„Riesenchance für Freiburg“: K9 Architekten gewinnen Wettbewerb Dietenbach STADTGEPLAUDER | 11.10.2018 | Lars Bargmann

Die Würfel sind gefallen: Das Freiburger Büro K9 Architekten hat den internationalen städtebaulichen Wettbewerb für den geplanten Stadtteil Dietenbach gewonnen. Der vielstimmig gelobte Entwurf sieht zwei Parks, sechs Quartiere und auch mal 20-geschossige Häuser in einem „Hochhauspark“ vor. Die „Aktion Rettet den Dietenbach“ hat derweil eigenen Angaben zufolge knapp 4000 Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen die Bebauung gesammelt. 12.000 braucht sie bis zum 26. Oktober: „Ich hoffe, dass es keine 12.000 werden“, sagt Oberbürgermeister Martin Horn auf Nachfrage des chilli.

„Das ist eine Riesenchance für Freiburg“, bilanziert die stellvertretende Vorsitzende der Jury, die Aachener Städtebau-Professorin Christa Reicher. Die Gruppe um K9 Architekten (siehe Infobox) habe ein „supertolles Konzept“, zentrale Themen wie den Umgang mit Freiraum, Lage und Anbindung des Bildungscampus, die Erschließung mit Straßenbahnen, Autos und Rädern gut beantwortet. Zudem eine sehr gut proportionierte Mitte mit Anknüpfung an die Freiräume, eine große Mischung von Wohngebäuden in den unterschiedlichen Quartieren, die überdies je eine eigene lebendige Mitte hätten. Die 19 Kitas würden Brücken bilden zwischen den Quartieren, die Gewerbebauten seien zur B 31 und zur Besançonallee hin hinter Lärmschutzwänden überzeugend angeordnet: „Das kann ein Modell für nachhaltige Stadtentwicklung sein, nicht nur in Freiburg.“ K9-Architekt Wolfgang Borgards: „Wir freuen uns wahnsinnig.“

Für Horn ist der Entwurf ein „Meilenstein in der Stadtentwicklung“, die Planung bringe „Grün in die Stadt“. Bei den Gegnern sicher keine mehrheitsfähige Äußerung. Baubürgermeister Martin Haag sieht einen Entwurf für einen sozial-urbanen Stadtteil, der ökologisch gedacht ist, eine hohe Freizeitqualität habe und freute sich über einen Wettbewerb auf sehr hohem Niveau: „Wir hatten hier im Verfahren die besten Stadtplanungsbüros und die besten Verkehrsplaner Mitteleuropas.“

Umwelt- und Schulbürgermeisterin Gerda Stuchlik ist unter Klimaschutzaspekten „hochzufrieden“ und lobte Lage, Größe und Anbindung der 19 Kitas. Vier will sie als Familienzentren entwickeln Das innovative Energiekonzept will den zwischen dem Rieselfeld und Dietenbach laufenden, zentralen Freiburger Abwasserkanal für die Wärmeversorgung und die Kühlung des neuen Stadtteils nutzen.

Guter Plan: Christa Reicher erläutert die Stärken des Entwurfs.

Für Projektleiter Rüdiger Engel ist mit diesem Entwurf „ohne Weiteres 50 Prozent sozialer Mietwohnungsbau möglich“. Das wären bis zu 3250 Wohnungen. Engel betonte, wenn die insgesamt 6500 Wohnungen im Umland gebaut, sie viel mehr Fläche als die 130 Hektar beanspruchen würden. Und natürlich auch die Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr lange nicht so gut wäre. 40 Prozent der Flächen gehören der Stadt und dem Land Baden-Württemberg: „Wenn wir da komplett bezahlbares Wohnen machen, wäre das super“, sagt Horn.

Der Entwurf teilt Dietenbach in sechs Quartiere, die mit einem begrünten Ringboulevard als 30er-Zone verbunden sind. Für Autos gibt es zwei Erschließungen, eine südliche vom Rieselfeld-Kreisel aus, eine aus Norden von der Straße Zum Tiergehege. Radfahrer haben über eine Brücke über dem Zubringer Anschluss an den Dreisamuferweg, auch an Mooswald und Dietenbachpark. Die Tram kommt aus dem Rieselfeld, hält einmal am Bildungscampus zwischen den beiden Stadtteilen, einmal in der neuen Mitte und schleift sich am Nordrand des neuen Stadtteils zurück.

Die einen sagen Meilenstein, die anderen Märchen

Ein paar Schleifen muss der Stadtteil auch auf anderen Feldern noch drehen. Die Bürgerinitiative „Aktion Bürgerentscheid Rettet Dietenbach“ will den Bau per Volksentscheid stoppen. Dafür braucht sie erst einmal 12.000 Unterschriften, dann käme der Bürgerentscheid – vermutlich am 26. Mai, wenn Kommunal- und Europawahlen sind. An dem Tag müsste zudem das Quorum erreicht werden. Denn dass der Gemeinderat – wie 1995 zum Erhalt des Flugplatzes – dieser Abstimmung auch dann folgt, wenn das Quorum verfehlt wird, wäre eine Sensation. Schließlich haben sich alle Fraktionen mit Ausnahme der Fraktionsgemeinschaft Freiburg Lebenswert/Für Freiburg mit 40:4 Stimmen für Dietenbach ausgesprochen.

Für Manfred Kröber, unlängst aussichtsloser OB-Kandidat und jetzt BI-Vertreter, ist das „eine sportliche Herausforderung“, die aber gemeistert werden könne. Die Initiative hat jetzt noch 4500 Briefe verschickt – spendenfinanziert. Auf deren Website wird die Frage aufgeworfen, wie frei die Fraktionen bei der Abstimmung am 24. Juli angesichts des klaren Ergebnisses überhaupt gewesen seien. Zweifelt Kröber die Autonomie der Volksvertreter an? „Es ist zumindest erstaunlich, dass dieses klare Votum sich nicht in der Bürgerschaft widerspiegelt, in der das Vorhaben durchaus umstritten ist und die Meinungen weit auseinandergehen.“ Er verstehe aber „überhaupt nicht“, wie die Fraktionen, denen 50 Prozent sozialer Mietwohnungsbau wichtig ist, „ja“ sagen können und dann nur einen Prüfauftrag geben und keinen Beschluss fassen. 50 Prozent preiswerten Mietwohnungsraum würde es nur geben, „wenn die Stadt gewaltig mit einem dreistelligen Millionenbetrag investiert, und das sehe ich nicht“.

Die Gegner lassen aber noch lange nicht locker.

Gemeinsam mit dem RegioBündnis Pro Landwirtschaft, Natur & ökosoziales Wohnen hat die BI am Tag der Entscheidung morgens noch Horn im Rathaus besucht und einen Hokaido und ein Kürbissuppenrezept mitgebracht. Danach schütteten sie einen drei Meter hohen Erdhaufen am Mundenhof auf, um zu zeigen, wie viel Erdmassen bewegt werden müssen, damit im Überschwemmungsgebiet, dem „Märchen vom klimaneutralen Stadtteil Dietenbach“, überhaupt gebaut werden kann. Die Kritiker rechnen vor, dass die Laster 21,6 Millionen Kilometer abspulen – oder 56 Mal zum 384.000 km entfernten Mond fahren – müssten, dabei 6,5 Millionen Liter Diesel verbrauchten und die Atmosphäre so mit 17.000 Tonnen Kohlendioxid belasten würden. „Die Dietenbach-Aufschüttungen sind eine über Jahre dauernde CO2-Schleuder, das von der Stadtverwaltung verbreitete Märchen eines ‚klimaneutralen‘ Stadtteils unverantwortlich.“

„Klimaneutralität“ ist beim Bau eines neuen Stadtteils tatsächlich nur ein effekthaschendes Etikett, die Erdbewegungen fallen dabei am Ende kaum ins Gewicht. Horn unterstützt bürgerschaftliches Engagement, hat aber beim Dietenbach „eine andere Position. Wer den dringenden Bedarf an Wohnungen leugnet, geht in die falsche Richtung.“ Das tun Kröber und seine Mitstreiter. Ob es überhaupt Wohnungsnot gibt, sei eine „Frage der Begrifflichkeit“. Es gebe einen „großen Bedarf“ und es sei offensichtlich, dass es zu wenig erschwinglichen Wohnraum gibt: Das sei aber auch ohne neuen Stadtteil „lösbar“. Da schüttelt Projektleiter Engel den Kopf: „Die Lage ist dramatisch, wer die Augen vor der Wohnungsnot verschließt, muss betriebsblind sein.“

Wenn es zu einem Bürgerentscheid kommt, wäre das der sechste in Freiburg (1988 zum Bau des Konzerthauses, 1995 für den Erhalt des Flugplatzes, 1999 zur Rottecklinie, 2006 zum Verkauf der Stadtbau, 2015 zum Bau des neuen SC-Stadions). Die Frage würde lauten: „Soll das Dietenbachgebiet unbebaut bleiben?“ Eine Frage mit Potenzial. Für die meisten mit Drohpotenzial. Ein Bürgerentscheid würde – auch wenn er letztlich pro Dietenbach ausginge – die Entwicklung um ein Jahr verschleppen.

Info: Siegerentwürfe

Die vier überarbeiteten Siegerentwürfe aus der ersten Runde sind noch bis einschließlich 17. Oktober im Rathaus im Stühlinger ausgestellt oder online unter freiburg.de/stadtteil-dietenbach einsehbar. Vor Weihnachten wird es eine öffentliche Veranstaltung im Paulussaal, am 15. Januar 2019 eine öffentliche Anhörung im Bürgerhaus Seepark geben.

Fotos: © bar / Visualisierung: © K9 Architekten