Nachgewürzt: Das 9-Euro-Ticket 4Literatur & Kolumnen | 15.06.2022 | Florian Schroeder

Florian Schroeder

Das 9-Euro-Ticket der Deutschen Bahn für alle Regionalzüge ist schon jetzt ein Riesenerfolg! Die Nachfrage ist so groß, dass die Bahn schon mehrere hundert Hotlines freigeschaltet hat, damit alle Kunden sofort wissen, dass derzeit kein freier Mitarbeiter zur Verfügung steht.

In den ersten Tagen gab es geradezu Hamsterkäufe. Man kann sagen: Das 9-EURO-Ticket ist das Toilettenpapier der Bahn. Die Autoindustrie ist alarmiert: Erste Lobbyisten machen sich bei der FDP stark für ein Tempolimit für Nahverkehrszüge.

Das 9-Euro-Ticket ist von Anfang an eine Totgeburt: Zusätzliche Züge, die dringend nötig wären, gibt es schon deshalb nicht, weil Dienstpläne und Werkstattplanungen ein Jahr im Voraus laufen. Als Entschädigung plant der Bahnvorstand 9-Euro-Gutscheine fürs nächste Jahr. Der Bahnchef plant jetzt sogar eine Reise nach Kiew, um Züge zu kaufen, die in der Ukraine nicht mehr gebraucht werden.

Außerdem ist in der Ferienzeit auch Baustellenzeit. Hier führt die Bahn seit Jahren größere Arbeiten durch, damit Pendler und Schüler nicht eingeschränkt werden. Für die 9-Euro-Reisenden bietet die Bahn also auch den Trend „Slow Travel“, entschleunigtes Reisen, zum Schnupperpreis an.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist fast jeder fünfte Job im ÖPNV weggefallen. Es fehlen 15.000 Beschäftigte. Bis 2030 soll sich die Zahl der Fahrgäste verdoppeln, während bis dahin 50 Prozent der jetzt Beschäftigten in Ruhestand gehen werden. Doppelt so viele Fahrgäste bei halb so viel Personal – das kann nur ein Unternehmen unter einen Hut kriegen, dessen zweiter Vorname „Störung im Betriebsablauf“ ist.

Täglich größer wird derweil der Schrecken auf Sylt. Einzelne Insel-Bürgermeister haben schon bei Putin angefragt, ob dort eventuell Kapazitäten übrig wären, Gleisverbindungen zum Festland rechtzeitig zu bombardieren, um so den Pöbel aufzuhalten.

Und das Schönste: Fahrgäste bittet die Bahn, Fahrräder zu Hause zu lassen. Und stattdessen dann wohl besser vor Ort wegen ausgedünnter U-Bahnen und in Rente geschickter Busfahrer ein Auto zu mieten oder mit dem Taxi zu fahren.

Die einzige Beruhigung für die Bahn: Dank noch zahlreicherer, noch spontanerer Gleiswechsel werden die Neu-Einsteiger unter den Zugfahrern sowieso zu großen Teilen die allermeisten Züge verpassen.

Florian Schroeder, Kabarettist, studierte in Freiburg, lebt in Berlin und vergibt die chilli-Schote am goldenen Band.

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