Der Seelenhüter – Dazwischen-Geschichten 4Literatur & Kolumnen | 28.06.2024 | Erika Weisser

Buchcover: Der Seelenhüter

Der Mann, der nach dem Ende seiner Berufstätigkeit „in der großen Stadt“ in sein Dorf zurückkehrt, gibt seinen Namen nicht preis. Inmitten all der namentlich genannten Verwandten, mit denen er sein Leben teilte, bleibt er ein Ich-Erzähler.

Und der bezieht nicht etwa das an der Strecke von Straßburg nach Basel gelegene Schrankenwärterhaus, in dem er mit Onkel Paul, Tante Anna und Cousin Daniel aufwuchs. Sondern das längst verlassene und baufällige Haus seiner Eltern, in dem er nie wohnte: Der Vater, ein von der Wehrmacht zwangsrekrutierter elsässischer Soldat, „esch nem heimkomme von Russlànd“, die Mutter war darüber verrückt geworden und starb „im Irrenhaus“ in Rouffach. Auch sie bleiben namenlos – gleichsam als Symbol für ein kollektives Schicksal, das in der Zeit der Annexion des Elsass durch Nazi-Deutschland viele Familien traf.

In diesem Haus – und insbesondere dessen „Kàller“ – nimmt der Rentner Kontakt zu den flüsternden Seelen der Verstorbenen auf und sinniert mit ihnen über die unglückseligen „Dazwischen-Geschichten“, denen die Menschen dieses Landstrichs zwischen Rhein und Vogesen unterworfen waren. Pierre Kretz, der im Mai mit dem Johann-Peter-Hebel-Preis ausgezeichnet wurde, ist eine exakt analysierende Spurensuche gelungen.

Buchcover: Der Seelenhüter

Der Seelenhüter
von Pierre Kretz
Übersetzung: Irène Kuhn
Verlag: Kröner Edition Klöpfer, 2024
208 Seiten, Broschur
Preis: 18 Euro