Landwirte im Umbruch: von Bienen und Bauerprotest STADTGEPLAUDER | 16.03.2020 | Arwen Stock

Bienen_und_Blüten

Volksbegehren Artenschutz, Proteste der Landwirte – es brodelt an der Quelle der Nahrungserzeugung. Und trotz des Dialogs zwischen Landwirtschaftsministerium, proBiene und dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband ist längst nicht alles gut.

Am Anfang war die „Krefelder Studie“, die belegte: Um 76 Prozent war die Zahl der Fluginsektenarten zwischen 1989 und 2016 zurückgegangen. „Rettet die Bienen“ lautete der Aufschrei, der zuerst in Bayern für ein erfolgreiches Volksbegehren sorgte. Mit deutlich massiveren Forderungen strebte Mitte 2019 die Initiative proBiene das Volksbegehren Artenschutz für Baden-Württemberg an: 50 Prozent Öko-Anbau bis 2035 und Reduktion auf 50 Prozent Pestizideinsatz im Land bis 2025 – der Gesetzesentwurf nahm vor allem die Landwirtschaft in die Pflicht.

„Mit dem Volksbegehren kann man nur in einem Bereich eine Änderung bewirken, nicht in mehreren“, begründet Mitinitiator Tobias Miltenberger diese drastische Fokussierung. Miltenberger weiß um den Preis des Vorstoßes: „Die Landwirte haben uns das Volksbegehren sehr angekreidet.“

 

Aus Not wird Protest

 

„Das Kipp-Moment kam mit dem jüngsten Agrarpaket“, berichtet der Presseverantwortliche des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV), Padraig Elsner. Unter den wichtigsten Vorgaben von Forschungs-, Landwirtschafts- und Umweltministerium waren ein nationales Glyphosatverbot ab 2024, eine Mindeststrategie für das Totalherbizid mit Verringerung um 75 Prozent ab 2020.

Ein ganzer Berufsstand sah sich am Pranger: nicht nur wegen des Bienensterbens, auch wegen Nitrat im Grundwasser durch Gülle. Dabei gerieten die alltäglichen Nöte der Landwirte völlig aus dem Blick: Flächenfraß, Futterverunreinigung durch Hundekot, wenig verlässliche Rahmenbedingungen, Förderbürokratie. Und das in der wirtschaftlichen Zwangsjacke: Niedrigpreise wegen der Nachfrage nach günstigen Lebensmitteln, Marktmacht der Einzelhandelsketten und internationale Konkurrenz. Das war zu viel für diejenigen, die in Deutschland für Ernährungssicherheit sorgen.

Mit einer „Graswurzelbewegung“ in den sozialen Medien fing der Protest an. Elsner erinnert sich: Aus der Facebook-Gruppe mit rund 200 Mitgliedern entwickelte sich die bundesweite Bewegung der Landwirte „Land schafft Verbindung“. Mit rund 8600 Traktoren protestierten sie im November 2019 und mit 1000 im Januar in Berlin. Demos gab es auch auf dem Freiburger Münsterplatz. Nicht die Kritik an der Gülleausbringung, sondern durch die drastische Reduktion des Pestizideinsatzes sahen Landwirte und Winzer in der REGIO ihre Existenz in Gefahr.

gesunde Erde

Ein nährstoffreicher Boden ist die Lebensgrundlage von Landwirten und Imkern gleichermaßen.

In der Rheinschiene werden laut Elsner Mais und Sonderkulturen wie Soja, Spargel, Erdbeeren und Obst angebaut. „Ohne Pestizide funktioniert keine Landwirtschaft, die einzige Alternative ist die mechanische Bearbeitung“, betont der BLHV-Pressesprecher und meint die biologisch zugelassenen wie auch die chemischen Herbizide (Pflanzenschutzmittel), Insektizide (Insektenschutzmittel) und Fungizide (Anti-Pilzmittel).

Wohl am populärsten ist das umstrittene Totalherbizid Glyphosat. Damit Unkraut und Gras zwischen den Kulturreihen nicht die Nährstoffe entziehen und ein schlechtes Mikroklima entsteht, wird gezielt gespritzt. Auch als Teil des konservatorischen Bodenbaus hilft es nach dem Abernten, das Feld laut Elsner „schneller und gründlicher“ auf die nächste Aussaat vorzubereiten.

 

Glyphosat und Bienen

 

Miltenberger von proBiene kennt die Bedingungen in der REGIO: Er und sein Geschäftspartner sitzen mit ihrer Demeter-Imkerei „Summtgart“ in Stuttgart. Zur Kirschblüte aber wandern sie mit einigen Völkern an den Oberrhein. In Zusammenarbeit mit Bio-Obstbauern ernten ihre Bienen dort Kirschblütenhonig. Neben der Gefahr für Bienen und Artenvielfalt kritisiert Miltenberger, dass Glyphosat oft schon präventiv verwendet wird, Korn bereits vor der Aussaat behandelt ist und selbst die größten Bio-Fans mit dem Trinkwasser das Totalherbizid aufnehmen. Das lässt sich im Urin nachweisen.
Der NABU Baden-Württemberg bilanziert in seinem Pestizidbericht von 2018, dass rund 2300 Tonnen jedes Jahr im Weizen-, Gerste-, Mais-, Raps, Zuckerrüben-, Kartoffel-, Wein- und Apfelanbau eingesetzt werden. Glyphosat werde mit 203 Tonnen pro Jahr im Südwesten am häufigsten gespritzt. Im Bundesvergleich ist das mit neun Prozent überdurchschnittlich viel.

„Uns geht es aber nicht nur um die Biene“, berichtet Miltenberger, „Insekten stellen eine wesentliche Grundlage in unserem Ökosystem dar.“ Ein Drittel von dem, „was wir essen“, sei zurückzuführen auf die Bestäubungsleistung von Insekten. Sollten sich die dramatischen Rückgänge fortsetzen, fürchtet er einen Kollaps der ökologischen Kreisläufe.

Für die Landwirte hat Miltenberger Verständnis, das Problem sieht er im Versagen der Agrarpolitik. Das Konzept „Wachsen oder weichen“ gehe in Deutschland nicht auf. Mit diesem Mantra habe sich die Landwirtschaft in vielen Bereichen wegentwickelt von dem, was die natürlichen Güter Erde, Wasser, Luft schützt. Auch kritisiert er, dass vor allem die großen Betriebe unterstützt werden.

 

Strukturen und Zukunft

 

Der Frust bei den Landwirten sitzt tief, auch wenn die Betriebe in der REGIO laut Elsner vergleichsweise „sehr kleinstrukturiert“ sind. Rund 25 Hektar groß ist hier im Durchschnitt ein Hof – das entspricht einer Fläche von 35 Fußballfeldern. Bundesweit liegt der Wert bei 60 Hektar.

Rund 40 Prozent der REGIO-Höfe werden laut Elsner bereits im Nebenerwerb betrieben: „Die Landwirtschaft reicht allein nicht zur Ernährung der Familie aus, wenn ein Betrieb klein ist.“ Bei den Haupterwerbsbetrieben im Ackerbau sehen die Zahlen laut dem Deutschen Bauernverband auch nicht rosig aus: Nur auf 27.889 Euro brutto pro Jahr kommt eine nicht-entlohnte Familienarbeitskraft laut Buchführungsergebnis.

Acker Traktor

Die Landwirtschaft ist auf einen gewissen Technisierungsgrad angewiesen, um wirtschaftlich zu produzieren.

Dabei ist die Förderkulisse enorm: 1990 wurde von Subventionen auf Direktzahlungen umgestellt. Heute fließt mit 37,2 Prozent der größte Teil der EU-Mittel in die Landwirtschaft – 6,35 Milliarden Euro jährlich allein nach Deutschland. Laut der Pressestelle der Europäischen Kommission machen diese Zahlungen im Durchschnitt rund 40 Prozent des Einkommens der deutschen Betriebe aus. Doch die Hilfen sind laut Elser oft mit einem riesigen „Bürokratiewust“ verbunden.

„Zur Landwirtschaft gehört viel Idealismus“, so der BLHV-Presseverantwortliche, „viele finden aber ihre Nische.“ Doch jede Hofnachfolge ziehe Investitionen nach sich. Die ständig neuen Bestimmungen seien es aber, die den Jungbauern die Perspektive raubten. Elsner bilanziert: „Jeder versteht, dass da niemand gerne in die Unsicherheit investiert.“ Und Quereinsteiger gibt es kaum, da Höfe nicht genug zum Abzahlen abwerfen.

Eine Lösung für dieses hochkomplexe Thema sieht Elsner darin, den Wettbewerbsnachteil für die deutschen Landwirte mit Steuermitteln gegenzufinanzieren. Durch EU-weite „Klimazölle“ könne man den Produktionskostennachteil gegenüber Importware ausgleichen. Für unausweichlich hält Miltenberger von proBiene einen grundlegenden Wandel in der Landwirtschaft: bäuerliche Strukturen sollten gefördert werden, genauso wie regionale und biologische Lebensmittel.

Mit dem Ergebnis des Volkbegehrens ist der Mitinitiator zufrieden: Mitte Dezember 2019 vereinbarten das Land, die Initiative und der BLHV einen Kompromiss. Der Artenschutz kommt ins Naturschutzgesetz, 40 bis 50 Prozent weniger Pestizid wird bis 2030 eingesetzt, und 30 bis 40 Prozent Ökolandbau soll es in Baden-Württemberg bis 2030 geben. „Das ist ein Riesenerfolg, dass der BLHV zugestimmt hat“, freut sich Miltenberger. Für die Landwirte war der Kompromiss im Vergleich zur Gesetzesvorlage des Volksbegehrens das kleinere Übel.

Der BLHV hat seinerseits jüngst sehr erfolgreich den ersten Volksantrag „Gemeinsam unsere Umwelt schützen in Baden-Württemberg“ gestellt. Elsner betont: „Der Landtag ist nun aufgefordert, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Was bei beiden Vorstößen herauskommt, bleibt allerdings abzuwarten – denn noch ist nicht alles gut für Landwirte und Insekten.

 

Fotos: © Pro Biene, iStock/Alex, iStock/FluxFactory