Drahtseilakt Podcastkonzert 4Event | 27.03.2023 | Lars Bargmann

Podcastkonzert

Es braucht Entdeckergeist, wenn man die Alpensinfonie von Richard Strauss mit einem philosophischen Tête-à-Tête kreuzt. Genau den hat Andre de Ridder, Generalmusikdirektor am Freiburger Theater, bewiesen, als er mit dem Philharmonischen Orchester und dem Philosophen Markus Gabriel das erste Podcast-Konzert in der Geschichte des Hauses auf der Bühne des Konzerthauses inszenierte. Ein Drahtseilakt. Und der nächste folgt sogleich.

Draußen vor dem Konzerthaus ist die Sonne längst untergegangen, drinnen beginnt der Abend mit der Nacht, auf die der Sonnenaufgang folgt, „einer der fantastischsten Sommeraufgänge der Musikgeschichte“, wie de Ridder dem Publikum erzählt. Aber es geht nicht nur im Strauss’ monumentale Tondichtung, es geht auch im Friedrich Nietzsche – auf den Skizzenblättern zur Sinfonie steht „Der Antichrist“ geschrieben, jenes verstörende Werk des Philosophen, der sich als Aufklärer der Aufklärung verstand.

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„Der Antichrist ist kaum ohne moralische Zahnschmerzen zu lesen“, erläuterte Gabriel nach dem Sonnenaufgang im Zwiegespräch mit de Ridder. Dieser Szenenwechsel des Chefdirigenten, der gerade eben noch inbrünstig den Taktstock geschwungen hat und drei Sekunden später mit Gabriel über Natur philosophiert, ist der immer wiederkehrende Drahtseilakt des Abends. Beide Rollen sind schwer mit gleicher Intensität zu spielen, dafür müsste de Ridder ein Borderliner sein.

Gabriel, der gerade als Berater von der Münchner Sicherheitskonferenz kam, interpretiert Nietzsche und Kant, zieht seine eigenen Schlüsse – „Es gibt universelle Werte, das ist statistisch evident. Das Gute ist das moralisch Notwendige, das Böse ist eine Hyperschallrakete auf eine Kita werfen.“ De Ridder fragt nach, das Publikum freut sich derweil schon auf die nächsten musikalischen Sequenzen eines Philharmonischen Orchesters in Hochform. Als der Freiburger Klangkörper 1887 gegründet wurde, war Strauss übrigens noch dritter Kapellmeister an der Hofoper in München.

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Nach dem Sonnenaufgang geht es bergauf, hoch hinauf bis auf den Alpengipfel, erst zieht Nebel auf, dann wird’s stürmisch, ein eiliger Abstieg, Sonnenuntergang – und es ist wieder Nacht. Die Alpensinfonie hat ihr Finale gefunden. Zwischendurch, wie eine inszenierte Wanderpause, sprechen Gabriel, der vor zehn Jahren mal sechs Monate in Freiburg gelebt hatte, und de Ridder über die Natur, den Menschen, die Natur des Menschen. „Aufklärung ist die moralische Verbesserung des Menschen“, sagt Gabriel. Ein philosophischer Schlussakkord. Langanhaltender Beifall.

Das zweite Podcastkonzert geht jetzt am 1. April über die Konzerthausbühne. Dieses Mal sprechen Markus Gabriel und de Ridder über Beethovens 5. und 6. Sinfonie, Immanuel Kant und die „Neue Aufklärung“. Wie und warum konzipierte Beethoven diese zwei Sinfonien gleichzeitig und als gegenseitige Ergänzung, was hat das mit Kant zu tun hat, und warum verdeutlicht diese Musik auch in unserer Zeit die Notwendigkeit einer „Neuen Aufklärung“, wie sie Gabriel fordert. Auch das ein Abend, für den es Entdeckerlust braucht.

Den ersten Podcast gibt es hier: https://theater.freiburg.de/de_DE/spielplan/podcastkonzert-i.17555541

Fotos: © Tobias Semmelmann