Tiefsitzendes Tabu: Streit um Schwangerschaftsabbrüche schwelt – auch in Freiburg STADTGEPLAUDER | 22.11.2018 | Till Neumann

Abtreibung ist Auftragsmord. Mit dieser Aussage hat Papst Franziskus im Oktober weltweit aufgeschreckt. Dabei sind Schwangerschaftsabbrüche ohnehin ein Reizthema: Im Bundestag steht aktuell das „Werbeverbot“ auf der Kippe, Beratungsstellen und Ärzte berichten von Anfeindungen und eingeworfenen Fensterscheiben, die Landesärztekammer Baden-Württemberg reagiert auf chilli-Anfragen nicht, Gesprächspartner wollen anonym bleiben, die Lage ist extrem angespannt.

Ein junges Freiburger Paar durchlebt derzeit eine schwere Phase. Ungewollt ist die Studentin schwanger geworden. Und entschied sich gegen das Kind. „Alles ging sehr schnell“, erzählt ihr Freund. „Nach vier Tagen waren wir beim Arzt, nach einer Woche war alles vorbei.“ Folgenlos blieb das nicht: „Gut geht es uns seitdem nicht mehr“, erzählt der Student. Er hätte das Kind gerne behalten, hadert mit der Entscheidung. Sie sei depressiv geworden, er ist es nun auch. „Liebe spüre ich fast keine mehr“, erzählt der junge Mann. Der Zauber einer Schwangerschaft sei verflogen.

Die Entscheidung der beiden ist kein Einzelfall: Rund 100.000 Schwangerschaften sind 2017 in Deutschland abgebrochen worden. 2500 mehr als im Vorjahr. Trotzdem gilt: Abbrüche sind hier rechtswidrig und strafbar. Nur dann nicht, wenn die Schwangere den Abbruch ausdrücklich verlangt und sich mindestens drei Tage vor einem gewünschten Eingriff in einer staatlich anerkannten Anlaufstelle beraten lässt.

Viele Frauen sind verzweifelt

In Freiburg gibt es drei solcher Beratungsstellen: Pro Familia, Donum Vitae und das Diakonische Werk. Außer beim Diakonischen Werk will sich derzeit keiner äußern. „Die Zerrissenheit der Frauen, die zu uns kommen, ist oft groß“, sagt Cornelia Andresen von der dortigen Schwangerenberatung. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Caren Walter versuchen sie zu helfen, zuzuhören und die schwierige Situation mit der Frau anzusehen. Immer wieder erleben sie, dass Betroffene Angst haben, den Beratungsschein nicht zu bekommen. „Dann legen wir ihn gleich zu Beginn der Beratung offen auf den Tisch“, erklärt Andresen.

So soll ein offenes und ehrliches Gespräch ermöglicht werden. Wichtig ist den zwei Expertinnen eine ergebnisoffene Beratung. „Frauen können den Schein auf jeden Fall bekommen“, sagt Caren Walter. „Wir wollen nicht beeinflussen, sondern Wege aufzeigen.“ Die Erfahrung zeigt ihnen: Die ersten Tage einer Schwangerschaft sind für Frauen oft Chaos. Da werde auch mal ein Termin bei ihnen ausgemacht – doch bis zur Beratung ist die Entscheidung für das Baby längst gefallen.

Etwa 100 Frauen kommen jährlich zur Schwangerschaftskonfliktberatung. Abbrüche seien ein tiefsitzendes Tabu, Frauen oft beschämt von der ungewollten Schwangerschaft, erzählen Andresen und Walter. Wie viele abbrechen, wissen die Beraterinnen nicht. Nur so viel: Nicht jede Frau, die einen Beratungsschein erhält, beendet die Schwangerschaft. In jedem Fall gibt es die gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit von mindestens drei Tagen. Erst dann dürfen Schwangere den Abbruch von einem Arzt vornehmen lassen.

Eine Praxis dafür zu finden, ist nicht immer einfach. Denn für Ärzte gilt das „Werbeverbot“, festgehalten im Paragraphen 219a des Strafgesetzbuchs. Er untersagt das „Anbieten, Ankündigen und Anpreisen“ von Abbrüchen. Das führt dazu, dass Adressen der behandelnden Ärzte vor allem auf Seiten der Abtreibungsgegner gefunden werden – neben Bildern von blutigen Embryos.

Ausnahmezustand bei der Schwangerenkonfliktberatung des Diakonischen Werks

Nicht alle Ärzte halten sich an das Werbeverbot: So wurde Kristina Hänel aus Gießen zu 6000 Euro Strafe verurteilt, weil sie auf der Website ihrer Praxis über die Möglichkeit zum Eingriff informierte. Für sie ist das keine Werbung, sondern die Möglichkeit, dass Frauen sich informieren. Im zweiter Instanz zog sie vors Landgericht, verlor auch da. Nun zieht sie vors Oberlandesgericht. Nur aufgrund des strittigen Paragraphen könnten Abtreibungsgegner sie immer wieder verklagen.

Die Zahl der Ärzte, die Abbrüche durchführt, nimmt ab – auch in Freiburg, bestätigen Andresen und Walter. Fünf Mediziner gebe es hier noch, die operative Eingriffe vornehmen. Zwei davon seien bereits im Rentenalter, Nachwuchs ist kaum in Sicht. Denn Ärzte bekommen für den Eingriff keine kostendeckende Pauschale, stehen dafür aber im Fokus radikaler Gegner. Steine seien schon in Fensterscheiben geflogen, bedrohliche Zettel an Türen geklebt worden, sagen Mediziner, die unbedingt anonym bleiben wollen. Anfeindungen treffen auch Berater von Pro Familia, der bekanntesten Beratungsstelle für solche Gespräche. Aber weder von den Freiburgern noch von Pro Familia Deutschland gibt es derzeit ein Statement.

Geredet wird dafür im Bundestag. Dort macht sich die CDU für den Erhalt des Werbeverbots stark, es gibt aber wohl eine Mehrheit für dessen Abschaffung. Die SPD will noch dieses Jahr Fakten schaffen. Lenkt die CDU nicht ein, steht ein Alleingang im Raum – ohne den Koalitionspartner. „Ich erwarte von allen Beteiligten, dass wir beim Paragrafen 219a nun rasch zu einer gemeinsamen Lösung kommen“, sagte Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) Ende Oktober dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

» Abtreibung wird bagatellisiert «

Wünschen würde sich das auch Leonie Warth. Die 23-Jährige studiert in Freiburg Medizin und möchte Frauenärztin werden. „Ich wäre bereit, Abbrüche vorzunehmen“, sagt Warth. Doch im Studium nimmt das Thema nur einen kleinen Platz ein. Deswegen hat sie kürzlich an einem Schreiben ihrer Fachschaft mitgewirkt, die das Dekanat darin auffordert, Stellung zu beziehen zum Raum, der dem Thema im Medizinstudium gegeben wird. Zu peripher werde das bisher behandelt, so Warth. Dabei sei gerade im Medizinstudium eine absolut rationale Diskussion dazu möglich.

Emotionaler sieht das Ursula Linsin-Heldrich. Die 65-Jährige ist Vorsitzende des Vereins Rahel, der Frauen nach Abbrüchen zur Seite stehen will. Rund 300 Kontakte habe es 2017 bundesweit gegeben, berichtet sie. Für Linsin-Heldrich ist die Lage in Deutschland verworren: „Abtreibung wird bagatellisiert, Frauen werden über die psychologischen Folgen eines Abbruchs im Unklaren gelassen.“ Es gebe zwar Fälle, in denen die Betroffenen mit dem Abbruch klarkommen. Doch die Mehrheit leide: „80 Prozent der Beziehungen zerbrechen danach“, sagt Linsin-Heldrich.

Für Cornelia Andresen und Caren Walter ist die Aussage fragwürdig: „Das lässt sich in keiner Weise wissenschaftlich belegen“, sagt Andresen (siehe Spiegel-Artikel). Sie betont zudem, dass sehr wohl bei Beratungen über psychologische Folgen gesprochen werde. „Einige befürchten allerdings noch größere psychische Folgen, wenn sie die Schwangerschaft austragen.“

Andresen und Walter erleben immer wieder Paare, die in solch einer Ausnahmesituation an ihre Grenzen kommen. „Das Schlimmste für eine Frau ist ein Mann, der keine Meinung dazu hat“, sagt Walter. Auf den Schwangeren laste massiver Druck, da sei eine klare Position hilfreich. Dennoch sollte die Frau das letzte Wort haben.

So war es auch bei dem Freiburger Pärchen, das sich gerade gegen das Kind entschieden hat. Beide hat das mitgenommen. Ob der Schritt deswegen falsch war? „Nein“, sagt der junge Mann, „aber auch nicht richtig. Er war einfach notwendig.“

Foto: © iStock.com/nortonrsx

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