Die Geister, die er rief … – Beim 37. Freiburger Literaturgespräch treffen sich Zauberer und Handwerker der Worte 4Literatur & Kolumnen | 09.11.2023 | Erika Weisser

Rike Scheffler Was man nicht zurücklassen kann: Rike Scheffler beschreibt in ihrem Lyrikband „Lava.Rituale“ Dinge, die geborgen werden müssen, die es zu bewahren gilt – für die Archive der Zukunft. Und sie macht daraus ein Lesekonzert (10.11., 18 Uhr), trägt den Kosmos ihrer Buchseiten in den Raum und entfaltet die Klanglandschaften der Texte in einer Performance mit Stimme, Synthesizer, Loopmaschine und Effektgerät.

Mit großer Vorfreude“ schauen Literaturhausleiter Martin Bruch und seine Kolleginnen Katharina Knüppel, Hanna Hovtvian und Birgit Güde dem schon längst zur guten Freiburger Tradition gewordenen Literaturgespräch entgegen. „Alle meine Geister“ lautet das Motto der Lesungen, Begegnungen, Performances und Gespräche, die vom 9. bis zum 12. November im Rathaus, im Literaturhaus und im Schlossbergsaal des SWR-Studios stattfinden.

Wie immer, sagt Bruch, sei das Festival „eine gute Mischung von bekannten und neuen Namen“ – dieses Mal mit einem Schwerpunkt auf den Ereignissen und Zufällen, die eine Biografie beeinflussen können: eben die Geister, die man nicht mehr los wird, gute wie böse. Zu Routinier Uwe Timm, der die literarischen Begegnungen mit seinem Erinnerungs- und Aufbruchsbuch „Alle meine Geister“ am Donnerstag im Neuen Rathaus eröffnet, gesellen sich fast unbekannte Autor·innen wie etwa Joanna Bator oder Ralph Tharayil mit ihren noch druckfrischen Erstlingswerken.Alle_Meine_Geister

Alle meine Geister
von Uwe Timm
Verlag: KiWi, 2023
280 Seiten, gebunden
Preis: 25 Euro

Beide haben am Samstagnachmittag im Literaturhaus ihre Auftritte. Während Bator sich mit „Bitternis“ auf die Spurensuche nach den (gescheiterten) Lebensentwürfen dreier Frauengenerationen einer polnischen Familie macht, untersucht Tharayil in „Nimm die Alpen weg“ die Deformationen, die Migrationserfahrungen in den Körpern und der Sprache jener hinterlassen, deren Integration sich darauf beschränkt, dass sie in der Fabrik oder im Spital schuften.

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Bitternis
von Joanna Bator
Übersetzung: Lisa Palmes
Verlag: Suhrkamp, 2023
829 Seiten, gebunden
Preis: 34 Euro

Einige Veranstaltungen, freut sich Bruch, seien längst ausgebucht. Und er ist „sehr glücklich“ über das große Interesse der Freiburger·innen. Es zeige, dass das Team mit seiner Auswahl an Autoren und Themen nah an den Menschen sei – nicht nur bei diesem Herbst-Event, dem Höhepunkt im Jahresprogramm des Literaturhauses sowohl fürs Publikum als auch für die Veranstalter. Und, so hofft er, auch für die Autoren: Bei Veranstaltungen in dieser Dichte „tun sich immer neue und unverhoffte Verbindungen zwischen allen Anwesenden auf, von denen man vorher noch nichts ahnt“. Genau das mache den Zauber eines solchen Festivals aus.

Zauberhaft wird womöglich das Lesekonzert von Rike Scheffler, die ihre Lyrik vielstimmig performt – mit eigener Stimme und viel Technik. Und ebenfalls am Freitag bringt noch ein Autor ein Instrument zur Lesung mit: Wenn Liao Yiwu seinen Roman „Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs“ präsentiert, spielt er dazu auf seiner Flöte, die ihm während seiner Haftzeit in China die wichtigste Begleiterin war: Die Seiten des Buchs wurden einzeln aus dem Gefängnis herausgeschmuggelt.

Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs

Die Liebe in Zeiten Mao Zedongs
von Liao Yiwu
Übersetzung: Brigitte Höhenrieder, Hans-Peter Hoffmann
Verlag: S. Fischer, 2023
448 Seiten, gebunden
Preis: 34 Euro

Foto: © eberle