige Meter vor mir steht. Seine Äste sind wie Stockwerke. Das erzähle ich Lemnitz, als nach ein paar Minuten der Gong ertönt. 

„Geh ruhig zu dem Baum, wir machen ein Wald-Solo“, sagt Lemnitz. Ich soll den Holzriesen umarmen, mein Ohr an seine Rinde legen. Was ich höre? „Ein Rauschen“, sage ich. Mächtig fühlt sich der Stamm an, aber auch sanft.

Ein Auge aus Ästen

Dann gehen wir weiter, zurück zur Grillhütte. „Such dir vier Stöcke vom Boden“, sagt Lemnitz. Damit soll ich ein Viereck legen und darin mit Dingen vom Waldboden ein Bild malen, das mein Erlebnis beschreibt. Ich lege ein Auge. Für den Durchblick, den so eine Meditation bringt. 

Zum Abschluss gibt mir Lemnitz einen Tipp mit auf den Weg: Wenn ich mich nach der Runde gut fühle, soll ich das auch anderen zeigen. Einfach anlächeln. Das wirke manchmal Wunder.

Shinrin Yoku

Olaf Lemnitz bietet alsForest Potentials“ regelmäßig Waldbadekurse an. Sie gehen meist vier Stunden. Bis zu sechs Personen können teilnehmen. Das kostet 32 Euro pro Nase. 2019 hat Lemnitz beim Netzwerk Deutsche Akademie für Waldbaden eine Ausbildung zum Kursleiter gemacht. Rund 50 Touren hat er bisher geleitet. Waldbaden kommt aus Japan. „Shinrin Yoku“ heißt das Konzept dort. Den Begriff hat das japanische Forstministerium 1982 geschaffen. Wichtig dabei ist Achtsamkeit. Also das bewusste Wahrnehmen der Natur.

Eine Studie aus Baden-Württemberg hat 2020 erstmals die Wirkungen untersucht. Der Freiburger Baumphysiologe Jürgen Kreuzwieser hat dabei sogenannte Terpene untersucht. Das sind Gase, die im Wald vorkommen und entspannend wirken können. Eine Erkenntnis der Studie: Mischwald wirkt eher entspannend, Nadelwald dafür stressreduzierend. Mehr zur Studie gibt es hier: „Wald wirkt“

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Fotos: Till Neumann; Grafik: freepik

Sinnlich entspannen