Der aufhaltsame Aufstieg eines Rowdys – Viktor Jerofejew bringt seinen „Gopnik“ in einer exklusiven Bühnenfassung ans Theater Freiburg 4Literatur & Kolumnen | 23.03.2024 | Erika Weisser

Was passiert heute in Russland? Viktor Jerofejew enthüllt in seinem Theaterstück Machtmechanismen: rasant, ironisch und abgründig. Was passiert heute in Russland? Viktor Jerofejew enthüllt in seinem Theaterstück Machtmechanismen: rasant, ironisch und abgründig.

Schon viele haben sich aufgemacht, das Wesen der russischen Macht zu entlarven:  Autoren, Politiker, Künstler, Aktivisten. Zwar ist ihnen dies weitgehend gelungen, doch trotz aller Analysen, aller Anklagen, aller Beweise, allen Missbrauchs hält sich seit Jahrzehnten ein einziger Mann an dieser Macht. Einer, den der seit dem Überfall auf die Ukraine im Exil lebende Schriftsteller Viktor Jerofejew als „Großen Gopnik“ bezeichnet, als „eine Art Hinterhof­imperialisten“. Jerofejew ist mit dem Freiburger Intendanten Peter Carp befreundet. Deshalb gibt es am Theater bald eine Welt-Uraufführung.

In seinem gleichnamigen Roman zeichnet der 1947 in Moskau geborene Autor den aufhaltsamen Aufstieg dieses Mannes nach, dessen zweifelhafte Karriere in den Hinterhöfen Leningrads begann, wie St. Peters­burg zur Zeit des halbstarken Gopnik hieß. Und wo der Sohn linientreuer Stalinisten als hinterhältiger Straßenrowdy, Schläger und Ganove sein Unwesen trieb. Allerdings eher zur sinn­stiftenden Freizeitgestaltung denn zur Bereicherung: Da er schon früh Luxusgegenstände wie eine Armbanduhr (und später gar ein eigenes Auto) besitzt, geht es eher um Autoritätswahrung. Darum, sowohl seinen Opfern als auch seiner Peergroup Angst einzujagen, sie zu erniedrigen und seine stets gewaltbereite Macht zu demonstrieren.

Der Gopnik erscheint als eigentlich unglücklicher Junge, dem wegen seiner Affinität zur Gewalt zunächst die Aufnahme in den örtlichen Jugendverband verwehrt wird. Womit sein unbändiges, lebenslang anhaltendes Verlangen nach Rache geweckt wird, das er bald stillen kann: im Geheimdienst, in dem er schnell aufsteigt. Und zudem „das heilige Gehege findet, das ihn vor der Ahndung eines jeglichen Vergehens schützte“. Wie aus dem Roman hervorgeht, wolle nämlich auch der mittlerweile große Gopnik „nichts anderes als sich beschützt fühlen“. Deshalb umgebe er sich bis heute so gern mit Bunkerwänden und plane an langen Tischen die Rückeroberung der alten Größe, Macht und Herrlichkeit Russ­lands und dessen angeblich behütender Stabilität.

Jerofejew, Sohn des persönlichen Dolmetschers Stalins, stellt aber auch sein Leben – und das vieler seiner Landsleute – in den Zusammenhang mit dem offensichtlichen Paradox des Vorstoßes eines Kleinkriminellen in eine der Machtzentralen des Weltgeschehens. Seine im Roman immer wieder durchscheinende These: Die mit Geschichtsvergessenheit gepaarte Unfähigkeit der Russen, sich der eigenen Gewaltgeschichte zu stellen und sich stattdessen an archaisches Denken und mythologisches Schwelgen zu klammern, habe der Bereitschaft zur Verdummung den Boden bereitet. Und somit der Karriere eines Verdummungs-Profis.

Der rasante, oft ironische und noch öfter abgründige Roman entstand während des Kriegs in der ­Ukraine, seine Übersetzung erschien im Herbst 2023. Seine persönliche Freundschaft mit Peter Carp, dem Intendanten des Theaters Freiburg, führte dazu, dass er exklusiv für eben dieses Theater eine Bühnenfassung des „Gopnik“ schrieb. Die Welt-Uraufführung ist – in Anwesenheit des Autors – am 13. April in Freiburg.

Der große Gopnik

Der große Gopnik
von Viktor Jerofejew
Übersetzung: Beate Rausch
Verlag: Matthes & Seitz, 2023
614 Seiten, gebunden
Preis: 28 Euro

Foto: © privat