Bildung in Gefahr? Wie Schüler die Corona-Krise erleben STADTGEPLAUDER | 28.09.2020 | Till Neumann

Klassenzimmer

Eine Pandemie rollt übers Land. Corona trifft auch Bildungsstätten mit voller Härte. Im Frühjahr wurden Schulen dicht gemacht. Jetzt soll es wieder weitergehen. Wie gehen Schüler mit der Situation um? Ein Rück- und Vorblick auf turbulente Virus-Monate.f79-Autor Julian Meinke hat mit dem Vorsitzenden des Landesschülerbeirats und einem Freiburger Abiturienten gesprochen. Der sagt: Ohne Corona hätte ich eine bessere Note geschrieben.

f79 // Wie ist die Bilanz dieses Schuljahrs? Sind die Schüler gut durchgekommen?
Jung // Der Situation entsprechend sind wir relativ gut durchgekommen. Teilweise sind Bildungskluften entstanden, die wir ausgleichen müssen.

f79 // Woran lag es, dass diese Kluften entstanden sind?
Jung // Es kam sehr stark darauf an, wie die Lehrer mit der Situation umgegangen sind. Das gleiche gilt aber auch für die Schüler. In dieser Situation musste man sehr eigenverantwortlich agieren.

f79 // War dieses Schuljahr auch eine Chance?
Jung // Ja, für viele Schüler war es eine Chance, um sich zu verbessern. Es liegt jedoch für alle Schüler über dem Schuljahr ein negativer Schleier.

f79 // Wie steht ihr zum bisherigen Plan fürs nächste Schuljahr?
Jung // Wir begrüßen, dass der Präsenzunterricht weitergeht. So können wir den baden-württembergischen  Bildungsstandard beibehalten. Außerdem hängen die Schüler sonst in den Wolken und ihr Tag besitzt wenig Struktur. Die Prämisse hierfür ist, dass entsprechende Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Wogegen wir uns allerdings aussprechen, ist die Maskenpflicht im Klassenzimmer. Rein aus psychologischen Gründen ist die Maske während des Unterrichts hinderlich für effizienten Präsenzunterricht.

f79 // Ihr seid gegen die Abstandspflicht?
Jung // Das stößt bei uns allen nicht auf Gegenliebe, aber es ist so: Um wieder mit Präsenzunterricht in voller Intensität anfangen zu können, müssen wir blöd gesagt einen Tod sterben. Wenn die Infektionszahlen wieder drastischer steigen, müssen wir auf das rollierende System zurückgreifen.

f79 // Wie wollt ihr bei erneutem Online-Unterricht Chancengleichheit sicherstellen?
Jung // Da haben wir das Sofortausstattungspaket, mit dem wir eine bestimmte Anzahl an Schülern mit Tablets versorgen können. Hier diskutieren wir immer wieder über die digitale Infrastruktur Baden-Württembergs.

Landesschuelerbeirat David Jung

Der Vorsitzende des Landesschülerbeirats David Jung erklärt, warum dieses Jahr für viele Schüler auch eine Chance war, sich zu verbessern.

f79 // Viele Schulen haben durch fehlende Fachkräfte im IT-Bereich einen Nachteil beim Aufbau digitaler Strukturen. Braucht es Digitalbeauftragte?
Jung // Das wär nicht nur für die aktuelle Situation nötig, sondern auch für die Zukunft. Optional steht zur Diskussion,  dass Informatik-Lehrer Deputatsstunden dafür gezahlt bekommen, dass sie sich um die IT in der Schule kümmern.

f79 // Wie wird die Bewertung im nächsten Schuljahr aussehen?
Jung // Es gibt einige Schüler, die sich dafür einsetzen, dass man die Abschlussprüfungen anpasst. Wir müssen da noch mal in den Diskurs gehen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir das durchbekommen.

f79 // Das heißt, ihr wollt Themen wegkürzen oder den Anspruch senken?
Jung // Darauf wird es letztendlich hinauslaufen. Hierbei kommt man natürlich in den Konflikt mit der Bildungsqualität. Optimal wäre es, nur den Umfang bei gleichbleibender Komplexität zu kürzen.

f79 // An einigen Schulen haben sich Lehrer über die Bestimmungen hinweggesetzt und zum Beispiel Tests geschrieben, die länger als 20 Minuten dauerten. War das ein Problem?
Jung // Wir haben wenige Beschwerden dazu bekommen, deshalb ist es nichts, worüber wir uns Gedanken machen. Es ist natürlich so, dass diese 20-minütigen Tests in verschiedenen Fächern verschieden gut klappen. Bei uns in der Schule haben wir gemeinsam abgesprochen, dass eine Leistungsabfrage in 20 Minuten nicht machbar ist und wir die Dauer verlängern.

f79 // Muss man sich also auch danach richten, was man für sinnvoll hält, und sich über manche Auflagen hinwegsetzen?
Jung // Wichtig ist am Ende vor allem, dass Lehrer und Schüler Bedürfnisse und Notwendigkeiten miteinander absprechen. Mit der richtigen Kommunikation kann man gute Lösungen finden.

f79 // Außer guter Kommunikation, was lernt der Schulbetrieb aus der Krise?
Jung // Die Krise hat gezeigt, dass für Lehrer und Schüler Selbstständigkeit und Eigenverantwortung extrem wichtig sind.

f79 // Und was sind deine Hoffnungen für das nächste Schuljahr?
Jung // Unsere Hoffnung ist natürlich, dass die Prüfungen an die Situation angepasst werden, dass wir den Präsenzunterricht weiterhin fahren können, um qualitative Bildung zu gewährleisten, und dass die Infektionszahlen niedrig bleiben.

Laptop

Um auch im Online-Unterricht Chancengleichheit sicherzustellen, kann mit dem Sofortausstattungspaket ein bestimmte Anzahl an Schülern mit Tablets versorgt werden.

 

„Massiv behindert“

Abiturient fühlt sich ausgebremst

Abiturient_Barry

Den 17-jährigen Barry Azihuwa hat der Lockdown in seiner Abiturvorbereitung „massiv behindert“. „Ich glaube schon, dass mein Abitur ohne Lockdown besser geworden wäre“, sagt der Freiburger vom Kepler-Gymnasium. Vor allem die Wiederholung im Klassenzimmer habe gefehlt, die zusätzliche Zeit sei kein Vorteil gewesen.

Der Online-Unterricht sei zudem „kontraproduktiv“ gewesen: „In den Nebenfächern haben uns die Lehrer teilweise mit Arbeitsaufträgen überflutet.“ Dass sich die Schüler kurz vorm Abitur noch mal analog mit ihren Lehrern vorbereiten konnten, habe ihm geholfen.

Das Versprechen seiner Lehrer, die Prüfungen freundlicher zu bewerten, sei nicht gehalten worden: „Es wurde uns gesagt, die Prüfungen werden nicht angepasst, aber dafür bewerten die Lehrer ein bisschen milder. Viele waren mit den Prüfungsergebnissen jedoch unzufrieden und hatten das Gefühl einer rigorosen Bewertung.“

Jetzt will der Abiturient Wirtschaftsinformatik studieren. Viel anderes bleibt ihm nicht übrig: „Ich hätte auch gerne Urlaub gemacht, aber das geht nicht wirklich.“

17. März Schulen und Kindergärten schließen ihre Pforten.
18. März In Freiburg werden Einrichtungen und Geschäfte geschlossen.
23. März Ein bundesweiter „Lockdown“ tritt in Kraft.
29. April Eine Maskenpflicht gilt in Geschäften und im ÖPNV.
4. Mai Der Schulbetrieb wird für die Prüfungsstufen fortgesetzt.
18. Mai Grundschulen werden für die vierte Klasse wieder geöffnet.
15. Juni Grundschulen und weiterführende Schulen öffnen mit einem rollierendem Unterrichtsprinzip für Schüler aller Klassenstufen.
1. Juli An Grundschulen kehrt der Normalbetrieb zurück.
14. September An weiterführenden Schulen kehrt der Normalbetrieb zurück.

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