Gesichter der Zeitgeschichte: Biografische Aufsätze als Geschenk für einen Historiker 4Literatur & Kolumnen | 26.08.2019 | Erika Weisser

Der Historiker Ulrich Herbert, seit 1995 Professor am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg, wurde im Juli in einer Feierstunde verabschiedet. Zu diesem Anlass wurde dem 69-Jährigen, der Anfang der 1970er- Jahre bereits sein Studium in Freiburg absolvierte, ein ihm gewidmetes Buch überreicht, in dem 16 Autoren anhand ausgesuchter Biografien der Geschichte der letzten 100 Jahre nachspüren.

„Lebensläufe im 20. Jahrhundert“ heißt es, herausgegeben haben es Jörg Später und Thomas Zimmer, Herberts Kollegen am Historischen Seminar. Auch unter den Autoren sind einige Freiburger Historiker, etwa Jörn Leonhard und Arvid Schors. Zu den Autoren gehören aber auch Kollegen von anderen Unis, darunter sind Christina von Hodenberg und Stefanie Middendorf, die bei Herbert habilitiert oder promoviert wurden, sowie eine Reihe anderer Weggefährten.

Sie haben sich dabei auf Ulrich Herberts eigenen Spuren bewegt: Der Professor, dessen Forschungsschwerpunkt das 20. Jahrhundert und insbesondere die Nazizeit ist, untersuchte in seiner Habilitationsschrift von 1992 selbst eine Biografie: Anhand des Lebenslaufs des NS-Schreibtischtäters Werner Best analysierte er den Aufstieg der völkischen Bewegung, die Erfolge der NSDAP, die Institutionalisierung des Bespitzelungsapparats und den Zusammenbruch.

Im neuen Buch geht es um Walter Rathenau, Wilhelm Kreis, Georg Stefan Troller, Joseph Beuys, Indira Gandhi, Salvador Allende und viele andere. Um Otto Schily und Christian Ströbele, die RAF, die 68er und um Migrantenfamilien. Die einzelnen Beiträge sind trotz der gelegentlich wissenschaftlichen Sprache gut zu lesen und zu verstehen. Es wendet sich auch nicht nur an Ulrich Herbert oder ausschließlich an Historiker.

Im Gegenteil: Da gewinnbringende Lektüre der Werks keine besonderen geschichtlichen Vorkenntnisse verlangt, ist es auch für bisherige Laien geeignet. Für sie können die „Lebensläufe“ ein Einstieg in die Beschäftigung mit Geschichte sein, zumindest mit der Zeit von 1900 bis zur Gegenwart.

Denn die hier beschriebenen individuellen Biografien geben nicht nur Aufschluss über zentrale Themen, Konflikte, Orte und Antriebskräfte des 20. Jahrhunderts. Sie geben der Zeitgeschichte Gesichter und machen außerdem die prägenden Zusammenhänge begreiflich, die zwischen den Denkweisen und Werdegängen Einzelner und den Zeitläuften bestehen.

Einen Mangel hat das kluge und erhellende Buchprojekt allerdings: Die Herausgeber machen keinerlei Angaben zu den Verfassern der Aufsätze. Über deren eigene Biografien ist ebenso wenig zu erfahren wie über die Weise, in der sie „mit dem Lebenslauf von Ulrich Herbert verbunden sind“, wie es in der Buchbeschreibung des Verlags heißt. Herbert selbst weiß das zwar, Jörg Später und Thomas Zimmer auch. Die ineressierten Leser indessen nicht.

 

Lebensläufe im 20. Jahrhundert
Hrsg: Jörg Später & Thomas Zimmer
Verlag: Wallstein, 2019 | 326 Seiten, gebunden
Preis: 29,90 Euro

Foto: © Thomas Kunz