„Du musst dich updaten“: Murat Coşkun über Preise, Rassismus und Runterschalten 4Musik | 29.08.2024 | Till Neumann

Murat Coskun Nimmt sich mehr Zeit als früher: Rahmentrommler Murat Coskun

Der Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg geht 2024 an Murat Coşkun. Der 52-jährige Trommler, Festivalleiter und Pädagoge wird als „Brückenbauer zwischen Kulturen und Genres“ gelobt. Im Interview mit chilli-Redakteur Till Neumann spricht er über das Preisgeld von 15.000 Euro, über Rassismus und über eine neue Ruhe.

cultur.zeit: Murat, was bedeutet dir die Auszeichnung?

Coşkun: Ich musste erst mal gucken, was das für ein Preis ist. Ich habe mich informiert und natürlich tierisch gefreut über diese Wertschätzung meiner Arbeit. Ich mache viel, auch ehrenamtlich, oft auch ohne zu überlegen.

cultur.zeit: Bist du ein Bauchgefühl-Mensch?

Coşkun: Viele Impulse kommen aus dem Bauch. Aber ich überlege dann erst mal: Ist das realistisch? Oder völlig spinnert? Wenn es nicht völlig abwegig ist, dann mache ich das.

cultur.zeit: Ein bisschen abwegig darf es schon sein?

Coşkun: Auf jeden Fall. Aber je erfahrener du bist, desto mehr merkst du: Das funktioniert ja gar nicht. Das ist manchmal schade, weil man diese Gedankenfreiheit nicht mehr so hat. Am Ende setzt man von zehn Ideen vielleicht eine um.

Ausgezeichnet: Murat Coşkun hat den Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg bekommen.

Ausgezeichnet: Murat Coşkun hat den Reinhold-Schneider-Preis der Stadt Freiburg bekommen.

cultur.zeit: Du wolltest eigentlich in den Kulturbetrieb, vielleicht sogar Botschafter werden. Dann hast du 1998 mit dem Ensemble FisFüz den SWR-Weltmusik-Preis bekommen. Es gab 50.000 Mark. War das der Wendepunkt?

Coşkun: Das Geld hat eine ausschlaggebende Rolle gespielt. Die 50.000 Mark waren Startkapital, das wir in die Band investiert haben.

cultur.zeit: Eine krasse Summe. Ihr habt sie nicht verprasst?

Coşkun: Nein, wir waren Studierende, haben in einer WG gewohnt. 50.000 – das war unvorstellbar viel. Ich bin kein materialistischer Mensch. Deswegen haben wir das ins Projekt investiert.

cultur.zeit: Jetzt bekommst du 15.000 Euro Preisgeld. Was machst du damit?

Coşkun: Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht. Ich werde das Geld natürlich auch in ein oder zwei Projekte investieren.

cultur.zeit: Du bist ein international gefragter Musiker, leitest das Tamburi-Mundi-Festival, bist Dozent an der Popakademie in Mannheim. Bist du finanziell sorglos?

Coşkun: Das soll nicht überheblich klingen, aber Sorgen habe ich momentan nicht. Letztendlich muss man trotzdem in neue Projekte investieren. Sonst kann das für einen Künstler den Tod bedeuten. Du musst dich neu erfinden, updaten wie ein Rechner. Du brauchst keinen neuen Rechner, aber zumindest das Gefühl, dass es zeitgemäß ist.

cultur.zeit: Die Reinhold-Schneider-Jury lobt dich als unermüdlichen Botschafter. Woher kommt die Energie, immer noch im Power-Play-Modus zu spielen?

Coşkun: (lacht). Also ich habe mich ein bisschen beruhigt. Die Pandemie kam total rechtzeitig. Ich war an dem Punkt, wo ich gemerkt habe, dass ich mich nicht mehr so gefreut habe auf die kommende Tour. Das fand ich nicht schön. Die Corona-Vollbremsung habe ich mit den Kindern und der Familie genossen.

cultur.zeit: Du reist viel. Wie viele Wochen im Jahr bist du nicht in Freiburg?

Coşkun: Ich war so 150 Tage im Jahr unterwegs. Jetzt ist es weniger geworden. Das ist auch eine bewusste Entscheidung. Man wird älter. Mit 20 bin ich manchmal nachts durchgefahren. Das schaffe ich nicht mehr.

cultur.zeit: Als Kind hast du in der Schule Rassismus erlebt, wurdest Türken-Sau genannt. War das ein Antrieb, Musik zu machen?

Coşkun: Ja, die Erfahrung hat mich sehr geprägt. Sie hat vielleicht auch getriggert, dass ich es ihnen zeigen wollte. Ich habe versucht, immer alles gut zu machen, war eine Zeit lang Klassenbester, Klassensprecher, Schülersprecher, habe die Schülerzeitung geleitet. Ich wollte zeigen, dass ich keine Türken-Sau bin, wollte aber nicht mit Gegengewalt antworten, sondern mit Leistung.

cultur.zeit: Gibt es denn etwas, das noch unverwirklicht ist? Was würdest du gerne machen?

Coşkun: Eine eigene Spielstätte zu haben, das wäre ein Wunsch. Ein Ort, an dem ich selber das Programm mache, selber spiele und wo ich ganz viele einladen kann. Und alles wäre völlig subventioniert. Also ein Ort, wo ich mich einfach nicht ums Geld kümmern muss.

cultur.zeit: Hast du sonst einen Wunsch für die kommenden Jahre?

Coşkun: Von einer Glücksfee würde ich mir wünschen, dass sie es schafft, einfach mal Ruhe auf die Welt zu bringen. Das tendiert gerade alles in eine seltsame Richtung. Ich würde mir wünschen, dass da auch mal einsichtige Leute sind, die was zu sagen haben und die auf den Tisch hauen: So geht es nicht mehr weiter.

Fotos: © Ellen Schmauss, Yoshi Toscani

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