„Musik ist eine universelle Sprache“: Interview mit Viktoria Leléka vor ihrem Auftritt im Freiburger Jazzhaus 4Event | 18.09.2023 | Pascal Lienhard

Leléka

Ukrainische Volkslieder in einem modernen Jazz-Gewand: Damit macht sich das Quartett Leleká seit 2016 einen Namen. Unter anderem haben die Musiker*innen den ersten Platz beim Europäischen Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis 2018 abgeräumt. Vor ihrem Auftritt im Jazzhaus am 13. Oktober hat chilli-Volontär Pascal Lienhard mit Sängerin Viktoria Leléka telefoniert. Im Gespräch berichtet die 32-jährige in Berlin lebende Ukrainerin von den Ursprüngen ihrer Musik, düsteren Weihnachtsliedern und der Situation von Musiker*innen in ihrer Heimat.

chilli: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ukrainische Traditionals in einem modernen Jazz-Gewand zu interpretieren?

Viktoria Leléka: Ich wollte schon immer Jazz studieren. Doch wenn ich Standards gesungen habe, fragten mich Freunde, Künstler*innen und Lehrer*innen, warum ich nicht Stücke aus meiner eigenen Kultur singe. Ich habe selbst gemerkt, dass das nicht so authentisch ist. Sobald ich ukrainische Lieder gespielt habe, hatte das eine ganz andere Energie, es klang viel natürlicher. Der Großteil unseres Repertoires sind Volkslieder, die wir neu interpretieren.

chilli: Wovon handeln die Songs?

Leléka: Das ist ganz unterschiedlich. Es geht um alle Arten von Schmerz, die Menschen erleben. Je nach dem, wie es mir gerade geht, suche ich bestimmte Thematiken aus, die mich berühren. Im November erscheint ein Album mit Weihnachtssongs. Wir haben auch einige sehr düstere Werke mit konfrontierendem Inhalt eingespielt. In einem geht es etwa um ein Zwiegespräch mit Gott.

chilli: Funktionieren die Songs vor einem deutschen Publikum, das zum größten Teil kein Ukrainisch spricht?

Leléka: Ja! Obwohl die meisten die Sprache nicht beherrschen, sind im Publikum viele berührt. Und das berührt mich. Die Musik ist eine universelle Sprache, die von Herz zu Herz fließt. Gerade in Städten mit einer großen Community kommen auch viele Gäste aus der Ukraine.

Ukrainische Traditionals in einem modernen Jazz-Gewand: Damit kommen Leléka im Oktober nach Freiburg.

chilli: Vor drei Jahren haben Sie eine neue Version von „Die Gedanken sind frei“ veröffentlicht. Sind die von Ihnen gespielten Lieder in der Ukraine ähnlich bekannt, wie das deutsche Stück hierzulande?

Leléka: Nein, im Gegenteil. Die meisten sind absolut unbekannt. Es gibt so viel Unglaubliches zu entdecken. In der Ukraine arbeite ich am Theater, da bin ich auf viel Musik gestoßen. Ich nutze aber auch Online-Archive. Wirklich super ist das Polyphony Project. Dafür sind Forscher*innen durch Dörfer gefahren und haben Videos gemacht, um alte Volksmusik zu archivieren. Zudem arbeite ich mit Ethnograph*innen und kaufe CDs und Bücher. Eines der wenigen Stücke, das in der Ukraine alle kennen, ist das Requiem „Plyve Kacha“. Das war schon auf unserer ersten EP von 2017. Das Lied wurde 2014 durch die Revolution der Würde (hier bekannt als Euromaidan, Anm. d. Red.) bekannt.

chilli: Wissen Sie, wie es aktuell Musiker*innen in der Ukraine geht?

Leléka: Das ist ein sehr emotionales Thema. Ich kann nicht für jede Stadt sprechen. Ich kenne Musiker*innen, die mit Waffen ihre Heimat verteidigen. Andere Kolleg*innen, auch aus der Theater- und Kinoindustrie, sind bereits tot. Aber die Leute wollen leben und jeden Moment nutzen, um etwas zu kreieren. Die Theater- und Konzertsäle sind voll. Da passiert sehr viel. In den von Russland okkupierten Städten ist das aber etwas ganz anderes. Ich habe mir gerade neue Videos mit Interview aus befreiten Dörfern angeschaut. Ich habe gesehen, wie Menschen dort die ukrainischen Soldaten mit Tränen in den Augen umarmen, sie küssen und sich bei ihnen bedanken.

chilli: Spüren Sie seit Februar 2022 eine gestiegene Aufmerksamkeit an der Musik von Leléka?

Leléka: Es gibt schon ein größeres Interesse. Aber das hat politische Gründe und ich wollte diese Aufmerksamkeit nicht. Die Kultur der Ukraine ist wie die jedes Landes unglaublich wertvoll. Sie verdient das Interesse auch ohne den Krieg. Aber auf der anderen Seite ist es richtig, dass die Wertschätzung wächst. Jeden Tag werden in der Ukraine Museen, Denkmäler und Schulen zerstört, Künstler sterben. Es ist ein sehr sensibles Thema und ich habe keine eindeutige Meinung. Aber ich bin allen dankbar, die uns unterstützen und der ukrainischen Kultur einen Raum geben.

Live

Leléka spielen am 13. Oktober im Jazzhaus. Start ist um 20 Uhr.

Fotos: © Dovile Sermokas